Zum Hauptinhalt springen

Bausparen auf Türkisch

Von Thomas Müller

Politik
"Die türkischen Kunden waren sehr dankbar", erinnert sich Semra Pamuk.

Small Talk in der Muttersprache erzeugt bei Kunden Vertrauen.


Wien. Erst vor wenigen Jahren haben heimische Großbanken die Zielgruppe der Migranten entdeckt. Gerne wurde mit dem Begriff Ethnobanking hantiert und Bankberater mit exotischen Namen wurden in den Vordergrund gestellt. Mittlerweile ist der Begriff Ethnobanking großteils entsorgt. "Es ist ein Unwort, aber wir haben kein besseres", sagt Peter Vesely, Pressesprecher der Raiffeisenlandesbank Wien/Niederösterreich, die 2008 das Thema aufgegriffen hat. Heute betont man eher die "selbstverständliche Beiläufigkeit", mit der auf Bedürfnisse von Zuwanderern eingegangen werde.

In der Praxis bedeutet das: Die Kundenbetreuer beraten auf Serbisch, Türkisch oder Kroatisch. Bis vor kurzem war das unüblich in den Bankfilialen, wenn nicht sogar unerwünscht. In der Regel sind die neuen Berater selbst zugewandert oder stammen aus Migrantenfamilien. Eine von ihnen ist Dafina Radic, die vor drei Jahren bei Raiffeisen in Wien-Ottakring mit der Arbeit begonnen hat. "Früher haben sich die Kunden für ihr schlechtes Deutsch geschämt. In der Muttersprache haben sie sich dann mehr geöffnet, sind selbstbewusster geworden und kommen gerne in die Bank", erzählt die Mittzwanzigerin, die in Wien geboren und aufgewachsen ist. Das Kundengespräch auf Serbisch zeichne sich vor allem durch die Länge aus: "Zuerst besprechen wir ausführlich das Private, dann erst das Geschäft."

Mit Sprachproblemen ist Anita Czap, Kommerzkundenbetreuerin bei der Erste Bank, weniger konfrontiert. Seit 2002 lebt die gebürtige Serbin in Wien, seit mehr als drei Jahren kümmert sie sich im 15. Wiener Gemeindebezirk um die Geschäftskunden, von denen ein geschätztes Fünftel Einwanderer sind. "Die meisten können gut Deutsch. Aber auch bei ihnen kommt es gut an, wenn ich sie auf Serbisch berate. Es ist gleich Vertrauen da, sie erzählen mehr über sich und die Familie", weiß Czap.

Keinesfalls würden aber alle serbischsprachigen Kunden sofort bei ihr landen: "Das wären auch zu viele. Wer gerade Zeit hat, übernimmt einen Neukunden. Wenn jemand nur wenig Deutsch kann, verweisen die Kollegen auf mich." Sowohl bei Raiffeisen als auch bei Erste Bank nennt man die persönliche Weiterempfehlung als wichtigsten Weg der Neukunden zu ihren Bankberatern. An die 6000 Neukunden mit Migrationshintergrund habe die Erste Bank in den vergangenen drei Jahren so gewinnen können, schätzt Czap.

Pionierin am Brunnenmarkt

Eine Pionierin bei der Beratung von Migranten war Semra Pamuk, heute Leiterin der Erste-Bank-Filiale in Wien-Atzgersdorf. Ihre Karriere hat bei der Bawag begonnen, wo sie ab 1995 wegen ihrer Türkisch-Kenntnisse in der Filiale am Brunnenmarkt eingesetzt wurde. "Zu mehr als 80 Prozent habe ich damals auf Türkisch beraten", erinnert sich Pamuk, die damals noch absolute Ausnahmeerscheinung war. Nach Karenz und FH-Studium landete sie 2004 in der Erste-Bank-Filiale Keplerplatz in Wien-Favoriten. "Dort konnte man die richtigen Österreicher an einer Hand abzählen, die Kundschaft war kunterbunt. Ich habe die Beratung dort sehr gern gemacht, weil ich selber Eltern habe, die der deutschen Sprache nicht sehr mächtig sind, und ihre Situation verstehe. Die türkischen Kunden waren dann sehr dankbar und haben neue Kunden gebracht", sagt die Mittdreißigerin.

Unweit des Keplerplatzes befindet sich die Raiffeisen-Filiale, in der Arzu Bakar und Seda Karakas arbeiten. Beide junge Frauen haben vor drei Jahren den berühmten "Hochzeitskredit" entwickelt, der als typisches Ethnobanking-Produkt durch die Medien gegangen ist. "Viele haben das falsch verstanden. Es ist kein eigenes Produkt, sondern ein spezielles Marketing für einen normalen Konsumkredit", erklärt Bakar. "Die Hochzeit ist in der türkischen Kultur eben sehr wichtig und kostet 10.000 bis 20.000 Euro", ergänzt Karakas. Durch die großzügigen Geldgeschenke einiger hundert Gäste wird der Kredit in der Regel bereits nach einigen Monaten zurückgezahlt. Allerdings folgen dann fast immer langfristige Kredite zur Familiengründung, etwa für die Wohnung.

Solche Marketing-Ideen waren in Favoriten dringend nötig, denn Migranten fanden bis vor wenigen Jahren selten ihren Weg zum Giebelkreuz. Erst die Ethnobanking-Plakate mit den Konterfeis der Beraterinnen im Schaufenster machten diese Zielgruppe auf die Bank aufmerksam. "Am Anfang hatten wir nur 20 bis 30 türkischstämmige Kunden. In fast drei Jahren haben wir das umgedreht. Bis zu 40 Prozent der Neukunden sind jetzt Migranten, davon viele auch aus Albanien und dem Kosovo", bilanziert Arzu Bakar.

Irgendwann kommt auch bei der Beratung in der Muttersprache der Punkt, an dem Verträge auf Deutsch unterschrieben werden. Im Alltag sei das kein Problem, meint Dafina Radic: "Ich gehe auf die Punkte ein, die wichtig sind. Das Kleingedruckte lese ich mir selbst auch nicht immer durch. Das Vertrauen der Kunden ist die Basis für ein Geschäft." Ähnlich sieht es Arzu Bakar: "Wenn Begriffe nicht verstanden werden, umschreiben wir das. Manche Wörter wie Bausparen gibt es auf Türkisch gar nicht. Aber das kennt ohnehin jeder." Schließlich seien ihre Kunden beim Thema Geld sehr sicherheitsorientiert.

Alles, was mit Wertpapieren zu tun hat, komme speziell bei der ersten Generation nicht in Frage. Das bestätigen auch die Kolleginnen bei der Erste Bank. Das liege an der Bildung und daran, "dass sich diese Leute ihr Geld nicht leicht verdient haben", meint Semra Pamuk. "Viele sind auch nicht bereit, eine Versicherung abzuschließen, weil sie es nicht verstehen." Als Filialleiterin in Atzgersdorf ist sie mittlerweile fast nur mit "echten" Österreichern als Kunden konfrontiert. Negative Reaktionen hat sie dabei bisher nicht erlebt: "Die Kunden sind manchmal erstaunt, aber respektvoll." Nur wenn sie auf der Straße türkisch rede, erlebe sie Äußerungen, bei denen sie denkt: "Das hättest du dir sparen können."