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Patrioten sind froh, nicht stolz

Von Stefan Beig

Politik
Stolz darauf, die Besten zu sein - oder dankbar für das Gute, das uns die Demokratie schenkt?
© © © Jens Lucking/cultura/Corbis

Patriotismus und Nationalismus sind emotional abgrenzbar, sagt Heinrich.


Wien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Patriotismus zum Zufluchtsort: In sicherer Entfernung vor dem Nationalismus bot er Unterschlupf für eine gestiegene Sehnsucht nach Heimat. Dabei wurden Nationalismus und Patriotismus davor in Deutschland nicht in dieser Schärfe getrennt. Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten sich Nationalsozialisten wie Faschisten auf den Patriotismus berufen.

Für die Sozialforschung wurde die Unterscheidung zwischen Nationalismus und Patriotismus keine leichte Aufgabe, denn Umfragen unter Deutschen ergaben einen positiven Zusammenhang zwischen Patriotismus und Nationalismus: Wer patriotisch ist, tendiert auch zum Nationalismus. Die Ursache für diese Ergebnisse sieht der Soziologe Horst-Alfred Heinrich von der Uni Passau in der Verwendung falscher Messinstrumente. Er kam mit anderen Werten zu ganz anderen Ergebnissen. Am Freitag stellte er seinen Ansatz an der Uni Wien vor.

"Nationalismus hat mit der Überhöhung der Nation zu tun", betont Heinrich gegenüber der "Wiener Zeitung". Auch mit fehlender Akzeptanz des Anderen gehe er einher. Heinrich führt sein Verständnis von Patriotismus auf den von Jürgen Habermas eingeforderten "Verfassungspatriotismus" zurück: "Habermas hat Patriotismus auf die demokratische Staatsform und ihre Verankerung im Grundgesetz bezogen." Die Identifikation mit dieser Staatsform charakterisiere Patrioten.

Nationalismus wie Patriotismus wurden bisher von Sozialforschern über den Stolz gemessen. "Sind Sie stolz auf die demokratischen Institutionen Deutschlands?" Wer eine solche Folge zustimmend beantwortete, wurde als patriotisch eingereiht. Wer hingegen stolz darauf war, dass Deutschland im Fußball, in der Wirtschaft oder woanders die Nummer eins in Europa war, galt als Nationalist. Hinzu trat noch das Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit als Wert für Nationalismus.

Froh über die Demokratie

Doch kritische Solidarität und unkritische Selbstüberschätzung verhielten sich in den Umfragen durchaus positiv zueinander. Am Messwert "stolz" liege der Fehler, meint Heinrich. Statt stolz hat er den Parameter "froh" eingeführt. "Wenn ich ein Nationalist bin, kann ich nicht froh sein, und als Patriot kann ich nicht stolz sein", meint Heinrich. Heinrichs neue Umfragen ergaben: Wer froh ist, in einer Demokratie zu leben, tendiert keineswegs dazu, auch stolz auf Deutschlands Leistungen zu sein. "Das Ergebnis war ein Nicht-Zusammenhang, aber keine negative Beziehung", so Heinrich.

Auch das änderte sich, als Heinrich das Identifikationsobjekt der Emotion änderte. An die Stelle Deutschlands trat "die Gesellschaft". Nun zeigte sich erstmals ein negativer Zusammenhang: Je mehr sich jemand darüber freut in einer demokratischen Gesellschaft zu leben, desto weniger tendiert er zu Fremdenhass und nationaler Selbstüberschätzung.

"Wer rechtsorientiert ist, für den ist das Frohsein keine Kategorie", argumentiert Heinrich. Frohsein habe eine Nähe zu Dankbarkeit. "Ich bin froh über etwas, aber ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der dafür verantwortlich ist." Beim Nationalismus überwiege die starke Beziehung zur Eigengruppe und die Ablehnung von Feindgruppen.

Heinrichs Studien sind noch nicht abgeschlossen. Ein Forschungsprojekt mit 3000 Testpersonen ist in Planung. Gerne verweist Heinrich auch auf einen Aufsatz des deutschen Philosophen Georg Simmel (1858 bis 1918) über die Dankbarkeit. Als Reaktion auf eine Wohltat sei die Dankbarkeit eine Gegengabe auf eine erwiesene Gabe, argumentiert Simmel. Im Gegensatz zu anderen Tauschverhältnissen sei Dankbarkeit weder rechtlich regelbar, noch durch Geld wie bei einem Kauf rückzahlbar.

Dankbarkeit ist für Simmel der einzige moralisch geforderte Gefühlszustand. Sie richte sich nicht nur auf das Tauschobjekt, sondern auf den Anderen selbst und schaffe ihm gegenüber eine innere, dauerhafte Bindung: "Würde mit einem Schlag jede auf frühere Aktionen hin den Seelen verbliebene Dankreaktion ausgetilgt, so würde die Gesellschaft, wie wir sie kennen, auseinanderfallen."