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Wiener Rap auf Identitätssuche

Von Ali Cem Deniz

Politik
"Österreich hinkt der Entwicklung hinterher", meint RAF 3.0. Er ging nach Berlin.
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Nazar und Raf 3.0 haben Wien etwas verspätet auf die Rapkarte gebracht.


Wien. "Unsere Sprache kostet nichts. Sie gehört uns allen. Man kann sie nicht privatisieren", schreibt Mark Greif, Herausgeber des New Yorker Kulturmagazins "n+1", in seinem Essay "Rappen lernen". Das könnte eine mögliche Erklärung dafür sein, weshalb Jugendliche aus benachteiligten Gruppen stets eine besondere Nähe zur Rapmusik hatten und maßgeblich ihre Entwicklung bestimmten. Eine Rockband braucht mehr Ressourcen: Instrumente, Proberaum und Musikunterricht. Bei Rap hingegen gilt: "I just need a mic(rophone)."

Ende der 1970er Jahre waren es junge Afro-Amerikaner und Hispano-Amerikaner, die in New York zu den Pionieren jener globalen Kultur wurden, die heute Hip Hop genannt wird. Rap ist neben Graffiti, Breakdance und DJing eine der vier Säulen des Hip Hop. Damals war der Rapper noch der MC (Master of Ceremonies), der wie ein Animator den DJ (disc jockey) begleitete. Mit der Zeit wechselten sie die Rollen, und der MC wurde zum Frontman von Hip-Hop-Formationen. Standen anfangs die Beats im Vordergrund, wurden zunehmend die Lyrics, also die Texte, wichtiger. Diese Entwicklung ist keine zufällige. Rap ist direkter als jedes andere Genre der Pop-Musik. Er ist ideal, um Botschaften zu verbreiten und Geschichten zu erzählen. Auch das ist ein Grund dafür, weshalb Jugendliche mit Migrationshintergrund oder aus marginalisierten Gruppen das Mikrofon in die Hand nahmen.

Authentisch, brutal

In Wien ist es nicht anders. In den 90er Jahren waren es Gruppen wie die Fünfhaus Posse oder die Aphrodelics, die in der Wiener Rapszene Pionierarbeit leisteten. Auch hier waren es vor allem junge Migranten, die über die direkte Sprache der Rap-Musik ihre Geschichten erzählen. Dass die Geschichten auch wirklich "ihre" Geschichten sind, ist im Rap besonders wichtig. Lange Zeit war Authentizität das oberste Gebot. Was nicht "real" und keine "street credibility" hatte, war uninteressant. Das "Realness-Gebot" war es auch, das in den 1990er Jahren in den USA den Gangstarap an die Spitze der vielfältigen Rapszene trieb. Während in den 80er Jahren Gruppen wie Grandmasterflash and the Furious Five über soziale Ungerechtigkeit und Diskriminierung rappten, war der Gangstarap der 90er Jahre stark hedonistisch, gewaltverherrlichend und ohne gesellschaftskritische Botschaften.

Mittlerweile ist die Authentizität nicht mehr essenziell für den Erfolg von Rapmusik. In den USA ist der Gangstarap ein Relikt aus vergangenen Zeiten. In Wien hingegen ist er immer noch das dominante Subgenre der Rapmusik, besonders unter Rappern mit Migrationshintergrund. Den Grund dafür kennt Rapper Raf 3.0: "Österreich hinkt der Entwicklung hinterher. Die Neuerungen aus den USA kommen sehr spät in Wien an." Raf zählt mit Nazar zu den größten Namen in der Wiener Rapszene. Doch seit fünf Jahren lebt der Rapper in Berlin. Den Gangstarap hat er überwunden. In seinen Liedern erzählt er nicht von kriminellen Straßengeschichten, sondern von zwischenmenschlichen Beziehungen, digitaler Kultur. Mit Erfolg: Sein aktuelles Album ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich in den Top Ten der Charts.

Der "Underground" der Wiener Rapszene hingegen ist vor allem im Internet anzutreffen. YouTube und Facebook sind die wichtigsten Plattformen für eine Vielzahl junger Rapper und Gruppen wie Ali Capone, Bloody MC oder Sua Kaan. Dort verbreiten sie ihre Lieder und Videos. Die meisten sind dem klassischen Straßenrap zuzuordnen.

In den Videos zeigen sich Rapper gemeinsam mit ihren "Crews" in den düstersten Ecken von Wien. Sowohl die visuelle Ästhetik der Videos als auch der Inhalt der Texte erinnern stark an den deutschen Gangstarap, wie Bushido ihn Anfang des Jahrtausends praktizierte. Die Geschichten des amerikanischen Gangstaraps waren zumindest teilweise glaubwürdig, der deutsche Gangstarap hingegen wirkte oft peinlich. Und jetzt Wien als Zentrum von Ghettos und Kriminalität?

Nur wenig Wienerisch dabei

Dass aus Wien nie das teils so gefürchtete Chicago geworden ist, wissen auch die Rapper. Trotzdem inszenieren sie sich selbst als harte Männer der Straße, die zwischen Kriminalität und Arbeitslosigkeit hin und herpendeln. "Mann, die Straße hat mich hart gemacht, / zu einen Krieger des Betons hier am Straßenrand", singt Nazar in "Kinder des Himmels"; die ästhetisch-düsteren Bilder seines Videoclips verwandeln die U-Bahn-Station Reumannplatz in einen zwielichtigen Treffpunkt der Jugendgangs. Die hedonistischen Motive des Gangstarap erleben in den Liedern der Wiener Rapper eine Renaissance: Geld, Drogen und Hypersexualität.

Was alle Rapper teilen, ist auch der starke Bezug zu bestimmten Orten - Straßen, Parks und Bezirken; das Geschehen findet in Fünfhaus, Ottakring und Favoriten statt. Die "eigenen" Gebiete werden immer wieder in den Liedern erwähnt. Obwohl Wien sehr häufig als Motiv auftaucht, ist aber wenig von Wien zu hören.

Die Aussprache der Rapper orientiert sich stark an deutschen Vorbildern. Das ist ein Verlust, denn gerade bei der Aussprache könnte der Wiener Rap seine Stärke und Eigenständigkeit beweisen. Nur wenigen Rappern hört man es sofort an, dass sie aus Wien kommen. Die Gruppe Die Vamummtn etwa ist mit ihrer Fusion aus Mundart und Rap erfolgreich und eigenständig zugleich. Zugegeben: Wer die Wiener Mundart nicht kennt, wird stellenweise glauben, eine Fremdsprache zu hören. Doch die Vamummtn sind nicht die Einzigen ihrer Art. Die Urgesteine des österreichischen Rap Texta aus Linz setzen ebenso auf ihren oberösterreichischen Dialekt.

Rapszene hat noch Potenzial

Dass man ohne Dialekt Erfolg haben kann, zeigen etablierte Rapper wie Raf 3.0 und Nazar. Joshimizu, ehemaliger Kollege von Raf 3.0 in der Formation Family Bizz, rappt abseits von düsteren Straßen und kriminellen Biografien. Mit seiner exzellenten Technik demonstriert er das Potenzial der Wiener Rapszene.

Noch ist Joshimizu eine Ausnahme und das wird sich nicht so schnell ändern. Der Rap macht in Wien eine nachholende Entwicklung durch. Die Neuerungen aus Amerika aber auch Frankreich werden sehr spät aufgenommen. Doch es sind nicht nur die zeitgemäßen Elemente, die fehlen, sondern auch die Eigenständigkeit und dafür braucht der Wiener Rap eines: mehr Wien.