Zum Hauptinhalt springen

"Das Gewissen des Parlaments"

Von Heiner Boberski

Politik

Auch ihre politischen Gegner lobten die Gründerin der Caritas Socialis.


Wien. Am 29. Jänner erlebt der Wiener Stephansdom erstmals eine Seligsprechung. Im Auftrag von Papst Benedikt XVI. wird Kardinal Angelo Amato, der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen im Vatikan, die österreichische Politikerin und Gründerin der Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis Hildegard Burjan (1883-1933) selig sprechen.

Ignaz Seipel, in den 1920er Jahren österreichischer Bundeskanzler und Chef der Christlich-Sozialen, meinte einmal über diese engagierte Sozialreformerin, dass er "keinen Mann mit ausgeprägterer politischer Bildung, mit feinerem Fingerspitzengefühl als diese Frau gesehen" habe. Und der damalige Wiener Erzbischof, Kardinal Friedrich Gustav Piffl, nannte sie "das Gewissen des Parlaments". Für dessen heutigen Nachfolger, Kardinal Christoph Schönborn, ist die Seligsprechung der Beweis, "dass auch Politiker heilig werden können". Hildegard Burjan sei überhaupt die erste demokratisch gewählte Politikerin, die selig gesprochen wird.

Seligsprechungen bedeuten in der römisch-katholischen Kirche, dass jemand bei Gott ist und regional verehrt werden darf. Seit dem Jahr 2007 finden sie in der Diözese statt, in welcher der neue Selige gewirkt hat und in der das Andenken an ihn lebendig ist. Zuvor nahm sie in der Regel der Papst selbst in Rom vor - oder auf Reisen, wie am 21. Juni 1998, als Papst Johannes Paul II. während seines Österreich-Besuches auf dem Wiener Heldenplatz die Ordensleute Restituta Kafka, Jakob Kern und Anton Maria Schwartz selig sprach. Erst eine Heiligsprechung, für die ein weiteres Wunder nachzuweisen ist, bedeutet, dass jemand weltweit zur Ehre der Altäre erhoben ist.

Bereits 1963 hatte der damalige Wiener Erzbischof, Kardinal Franz König, den Seligsprechungsprozess eröffnet, nun hat das langwierige Verfahren, in dem das Leben einer Person genauestens unter die Lupe genommen wird und ein Wunder - meist eine unerklärliche Heilung - erfolgt sein muss, sein Ende gefunden. Im Fall von Hildegard Burjan betraf das Wunder eine Frau, die nach mehreren Operationen nicht mehr in der Lage schien, ein Kind zur Welt zu bringen. Dass sie nach Anrufung von Hildegard Burjan dann doch drei gesunden Kindern das Leben schenkte, konnten ihre Ärzte medizinisch nicht erklären.

Wundersame Bekehrung

Hildegard Burjan wurde die Karriere zur katholischen Seligen nicht in die Wiege gelebt. Sie kam am 30. Jänner 1883 als Hildegard Lea Freund in Görlitz in Preußisch-Schlesien in einer areligiösen jüdischen Familie zur Welt, maturierte 1903 in Basel und studierte dann in Berlin und Zürich Germanistik und Philosophie. 1907 heiratete sie den Techniker Alexander Burjan, der später in Wien Karriere machte und ein großes Haus führte. Im Herbst 1908 erkrankte sie schwer, ihr Zustand wurde von Monat zu Monat lebensbedrohlicher. Nach der unerwarteten plötzlichen Heilung zu Ostern 1909 wurde die religiös Suchende, stark beeindruckt von den sie pflegenden geistlichen Schwestern im Berliner St. Hedwigs-Spital, Katholikin.

Die Geburt ihrer Tochter Lisa im August 1910, nach der Übersiedlung nach Wien, brachte sie erneut in Lebensgefahr. Im Dezember 1912 gründete sie den "Verein der christlichen Heimarbeiterinnen" und erreichte für die Mitglieder höhere Löhne und eine Reihe sozialer Verbesserungen. Im Ersten Weltkrieg organisierte sie Hilfsaktionen. Mit dem Hinweis darauf, wie Frauen in dieser schwierigen Zeit "ihren Mann" stellen mussten, forderte sie später, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Rechte bekommen sollten, konkret: "Gleicher Lohn für gleiche Leistung."

In der Christlich-Sozialen Partei wurde man auf Hildegard Burjan aufmerksam. Im Februar 1919 wurde sie ins neue Parlament gewählt, dem nur acht Frauen angehörten, sieben Sozialdemokratinnen und sie als einzige Christlich-Soziale. Ihre Biographin Ingeborg Schödl verweist auf ein Zitat Burjans, das belegt, wie wenig sie in Parteibahnen dachte: "Wir Frauen wollen nicht unsere beste Kraft verbitternden, fruchtlosen Parteikämpfen opfern, sondern praktische, die Gesamtheit fördernde Arbeit leisten."

Der über Parteibarrieren hinweg gefundene Konsens beim "Hausgehilfinnengesetz", das diesem Berufsstand erstmals Rechtsgrundlagen für die Arbeits- und Lohnbedingungen bescherte, gehört zu den bleibenden Verdiensten Burjans, die bei den Wahlen 1920 nicht mehr kandidierte und dies mit ihrem schlechten Gesundheitszustand, der fehlenden Zeit für ihre Familie und dem ihr Gewissen immer wieder belastenden Klubzwang begründete. Feststeht, dass sie auch unter dem starken Antisemitismus in ihrer eigenen Partei litt.

Wäre NS-Opfer geworden

In den folgenden Jahren widmete sie sich umso mehr dem Ausbau der von ihr im Oktober 1919 gegründeten "Caritas Socialis", die sie bis zu ihrem Tode leitete, obwohl sie Ehefrau und Mutter war. Diese rasch wachsende religiöse Schwesterngemeinschaft kümmert sich seither besonders um Randgruppen der Gesellschaft. Von ihren heutigen Einrichtungen ist besonders das Hospiz am Wiener Rennweg, dem auch Papst Johannes Paul II. 1998 einen Besuch abstattete, bekannt.

Hildegard Burjan litt zeitlebens unter Schmerzen und musste gegen Ende ihres Lebens noch den Tod etlicher Weggefährten und die Scheidung ihrer Tochter, zu der sie nicht das beste Verhältnis hatte, verkraften. Vernachlässigung ihrer Familie aufgrund ihrer vielen Aktivitäten war auch ein wesentlicher Einwand gegen ihre Seligsprechung. Den Nationalsozialismus erkannte sie früh als große Gefahr. "Hätte sie länger gelebt, wäre sie sicher eines der ersten Opfer des NS-Regimes geworden", sagt Ingeborg Schödl.

Am 11. Juni 1933 erlag Hildegard Burjan, nachdem sie noch den Bau der Christkönigskirche im 15. Wiener Bezirk zum Gedächtnis an ihren Mentor Ignaz Seipel in die Wege geleitet hatte, ihrem jahrelangen Nierenleiden.

Wie anerkannt sie trotz aller damals sehr verhärteten Parteifronten auch bei politischen Gegnern war, bezeugen die Beileidszeilen des sozialdemokratischen Bürgermeisters von Wien, Karl Seitz: "Mit Hildegard Burjan ist eine Frau von uns geschieden, deren Andenken überall, wo man selbstlose Fürsorge schätzte, in Ehren gehalten werden wird."