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Die Türkei übernimmt den Laden

Von Stefan Beig

Politik
Inan Türkmen leugnet nicht seine kurdischen Wurzeln, doch in Österreich gilt er als Türke.
© © Stanislav Jenis

Inan Türkmen ist gebürtiger Kurde und will das Image der Türkei verbessern.


Wien. "Inan Türkmen - eben noch in der Universität, jetzt auf unserer Showbühne!" In diesem Stil wurden talentierte Bürger in der legendären Rudi Carrell Show präsentiert; an diese Worte fühlt man sich erinnert, wenn man verfolgt, wie schnell es der 24-jährige Inan Türkmen geschafft hat, mit einem 95 Seiten langen Werk mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Der Titel trifft den Nerv der Zeit. "Wir kommen" heißt das Buch. Die Thesen: Die Türken sind mehr, sie sind jünger, hungriger, stärker.

"Alle sagen: Das Buch ist von der Vermarktung und Aufmachung perfekt", erzählt Türkmen der "Wiener Zeitung". "Du musst provozieren, um gehört zu werden." Der Verdacht, es sei ein Marketinggag, verletzt ihn schwer. "Die letzten Monate hat mich nichts anderes beschäftigt." Sauer aufgestoßen ist Türkmen der Alltagsrassismus - anhaltende Beschimpfungen auf der Straße oder in der Straßenbahn, weil er nicht Deutsch spricht - und negative Türkei-Stereotype in der Öffentlichkeit. Andererseits gesteht Türkmen: "Ich bin ein unglaublicher Fan von Istanbul." Auch das ostanatolische Heimatdorf seines Vaters fasziniert ihn.

Türkmens Werk ist ein Beitrag zu einer emotionalen Debatte, die mitten in Österreich stattfindet. Als "Österreichs Antwort auf Thilo Sarrazin" wird es vom Verlag "edition a" beworben. Doch Türkmen selbst möchte nicht im Zusammenhang mit Sarrazin genannt werden. Was manche andere Austro-Türken überrascht: Das Buch handelt kaum von Österreich, sondern von der Türkei.

"Es ist eher unwahrscheinlich, dass er so das Image der Türken in Österreich verbessern wird", meint etwa Aynur Kirci, Redakteurin der Österreich-Ausgabe von der türkischen Zeitung "Zaman". Es sei auch Aufgabe der türkischstämmigen Bevölkerung in Österreich sich zu integrieren, "nicht die der Türkei."

Inan Türkmen betont: "60 Prozent des Buches handeln von der Türkei." Das war auch beabsichtigt: "Die Türkei ist in Österreich Hassobjekt Nummer eins. Es gibt nur diese negative Sicht, aber die Türkei hat auch sehr viele positive Seiten." Denen widmet er sich ausgiebigst: Die türkische Wirtschaft wächst schneller, ebenso ist auch der türkische Wohlstand stärker gestiegen als in irgendeinem europäischen Land, und von den demographischen Sorgen eines alternden Europas ist die Türkei ebenfalls weit entfernt.

Eine vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit hat der junge Austro-Türke Melih Gördesli mit seinem ähnlich gelagerten Buch "Ohne Heimat" bekommen. "Ich spreche unangenehme Wahrheiten hier in Österreich an. Das hört man nicht gerne", meint er. Türkmens Buch sei angenehm zu lesen. "Ich finde sein Buch interessant, es stellt geschickt Statistiken zusammen und ist sehr gut gelungen. Nur: Er behandelt Österreich überhaupt nicht." Hier sieht er einen Widerspruch zwischen Inhalt und Vermarktung. Für Gördesli ist Türkmen daher auch kein Vertreter der Türken in Österreich.

Was einige ebenfalls überrascht: Inan Türkmen stammt aus einer großen kurdischen Familie, deren Angehörige seit 20 Jahren die Unterdrückung der Kurden und Aleviten in der Türkei anprangern. "Ich kenne die Familie seit 30 Jahren", erzählt Ali Gedik, ein kurdischer Insider. Gedik stimmen das Buchcover mit der türkischen Flagge und auch Türkmens Interviews nachdenklich. Das Buch hat er noch nicht gelesen. "Türkmen bekennt sich zwar zu seinen kurdischen Wurzeln, doch gleichzeitig sagt er, er werde in Österreich stärker als Türke wahrgenommen." Türkmen hätte sich auch einfach auf die Seite der Unterdrückten stellen können.

Kurde als guter Türke?

Ali Gedik beobachtet bei vielen Kurden in Österreich das Bedürfnis, allen Türken zu signalisieren, dass sie sich hier nicht von den Türken abgrenzen, wo es eine so schlechte Stimmung gegen die Türkei gibt. Das stimmt Gedik etwas traurig. Tatsächlich ist das Buch aus einer türkischen "Wir-Position" heraus geschrieben. Zitat: "Es gibt ein paar Dinge, die uns stärker machen. Eines ist die Familie. Sie gibt uns Halt."

Vorschläge zu einer Verbesserung des Zusammenlebens in Österreich enthält das Buch nicht. Aynur Kirci fordert etwa ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr für alle Kinder. Es bräuchte ein "Kennenlernen von der Stunde null" an. Sie begrüßt Strafmaßnahmen für Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Und: "Die negative Atmosphäre in der Mehrheitsbevölkerung muss aufhören." Melih Gördesli betont: "Wir müssen zu einem gemeinsamen Patriotismus kommen. Da muss man einsetzen und allen einschließen." Man könne den Heimat-Begriff nicht umgehen. Gördesli fordert Integrationsprojekte, die an gemeinsamen Punkten anknüpfen, die alle interessieren, wie Musik und Sport.

Nur teilweise widmet sich Türkmen Europas türkeistämmiger Bevölkerung, etwa wenn er davon spricht, dass bei türkischen Unternehmern die "Dönerbude" langsam ausgedient hat und nun die Modebranche boomt. "Faktum ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund gerade den Wirtschaftsstandort Wien mit kreativen Ideen und Leistungen bereichern", betont Tülay Tuncel von der Wiener Wirtschaftsagentur Mingo Migrant Enterprises. "Rund 30 Prozent aller Gründer haben einen Migrationshintergrund. Das Zusammenleben kann gelingen, wenn wir uns dem Thema positiv annähern."

Einen positiven Ausblick bietet Türkmen am Ende seines Buchs: Alle - Türken und Europäer - werden sich vermischen. "Ihr profitiert von unserer Kraft und wir profitieren von dem Fortschritt, den ihr in den vergangenen Jahrzehnten erzielt habt."