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"Den kleinen Bauern nützt dieses System gar nichts"

Von Reinhard Göweil und Stefan Melichar

Politik

Finanzprofessor Doralt und Bauernkammer-Experte Astl zum "Steuerparadies Landwirtschaft".| Bauernkammer diskussionsbereit bei Steuer auf Umwidmungsgewinne.


"Wiener Zeitung":

Werner Doralt (l.) leitete jahrelang das Institut für Finanzrecht an der Uni Wien, der studierte Argrarökonom August Astl ist seit 1996 Generalsekretär der Landwirtschaftskammer Österreich. 
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400.000 Selbständige und Kleinunternehmer zahlen in Österreich in etwa 3,2 Milliarden Euro Einkommensteuer pro Jahr. Bei 170.000 Bauern sind es vergleichsweise geringe 45 Millionen Euro. Woher kommt die Diskrepanz? Ist das gerecht?Werner Doralt: Ich bin froh, dass ich nicht um fünf Uhr aufstehen und in den Stall gehen muss. Ich neide den Bauern ihre Begünstigungen nicht. Allerdings bestehen diese nicht nur für kleine Landwirte, sondern auch für Großbetriebe. Ins System der Einkommensteuerpauschalierung (siehe Wissen, Anm.) fallen Betriebe mit maximal 400.000 Euro Umsatz pro Jahr. Da diese jedoch nicht buchführungspflichtig sind, gibt es keine Möglichkeit, das zu überprüfen. Nutznießer sind jene Bauern knapp über der 400.000-Euro-Grenze. Den Kleinen nützt dieses System gar nicht.

August Astl: Die weit überwiegende Zahl der Bauern hat ein geringes Einkommen. 2010 war mit einem Durchschnitt von knapp 23.000 Euro pro Betrieb noch ein relativ gutes Jahr. Wenn man davon die geleisteten Sozialversicherungsbeiträge abzieht, ergibt sich für die Steuer ein Nullergebnis, das ist so.

Doralt: Aber es ist nicht überprüfbar.

Streitgespräch bei der "Wiener Zeitung": "WZ"-Chefredakteur Reinhard Göweil (2. v. l.) mit Professor Werner Doralt, Generalsekretär August Astl und "WZ"-Redakteur Stefan Melichar.
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Astl: Es gibt sehr wenige Betriebe, die die Umsatzgrenze von 400.000 Euro überschreiten. Die Marktordnungsstelle AMA meldet ihre Daten für das heurige Jahr nun erstmals an die Finanz. Außerdem gibt es auch einen Datenaustausch zwischen dem Fiskus und der Sozialversicherungsanstalt der Bauern. Das System der Pauschalierung ist jedenfalls eine Vereinfachung für die Finanz. Die weitaus größte Zahl der Bauern bringt ohnehin ein Nullergebnis bei der Einkommensteuer. Allerdings gilt das auch für ein Drittel der Gewerbebetriebe.

Doralt: Die Grenze für die Pauschalierung ist aber so hoch, dass praktisch alle - und damit auch große - landwirtschaftlichen Betriebe darunterfallen.

Astl: Nicht alle sind pauschaliert. Weinbauern fallen nicht darunter. Auch wer in relevantem Umfang Gartenbau oder Schweinezucht betreibt, hat so hohe Zuschläge auf den Einheitswert, dass er nicht mehr unter die Pauschalierungsgrenze fällt.

"Wiener Zeitung": Wie viele der 170.000 Bauern sind denn nun in diesem Steuerberechnungssystem, bei dem nicht das Einkommen als Bemessungsgrundlage herangezogen wird, sondern ein vor dreißig Jahren letztmals ermittelter sogenannter Einheitswert, der sich an Grund und Boden orientiert?Astl: Rund 90 Prozent. Das ist eben eine einfachere Form der Einkommensermittlung: Die Bauern müssen keine Aufzeichnungen führen und ersparen sich einen Steuerberater. Das gibt es übrigens in anderen Ländern auch.

Doralt: Allerdings fallen dort wesentlich weniger Betriebe darunter. In Wahrheit ist das eine Subvention, die auch im EU-rechtlichen Sinne bedenklich ist. Die Bauern sind sehr fleißig und rege beim Ausfüllen kompliziertester Formulare für Förderungen. Da könnte man den Leuten schon zumuten, auch eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung zu führen.

Astl: Es gibt eine Reihe älterer Bauern, die den Umgang mit Rechnungswesen gar nicht kennen. Viele brauchen die Unterstützung der Landwirtschaftskammern, um mit diversen Formularen zurechtzukommen.

"Wiener Zeitung": Wenn die meisten Bauern so wenig verdienen, dass sie auch bei einer anderen Art der Gewinnermittlung keine Steuer zahlen müssten - weshalb senkt man die Grenze für die Pauschalierung nicht einfach ab?Astl: Damit würden wir uns ein Riesenproblem bei der Sozialversicherung einfangen. Diese müsste dem anderen Weg der Einkommensermittlung folgen und würde sich damit eine Lücke von 200 Millionen Euro einhandeln. Der Vorteil aus der Einkommensteuer ist wesentlich kleiner als die Lücke, die bei der Sozialversicherung entstehen würde.

Doralt: Die Rechtmäßigkeit der Pauschalierung wird gerade vom Verfassungsgerichtshof überprüft. Welche Lösungskonzepte gibt es, falls diese fällt?

Astl: Bei der Prüfung geht es nicht um die Pauschalierung als solche, sondern um deren Bindung an die nicht aktuellen Einheitswerte. Wir setzen uns für eine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte ein, damit diese die heutige Situation widerspiegeln. Ich glaube, dass die Bauern zurecht die eine oder andere Bevorzugung haben. In Summe besteht jedoch Verteilungsgerechtigkeit.

"Wiener Zeitung": Die Arbeiterkammer schätzt die Steuervorteile für die Bauern auf 300 bis 400 Millionen Euro pro Jahr.Astl: Das ist eine Hausnummer, die durch nichts begründet ist. Wir sind sicher, dass der Vorteil aus der Pauschalierung weniger als 100 Millionen Euro ausmacht.

"Wiener Zeitung": Darüber hinaus wird den Landwirten für bis zu 50 Millionen Euro im Jahr die Mineralölsteuer (MöSt) auf Diesel rückvergütet. Zugmaschinen sind von der Kfz-Steuer befreit.Astl: Eine solche MöSt-Regelung gibt es in anderen Ländern auch. Ursprünglich war die MöSt zweckgebunden für Straßenbauprojekte, und Bauern nutzen mit ihren landwirtschaftlichen Fahrzeugen die öffentlichen Straßen ja nicht im großen Ausmaß.

"Wiener Zeitung": Österreich steht eine Budgetkonsolidierung ins Haus. Welchen Beitrag soll die Landwirtschaft hier leisten?Doralt: Würde man die Pauschalierung einschränken, brächte das nötige Transparenz, nicht das große Geld für den Fiskus. Ein erheblicher Beitrag wäre aber möglich, würden Gewinne aus der Veräußerung von Grund und Boden endlich steuerlich erfasst.

Astl: Jede Gruppe wird einen Beitrag bringen müssen. Wir sind diskussionsbereit, wenn es um realisierte Gewinne aus Umwidmungen in Bauland geht. Das ist ein Punkt, der sicher bei den Verhandlungen auf der Liste steht.

Doralt: Nehmen Sie noch einen Punkt mit: Derzeit sind Bodenschätze steuerfrei. Das gilt auch für Landwirte, die Schotter abbauen. Da geht es um Millionenbeträge.

Astl: Bodenschätze haben mit normaler Landwirtschaft gar nichts zu tun. Für Schotter und Wasser soll die Regelung so bleiben, wie sie ist.

Doralt: Also steuerfrei bleiben? Großartig!

"Wiener Zeitung": Außer der Besteuerung von realisierten Umwidmungsgewinnen - welchen Beitrag kann die Landwirtschaft zur Budgetsanierung leisten?Astl: Die Landwirtschaft will nicht fünfmal geschoren werden. Die EU-Förderungen für die österreichischen Landwirte werden in der nächsten Budgetperiode real gekürzt. Wir erwarten nicht, dass es dafür einen Ausgleich vom Staat geben wird. Darüber hinaus gibt es eine Debatte über die künftige nationale Kofinanzierung von EU-Förderungen. Für die laufende Periode bis 2013 pochen wir allerdings auf bestehende Vereinbarungen.

"Wiener Zeitung": Viele Experten sehen in einer Anhebung der Grundsteuer die beste Möglichkeit für neue Steuereinnahmen. Anders als Kapital und Produktion kann Grund und Boden ja nicht ins Ausland abwandern. Was hieße das für die Landwirtschaft?Doralt: Mit der Grundsteuer muss man bei der Land- und Forstwirtschaft vorsichtig sein. Hier gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Grund und Boden und dem Ertrag. Das wird man bei der Höhe der Grundsteuer berücksichtigen können, wenn gleichzeitig der echte Ertrag besteuert wird.