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Der Prophet im Pop-Shop

Von Cigdem Akyol

Politik

"Islamic Streetart" mischt islamische Inhalte mit Symbolen aus der Popkultur.


Berlin.

Als Kopftuch ("hijab") tragende Freidenkerin zeigt der Designer die heutige Muslimin.
© Foto: Styleislam®

Melih Kesmen trägt sein Glaubensbekenntnis auf dem Kopf, der Brust oder auf dem Rücken. Auf T-Shirt und Baseballkappe steht etwa "I love my Prophet". Wahlweise bekennt er sich zu Mohammed auch mit seiner Tasche, die er sich lässig über die Schulter hängt. Kesmen zieht sich nicht nur selbst so an, er bedient einen Markt damit. Der Deutsch-Türke ist Gründer des Labels und Online-Shops Styleislam.

Kürzlich beschwerten sich zwei strenggläubige Christinnen an der Tür seiner Wittener Medienagentur, er würde mit seiner Kunst Jesus, den Messias, herabsetzen. "Die sind wenigstens persönlich auf mich zugekommen, das finde ich gut", sagt Kesmen. Nach einem freundlichen und sachlichen Gespräch - man einigte sich darauf, jede Religion mit Respekt zu behandeln - sei die Angelegenheit auch beendet gewesen - ganz friedlich.

Wenn es um seine Arbeit geht, ist der 36-Jährige auch andere Töne gewohnt. Das Motiv "Jesus was a Muslim" hat er aus dem Sortiment genommen, nachdem er Drohanrufe aus Bayern erhalten habe. "Es ist nicht unsere Absicht zu provozieren", sagt Kesmen. Er änderte den Slogan kurzerhand in "Jesus and Muhammad - Brothers in Faith" (Jesus und Mohammed - Brüder im Glauben).

Der Designer lebt mit seiner Frau Yeliz die muslimische Aufgeklärtheit: Beide sind sie Kinder türkischer Einwanderer, die keine Feindbilder zwischen der orientalischen und der westlichen Welt beschwören. "Ich sehe mich als islamischen Freidenker, der trotzdem nach konservativen Werten lebt", beschreibt Kesmen seinen Lebensstil. Was bei manchen für Irritationen sorgt, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Er trägt lange Haare, zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er geht gerne auf Jazzkonzerte, besucht aber auch regelmäßig die Moschee. Er betet fünf Mal am Tag und fastet. Er entwirft modische Kleidung, zu eng oder knapp darf sie aber nicht sein.

Melih Kesmen ist ein Beispiel dafür, wie Muslime in ganz Europa versuchen, traditionelle Werte und westliche Freiheiten zu vereinbaren. Pop-Islam nennt die Islamwissenschaftlerin Julia Gerlach die muslimische Bewegung, deren Vertreter einerseits sehr religiös sind, andererseits aber Symbole aus der Popkultur verwenden. Diese bilden keine einheitliche Gruppierung, aber für Gerlach sind sie vor allem Verbündete gegen Fundamentalismus und Terror. Gerlach sagt: "Unter Muslimen in Deutschland hat sich besonders seit dem 11. September eine Jugendkultur entwickelt, in der es keinen Widerspruch darstellt, frommer Gläubiger und guter Bundesbürger zu sein. Sie engagieren sich, wollen die Gesellschaft mitgestalten."

Melih Kesmen ist religiös.
© © Styleislam

Die Idee zu seinem Modelabel kam Kesmen 2005, als er in London arbeitete. Er kehrte gerade mit seiner Frau von der Pilgerfahrt ("Hadsch") zurück. "Das war das Abgefahrenste, was ich bisher erlebt habe", beschreibt er die Reise nach Mekka. Am meisten habe ihn beeindruckt, dass dort alle Menschen gleich seien. 2005 war aber auch die Zeit der Unruhen in den islamischen Gemeinden. Damals veröffentlichte die dänische Zeitung "Jyllands Posten" zwölf Mohammed-Karikaturen, und auch Kesmen war genervt von Zeichnungen, von denen eine den Propheten mit einer Bombe in seinem Turban zeigte. "Ich habe nicht verstanden, wie man unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit eine Religionsgemeinschaft mit 1,5 Milliarden Muslimen beleidigen konnte."

Der spontane Anfang

Er fühlte sich aber ebenso provoziert von den Muslimen, die überall in der Welt Flaggen und Botschaften anzündeten, sagt er. Kesmen wollte auf die Karikaturen reagieren. Auf ein T-Shirt ließ er sich deshalb in großen Buchstaben "I love my Prophet" drucken, und als ihn Unbekannte in der Londoner U-Bahn darauf ansprachen, sei er für einen Moment wie verzaubert gewesen. "So etwas Simples konnte plötzlich friedliche Dialoge zwischen Fremden auslösen."

Im Ramadan 2008 ging das Label Styleislam mit 25 Designs online - heute gibt es zwischen 40 und 50 Produkte, so genau weiß Kesmen es nicht. Es werden kleine Kopftuchmädchen als Schlüsselanhänger verkauft oder Babylätzchen und Strampler mit dem Aufdruck "Mini-Muslim". Ein anderer Slogan auf Oberteilen, Mützen und Taschen lautet "Terrorism has no Religion". Es gibt Taschen, hergestellt aus recycelten Autogurten, Lkw-Planen und Orient- und Gebetsteppichen. Die Taschenklappe lässt sich abnehmen und wieder als Gebetsteppich verwenden. Seinen Stil beschreibt der frühere Graffiti-Künstler als "Islamic Streetart".

Neben Deutschland sind Frankreich und Holland sein Kernmarkt, verkauft wird aber weltweit. Etwa 20 Prozent der Anfragen seien aus Österreich. In seiner Medienagentur arbeiten fünf weibliche Mitarbeiterinnen, die alle ein Kopftuch tragen. Dies sei kein Einstellungskriterium für ihn, aber auch nicht unwichtig. "Denn die Frauen finden sonst kaum Arbeit wegen ihrer Kopfbedeckung", sagt er.

Mode für die islamische Jugend.
© © Styleislam

Wie viele Produkte über die virtuelle Ladentheke gingen und was er damit verdiene, möchte Kesmen nicht sagen. Nur so viel: "Unsere Einnahmen haben sich seit der Gründung verzehnfacht." Im vergangenen Jahr wurden die ersten "echten" Geschäfte in Istanbul, Riad und Medina eröffnet, zwei Läden in Deutschland sollen demnächst folgen.

Bei all seinem Tatendrang fühlt sich Kesmen wegen der "vergifteten Atmosphäre" manchmal "wie im falschen Film". "Wenn ich Muslime nur aus den Medien kennen würde, dann hätte ich auch meine Zweifel", sagt er. Denn ständig werde nur über bärtige, wütende und beleidigte Islamisten berichtet, die ihre Frauen misshandeln. Dann schiebt er hinterher: "Aber diese Opfermentalität mancher Muslime geht mir auch voll auf den Sender." Was er meint? "Konstruktive und berechtigte Kritik wird von einigen Muslimen sofort als Hetze angesehen. Kritisches Denken muss sich bei uns noch stärker etablieren."

Website "Styleislam"