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Wer führt das Justizministerium?

Von Brigitte Pechar

Politik

Aus dem Ressort kommen umstrittene Vorschläge am laufenden Band.


Wien. Das Vertrauen in das österreichische Justiz- und Rechtssystem ist angeschlagen. Justizministerin Beatrix Karl hat innerhalb von nur zwei Wochen Erklärungsbedarf bei der Entstehung von zwei Gesetzen. Arbeitet das Justizministerium zu ungenau?

Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Justiz basiert vor allem darauf, dass seit Jahren sehr große Wirtschaftsstrafverfahren anhängig sind, in denen in der Sache wenig weitergeht. Da ist zum Beispiel der Fall Libro, wo es immerhin eine Entscheidung in erster Instanz gibt, und es ist die Causa Bawag, wo der Prozess ab April teilweise wiederholt werden muss, ebenfalls nicht abgeschlossen. Und dann gibt es vor allem die Verfahren Meinl und Buwog mit Karl-Heinz Grasser. In diesen beiden Verfahren ist gar nichts absehbar, weder ein Zeitraum noch, ob es zu einer Einstellung oder einer Anklage kommt.

Solch lange Entscheidungsprozesse lassen in der Bevölkerung einerseits die Vermutung, dass zu langsam gearbeitet wird, andererseits aber auch Zweifel an der Fähigkeit der Justiz aufkommen.

Nur acht Prozent der Bevölkerung bringen der Justiz uneingeschränktes Vertrauen entgegen, während ein solches bei jedem fünften Österreicher "eher nicht" beziehungsweise "gar nicht" mehr gegeben ist. Das hat eine repräsentative, im vergangenen Mai im Auftrag der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich durchgeführte Umfrage ergeben. Justizministerin Beatrix Karl hat zwar angekündigt, dass sie die Bereiche Strukturen, Organisation und Abläufe, Rechtsschutz und Verfahrensabwicklung sowie die äußere Darstellung und die Präsentation der Justiz "angehen" will, bisher ist davon aber noch nichts an die Öffentlichkeit gedrungen.

Betriebsanalyst notwendig

Der frühere Justizminister Dieter Böhmdorfer hat einen Rat für sie: "Es bedarf dringend einer betriebswirtschaftlichen Analyse - und zwar von außen -, ob die Staatsanwaltschaft nicht effizienter arbeiten könnte." Das sei ganz natürlich: In jedem Betrieb, wo Effizienzmängel festgestellt werden, würden externe Berater herangezogen. Im Justizministerium sieht Böhmdorfer vor allem das Problem, dass die Hierarchie verloren gegangen ist. Die Staatsanwälte hätten der Ministerin quasi das Weisungsrecht abspenstig gemacht. Die Staatsanwaltschaft sei aber aufgebaut wie eine Pyramide und funktioniere nun einmal hierarchisch. "Diese Frage gehört geklärt", rät Böhmdorfer. Er fordert ein Grundkonzept, am besten von einem Betriebsanalysten, der aufzeigt, wie die Effizienz gesteigert werden könnte.

Der Rechtsanwalt und frühere Justizminister übt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" heftige Kritik am derzeitigen Vorgehen der Staatsanwaltschaft: Es werde einfach darauf los ermittelt, riesige Aktenberge angehäuft und dann seien die Akteure überfordert. Er rät erstens zu einem Konzept, ehe man an einen großen Fall herantritt, und zweitens, stärker auf Sachverständige zurückzugreifen. Denn diese könnten etwa von Anfang an klären, welche Akten von Unternehmen oder Banken tatsächlich angefordert werden müssten. Ansonsten würden Tonnen von Akten eingeholt, die dann mühsam gesichtet werden müssten.

Zu wenig Schulung

Der frühere Richter und Rechnungshofpräsident Franz Fiedler schlägt in eine ähnliche Kerbe: "Bei großen Wirtschaftsstrafverfahren wird vielfach keine gezielte Vorgangsweise vorgenommen." Früher habe man genau geschaut, welche Unterlagen benötigt und welche nicht benötigt würden. Heute werde oft die gesamte Buchhaltung von Firmen beschlagnahmt. Ein Sachverständiger könnte da schon vorher die Spreu vom Weizen trennen, meint auch Fiedler. Sowohl Staatsanwälte als auch Richter würden seiner Meinung nach viel zu wenig geschult, damit sie zielgerichtet vorgehen könnten. Und Fiedler findet auch, dass die Anzahl der Staatsanwälte aufgestockt werden müsste.

Die Staatsanwälte sind nur eine Seite der Medaille. Die Frage ist, welchen Anteil hat die Ressortleitung am Unbehagen in der Bevölkerung. Denn in der Einschätzung der Minister seit Christian Broda sind sich Kenner des Hauses einig: Broda habe das Ministerium im Griff gehabt. Er habe immer gewusst, was er wollte und sei mit der Materie vertraut gewesen. Dann sei mit Egmont Foregger ein erfahrener Richter und Sektionschef in die Verantwortung getreten. Dem Notar Nikolaus Michalek werden zumindest keine großen Fehler nachgesagt - und dann kam Böhmdorfer. Auch ihm wird attestiert, dass er das Justizressort - im positiven Sinn des Wortes - geleitet hat. Mit seinem Namen bleibt die Fertigstellung der Reform der Strafprozessordnung und die gemeinsame Obsorge verbunden. Über Karin Gastinger wollen viele gar nichts sagen. Maria Berger sei zwar nur kurz Ressortchefin gewesen, habe sich aber sehr bemüht gezeigt. Enttäuscht war der Richterstand dann von Kollegin Claudia Bandion-Ortner.

Bei Beatrix Karl lautet von allen Seiten das Urteil, dass sie auf ihrem Gebiet - sie ist Universitätsprofessorin für Arbeits- und Sozialrecht - eine Kennerin sei, aber leider sei das "ein zu schmaler Rechtsbereich". In Straf- und Zivilrechtssachen sei sie auf andere angewiesen. Und da kommt dann vor allem Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek ins Spiel. Er ist die Graue Eminenz im Ministerium. "Blitzgescheit, aber nicht uneitel, wenn es darum geht, seine Meinung durchzusetzen", beurteilt ihn ein Jurist.

Die Grundkritik von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten am Palais Trautson ist, dass nicht mehr erfahrene Richter oder Staatsanwälte mit leitenden Positionen betraut würden, sondern sehr häufig eher unerfahrene Juristen oder politiknahe Personen eingesetzt würden. "Diese Menschen haben die Praxiserfahrung nicht und dann kommt es eben zu voreiligen Schnellschüssen", heißt es.

Ein Grundproblem der Arbeit des Justizressorts sei, dass eine in der Substanz gute Gesetzesänderung nicht mit allen Experten abgesprochen werde, sagt etwa der Präsident der Vereinigung der Staatsanwälte, Gerhard Jarosch. Und aufgrund mangelnder Kommunikation ginge dann das Ganze noch versteckt in einem Gesetzeskonvolut und zur Unzeit hinaus. Er rät, vor allem die Kommunikation zu verbessern und Gesetzesmaterien der Bevölkerung besser verständlich zu machen.

Das Legalitätsprinzip, das ein Grundprinzip der österreichischen Bundesverfassung ist, sieht vor, dass die Verwaltung auf Grundlage der Gesetze auszuüben ist. An der Spitze der Verantwortlichkeit steht die Ministerin, die wiederum selbst dem Parlament jederzeit Rede und Antwort stehen muss sowie durch dieses abgesetzt und unter Anklage gestellt werden kann.

Die Ministerin hat das Recht, durch Weisungen oder Erlässe Einfluss auf die Anklagebehörde zu nehmen. Dies bedeutet einerseits, dass sie Vorhaben der Staatsanwaltschaft genehmigen, also die Verfolgung eines Bürgers anordnen, andererseits eine solche Verfolgung unterbinden kann. Seit 2008 gibt es in Österreich ein zweigliedriges Weisungssystem: Weisungen können von der Justizministerin an den Oberstaatsanwalt und von dort an den Staatsanwalt ergehen. Auch Vorhabensberichte der Staatsanwaltschaften müssen nach diesem Muster abgesegnet werden: Wenn ein besonderes öffentliches Interesse – Beispiele hierfür sind der Tierschützer-Prozess oder die Ermittlungen in den Causen Bawag und Buwog – besteht, dann muss die Staatsanwaltschaft der Oberstaatsanwaltschaft ihren Vorhabensbericht vorlegen. Diese wiederum muss das Dokument an die "Weisungsabteilung" im Justizressort übermitteln. Letztere kann kleine Änderungen vornehmen. Eine Weisung liegt aber nur dann vor, wenn das Ministerium dem Ansinnen der Staatsanwaltschaft nicht entspricht.
Die Sinnhaftigkeit des Weisungsrechts wird allerdings immer wieder von verschiedenen Seiten bezweifelt. Das Justizministerium setzt sich ständig dem Verdacht der parteipolitischen Einflussnahme aus – vor allem, wenn das Weisungsrecht nicht professionell eingesetzt wird. So hat Claudia Bandion-Ortner im Frühjahr 2011 –  nur wenige Tage vor ihrer Ablöse als Justizministerin – für Aufregung gesorgt, als ihr bei den lange dauernden Wirtschaftsstrafsachen der Kragen platzte und sie unter anderem die Weisung ausgab, dass das Buwog-Verfahren innerhalb von zwei Monaten erledigt sein müsse. Dies ist bekanntlich bis heute nicht geschehen.

Immer wieder gibt es daher Forderungen, das Weisungsrecht von der Person des Ministers abzuziehen und stattdessen einer – vor allem politisch – unabhängigen Stelle an die Hand zu geben. Überlegungen hierzu sind neben einem "Rat der Gerichtsbarkeit" oder der Kontrolle durch das Parlament auch die Verlagerung des Weisungsrechts auf die Generalprokuratur, also den Anwalt des Bundes, oder aber die Einrichtung eines unabhängigen Bundes- beziehungsweise Generalstaatsanwalts. Für einen Bundesanwalt haben sich bisher nicht nur die Richter und Staatsanwälte, die naturgemäß wenig vom ministeriellen Weisungsrecht halten, ausgesprochen, sondern auch Nationalpräsidentin Barbara Prammer und Bundespräsident Heinz Fischer.