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Das Gebot der Fröhlichkeit

Von Christof Habres

Wissen
Purim anno 1946: Als Hitler und KZ-Häftling verkleidete Schoa-Überlebende in Landsberg.

Mittwoch und Donnerstag feiert die jüdische Gemeinde Purim.|Ein fröhliches Fest, das einem ernsten geschichtlichen Hintergrund entspringt.


In den nächsten beiden Tagen werden sie wieder in den Straßen im ersten und zweiten Bezirk, der ehemaligen Mazzesinsel, zu sehen sein: die kleinen Prinzessinnen, die Ballerinas, die Piraten oder Magier auf dem Weg zu einem Fest. In Begleitung ihrer Eltern oder älteren Geschwister, die sehr oft opulente Geschenkkörbe mit sich tragen. Verspäteter Karneval? Nein, die jüdische Bevölkerung feiert Purim. Ein Fest im Monat Adar (Februar/März), genauer gesagt am 14. Adar des jüdischen Kalenders.

Da Purim kein Gebot der Thora ist, gelten an dem Tag die üblichen Feiertagsverbote, wie das Arbeitsverbot, nicht. Ein Fest mit einer jahrtausendealten Tradition. Ein Fest, an dem ausgiebig gefeiert, gesungen, gelacht und getrunken werden soll. Ein Fest aber auch, das auf einen ernsten Hintergrund verweist. Denn die ausschlaggebenden geschichtlichen Vorgänge zu diesem Fest waren alles andere als fröhlich.

Purim erinnert an ein vereiteltes Pogrom und die Errettung des jüdischen Volkes in Persien unter König Achaschwerosch (Xerxes I) im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Der genusssüchtige König hatte, nachdem er seine erste Frau Vasti hinrichten ließ, aus tausenden "Bewerberinnen" die Jüdin Ester als neue Gemahlin gewählt. Dass sie jüdisch war, hat sie ihm jedoch auf Anraten ihres Adoptivvaters und Onkels (manche Quellen sprechen auch von Cousin) Mordechai verschwiegen. Diesem Mordechai gelang es auch, den König vor einem geplanten Attentat zu warnen und ihm dadurch das Leben zu retten.

Hau den Haman

Er wurde dafür von Achaschwerosch mit einem guten Posten bei Hof belohnt. Sehr zum Missfallen des höchsten Regierungsbeamten des Königs, dem korrupten Haman. Der fühlte sich in seiner Eitelkeit und Selbstsucht königgleich und verlangte vom Hofstaat, ihm die gleichen Ehrbezeugungen zu erweisen wie dem Regenten. Wenn er auftrat, musste dieser niederknien. Was Mordechai aber verweigerte, weshalb er sich den Hass des Ministerpräsidenten zuzog.

Hamans Hass richtete sich jedoch nicht nur gegen den Juden Mordechai, sondern auch gleichzeitig gegen alle Juden im persischen Reich. Dieser Wahn gipfelte darin, dass er den Befehl gab, alle Juden des Reichs zu töten. Ein Los, hebräisch "pur", sollte entscheiden, an welchem Tag dieser Massenmord vollzogen werden sollte. Mordechai erfuhr von dem grausamen Plan und informierte Königin Ester. Sie kämpfte unter Einsatz ihres Lebens für ihr Volk, da sie Achaschwerosch ihre Identität als Jüdin nun preisgeben musste. Der König hatte aber ein Einsehen und Hamans mörderischer Plan scheiterte. Und nicht nur das: Haman und seine Familie endeten an jenem Galgen, der ursprünglich für Mordechai vorgesehen war. Nach der Rettung der persischen Juden wandelten sich die Sorgen und das Leid der Königin in Freude und die Tage der Angst und Verzweiflung wurden nunmehr als Festtage gefeiert. Tage, die fortan durch den Brauch gekennzeichnet waren und sind, dass man einander Geschenke macht und die Armen mit großzügigen Zuwendungen unterstützt.

Das sind zwei der vier Gebote, die anlässlich des Purim-Festes eingehalten werden sollen. Die beiden anderen sind die Lesung des Buches Ester, der Megillah, und eben das Essen, Trinken und Fröhlichsein, was mit dem Festmahl, dem Seuda, am Nachmittag des Purimtages ausufernd zelebriert wird. Wobei es bei der Lesung der Megillah Ester sehr laut hergeht. Denn der Name des grausamen Haman ist naturgemäß verpönt und kein Jude will ihn vernehmen. Da er aber in diesem Buch naturgemäß häufig genannt wird, werden diese Textstellen mit Geräuschen, Klopfen und dem Einsatz von Ratschen unhörbar gemacht. Wirklich "bemerkbar" ist Haman nur mehr in Form einer Puppe, auf die gerne hingeschlagen wird, und einer traditionellen Süßspeise - die Haman-Taschen. Ein dreieckiges Gebäck aus Mürbteig, das mit Mohn oder Pflaumenmus gefüllt ist und beim Festmahl gereicht wird. Eine Feier, die ausgelassen und freudig begangen wird. Purim ist auch das einzige Fest im Jahreszyklus, an dem es Juden ausdrücklich gestattet ist, auch zu viel Wein zu genießen. "Jeder muss so viel Wein trinken, bis er nicht mehr zwischen Haman und Mordechai unterscheiden kann", lautet ein geflügeltes Wort jüdischer Gelehrter zu Purim.

Sprachliche Verkleidung

Im Laufe der Jahrhunderte bereicherten verschiedene zusätzliche Elemente das Fest. Wie Aufführungen, Parodien und Darstellungen, die oft für humorvollen Spott an Gemeindemitgliedern genutzt werden. Oder aufwendig gestaltete, bunte bis schrille Karnevalsumzüge. Wie der weithin bekannte Umzug in Jerusalem, der "ad lo jada". Was auf Hebräisch so viel bedeutet wie "bis man nichts mehr wusste". Und natürlich die Kostümierung. Wobei nicht ganz auszumachen ist, ob dies auf einer gegenseitigen Beeinflussung der jüdischen und christlichen Religionen wurzelt oder aber an der Tatsache liegt, dass im Buch Ester "Gott" niemals direkt formuliert, sondern nur in Zusammensetzung verschiedener Worte beschrieben wird. Möglicherweise hat diese sprachliche Verkleidung in der Kostümierung zu Purim seinen Ausdruck gefunden.

Hitler als böse Puppe

Ein ungeheuer berührendes, zeithistorisches Dokument, wie Purim gefeiert wurde und man sich dazu verkleidet hat, ist im Österreichischen Jüdischen Museum in Eisenstadt zu sehen. Über Adolf Hitler als Haman-Puppe hängt eine ergreifende Schwarz-Weiß-Fotografie aus dem Jahr 1946, die Überlebende des Holocaust und nunmehrige "Displaced Persons" bei der ersten Purim-Feier nach dem Krieg bei Landsberg, dem Außenlagerkomplex Dachaus, zeigt, die lachend um einen als Hitler maskierten Menschen stehen und einer von ihnen, in KZ-Kleidung, packt ihn sozusagen am "Krawattl". Aufzeichnungen von Zeitzeugen zu diesem ersten Fest nach der Schoa beschreiben es als ein Ereignis von zentraler Bedeutung. Dieses Purim wurde für die Überlebenden zu einer symbolisch hochverdichteten Begräbnisinszenierung, wie Johannes Reiss, der Direktor des Museums, darlegt. Überall tauchten Haman-Puppen als Hitler auf, "Mein Kampf" wurde verbrannt. Für die Beteiligten war es so etwas wie das Begräbnis des Diktators. "Wir wussten, dass Hitler tot war, aber wir konnten nicht sehen, wo er war. Hier sahen wir, dass er hingerichtet und begraben wurde", wie es im Text zu diesem Ausstellungsbild heißt. Niemals zuvor mag - und wird es zukünftig hoffentlich auch nicht mehr - Purim für jüdische Menschen eine dermaßen tief greifende Bedeutung gehabt haben.

Nach der Katastrophe der Vertreibung und der Schoa und dem langwierigen - an Hindernissen reichen - Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Wien präsentiert sie sich gerade zu Purim in ihrer Vielfältigkeit und mit wiedererlangtem Selbstbewusstsein. Die Veranstaltungen sind dicht gedrängt. Seien es die Veranstaltungen im Misrachi-Haus am Judenplatz oder im Gemeindezentrum in der Seitenstettengasse, die sich an das junge Publikum richten. Oder die Partys der Jüdischen Österreichischen Hochschüler, die am Donnerstag ein "Purim Balagan" mit Kostümwettbewerb organisieren und die Einnahmen einem Kindertagesheim in Israel zukommen lassen. Oder das "Purim Spektakel" am Mittwoch im Stadttempel, bei dem Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg als DJ Sultan seinen Auftritt haben wird.

Es steht zu hoffen, dass der Funke der Lebensfreude dieses Tages auf weite Teile der Bevölkerung überspringt und Purim dadurch zu einem Barrieren überwindenden, gemeinsamen Fest werden wird.

Siehe auch:Wien Blog "Jüdisch leben": Let´s party