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Griechen sind nicht wie Deutsche

Von Yordanka Weiss

Politik
Ein Bild aus besseren Zeiten: griechische Fußballfans bei der EM 2008 in Wien.

Heimische Griechen erwarten Mentalitätswechsel in ihrem Land.


Wien. Griechenland schnallt den Gürtel nicht zum ersten Mal enger. Schon drei Mal war Athen in einer ähnlichen Situation und konnte aufgenommene Kredite nicht bedienen. Zuerst im Jahr 1843 unter der Regentschaft des aus Bayern "importierten" Königs Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach. 1893 folgte ein weiterer finanzieller Kollaps wegen eines kostspieligen Modernisierungsprogramms. Das dritte Mal passierte es 1932 als Folge der globalen Wirtschaftskrise von 1929.

Zurzeit möchte in Athen jeder, der ein Diplom hat und fremde Sprachen kann, ins Ausland ziehen. "Diese Krise ist die schwerste nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Situation ist dramatisch", erzählt Christina Chrysanthakopoulou, eine junge Diplomatin, die in der Griechischen Botschaft arbeitet. Die Suche nach einem Arbeitsplatz wird schwieriger, die Steuerbelastungen - unerträglich. Athen ist teurer als Wien, die Gehälter befinden sich im freien Fall. Das Sparen hat die Lebensgewohnheiten stark verändert, wirkt sich auf die Lebensqualität aus. Die Anzahl der Notleidenden steigt. Viele seien aber bereit, ihren Mitmenschen zu helfen.

Rund 5000 Griechen leben in Wien. Die Stimmung ist trüb. Man macht sich Sorgen um Familie und Freunde, ist aber froh, außerhalb des kriselnden Landes zu sein. Als die Kinder von Kastelorizo, einer kleiner Insel im östlichen Mittelmeer, keine Schulausstattung mehr hatten, wurde bei einer Veranstaltung mit griechischer Musik Geld gesammelt; es kamen auch viele Österreicher. Damit kaufte man Stifte, Bücher und Schulsachen und schickte sie nach Kastelorizo. "Die Krise kommt langsam nach Österreich", meint Alexandros Andralis, Obmann des Vereins griechischer Studenten und Akademiker. Deshalb plant er eine Diskussion, bei der griechische Intellektuelle über die schmerzhaften Erfahrungen ihrer Heimat berichten.

Griechische Spuren in Wien

Die Einwanderung nach Österreich fing im 17. Jahrhundert an. Die "griechischen Spuren" in Wien sind nicht zu übersehen. Der Bankier Georg Simon von Sina kannte die Arbeit des dänischen Architekten Theophil Hansen in Athen und holte ihn nach Wien. Hansen war bedeutender Vertreter des Klassizismus, der sich am griechischen Tempelbau orientierte. Seine "griechische" Unterschrift tragen der Musikverein, das Parlament, das Börsegebäude, die Akademie der bildenden Künste.

Damit ein guter Weg aus der finanziellen Misere gefunden wird, müssten internationale Entscheidungsträger die Mentalität der Menschen kennenlernen, meint Adamantios Skordos vom Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien. Angela Merkel möchte auf deutsche Art die Griechen disziplinieren. Dies funktioniere nicht: "Es geht nicht um den Willen, sondern um die Fähigkeit zu Reformen."

In der Militärdiktatur (1967-1974) wurde in Griechenland der Konsum angekurbelt, meint Adamantios Skordos vom Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien. Das Ergebnis: eine auf Krediten aufgebaute Wohlstandsgesellschaft. Politiker wurden "als zweite Eltern, die einen guten Job sichern" betrachtet. Man wuchs mit dem Traum eines sicheren Lebens als Beamter auf. Das Land bestehe aus Beamten und Beschäftigten im Tourismus, Industrie gebe es keine.

Historiker führen den aufgeblähten Staatsapparat auf den Griechischen Bürgerkrieg zurück. Die rechten Bürgerkriegssieger haben ab 1949 ihre Anhänger mit Posten im Staat belohnt. Als die Sozialisten 1981 an die Macht kamen, wurden dem linken "Klientel" Beamtenposten gesichert. Die Mehrzahl dieser Jobs entsprach nicht den realen Bedürfnissen des Staatsapparates. Von diesem Hintergrund ist das Entlassen von Beamten problematisch, da es die Betroffenen als politische Verfolgung wahrnehmen. Für Skordos ist es sicher, dass die junge Generation aus der Krise lernen werde, dass Leistung wichtiger ist als Beziehungen zu knüpfen.

Siehe auch Seite 26