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Neugründung auf den "Ruinen der Parteien"

Von Brigitte Pechar und Katharina Schmidt

Politik

Unzufriedenheit mit den etablierten Gruppen bereitet den Boden für neue.


Wien. "Die Volksparteien in Österreich bilden die Veränderungen in der Gesellschaft nicht ab." Dieser Meinung ist Organisationsentwickler und Politikberater Matthias Strolz. Er arbeitet derzeit gemeinsam mit 63 anderen Personen an der Gründung einer neuen Partei. Derzeit lasse sich das Gefühl in Österreich, das über allem stehe, mit "Stillstand" beschreiben. Dem will der Politikexperte entgegenwirken. Über eine tatsächliche Parteigründung soll im Herbst entschieden werden. Bereits vor einem Jahr hat Strolz in einem Interview in der "Wiener Zeitung" angekündigt, dass "auf den Ruinen der Parteien Neues entstehen" wird.

Ob wie Phönix aus der Asche alter Parteien . . .
© © © Images.com/Corbis

Die Proponenten dieses Projekts seien Sympathisanten der SPÖ, der ÖVP der Grünen und des liberalen Lagers. "Das ist eine überparteiliche Geschichte. Was uns eint, ist ein anderes Politikverständnis: offen, ehrlich, wertschätzend", sagt Strolz. "Wir gehen sehr pragmatisch an die Sache heran." Und die Proponenten dieser neuen Partei - Namen und Positionen sollen erst am Ende der Parteienfindung stehen - hätten ein systemisches Politikverständnis: "Es gibt nicht die eine Lösung für ein Problem." Als große Herausforderung einer Parteigründung bezeichnet Strolz deren Finanzierung. Aber da, so verspricht er, werde man "ganz transparent" vorgehen.

Als Trägerrakete für die neue Partei soll der Verein "Österreich spricht", dienen, der schon in sechs Wochen präsentiert werden soll und zu Diskussionsrunden einladen wird. Transparenz und Antikorruption werden die ersten beiden Themen bilden - sozusagen als Landebahn für Interessierte. Obmann dieses Vereins wird Strolz selbst sein, wiewohl der Personenkreis dieses Vereins und jener der Partei nicht ganz ident seien. Allen gemeinsam ist aber: "Wir wollen jetzt gestalten."

Karas und Busek dementieren Beteiligung

An Strolz’ Projekt beteiligt sind, so hört man, unter anderem der ÖVP-nahe Lobbyist und Politikerberater Feri Thierry und Markus Heingärtner, bis vor kurzem Bundesgeschäftsführer des liberal ausgerichteten Management Clubs. Gerüchte, wonach der Delegationsleiter der ÖVP im Europaparlament, Othmar Karas, ebenfalls an der Initiative beteiligt sein soll, weist dieser zurück. Auch Ex-ÖVP-Vizekanzler Erhard Busek, dessen Name ebenfalls in der Gerüchteküche aufgetaucht war, dementierte auf Anfrage eine direkte Beteiligung. Er glaubt jedenfalls, dass die ÖVP Angst vor einer neuen Partei hat - das sei bei der gegenwärtigen Performance der Volkspartei "kein Wunder", sagte Busek. Generell hält er nicht nur die Parteienlandschaft, sondern überhaupt das derzeitige System der repräsentativen Demokratie für "äußerst gefährdet", da es den Parteien an Überzeugungskraft fehle.

Erfolg der Piratenpartei in Deutschland

Dass sich "das etablierte Parteienspektrum nicht sicher sein darf", wie es der Politikberater Thomas Hofer ausdrückt, zeigt die Piratenpartei in Deutschland gerade vor. Am Sonntag hat sie im Saarland aus dem Stand mit vier Sitzen den Sprung in den Landtag geschafft. 7,4 Prozent erreichten sie und holten sich die Stimmen von allen großen Parteien, vorwiegend aus dem Lager der Nichtwähler (etwa 28 Prozent). Von CDU, SPD und der Linken haben die Piraten je 15 Prozent der Wähler an sich binden können, von den Grünen immerhin 11 Prozent und von der FDP 6 Prozent; die restlichen 10 Prozent kommen von anderen. Die Piratenpartei wurde 2006 gegründet und konzentrierte sich ursprünglich auf Themen der digitalen Gesellschaft, hat aber seither ihr Themenspektrum erweitert. Zuletzt hat die Piratenpartei im Dezember 2011 ein bedingungsloses Grundeinkommen in ihr Programm aufgenommen. Schon bei der Berliner Wahl haben die Piraten mit 8,9 Prozent aufgezeigt. Derzeit stellen sie 180 Mandatare in Deutschland.

Für Peter Ulram vom Marktforschungsinstitut Ecoquest ist die Wählerstromanalyse aus dem Saarland "plausibel". "Solche neuen Parteien ziehen von allen Stimmen ab", sagt der Politologe. Die derzeitige Situation ähnle sehr der Zeit, als sich die Grünen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts formierten. Es bestehe - wie auch damals - eine Zone diffusen Unbehagens, das zuerst an den Rändern der Parteien ausbreche und sich schließlich in einer neuen Partei manifestiere. Allerdings brauche es meist einen längeren Prozess, bis tatsächlich aus Protestbewegungen und politischen Gruppierungen eine neue Partei entstehe. Auch die Grünen hätten ihre Organisationsformen erst einmal stabiler gestalten müssen - "irgendwann wurde daraus eine etablierte Partei, wenngleich die Grünen selbst davon nichts wissen wollen, aber sie sind es".

"Die Empörung ist groß" - Gefahr für die Etablierten

Es gebe jetzt - und der Korruptionsuntersuchungsausschuss trage dazu in hohem Maß bei - besonders viel Kritik an den negativen Erscheinungen der Politik. "Die Empörung ist groß", sagt Ulram. Aber daraus entstünden nicht automatisch Parteien. Allerdings ist er davon überzeugt, dass bei der nächsten Nationalratswahl 2013 neue Parteien antreten werden, spätestens bei der übernächsten. "Und diese Parteien werden allen etablierten Parteien Stimmen wegnehmen - nicht nur SPÖ und ÖVP, sondern auch der FPÖ, den Grünen und dem BZÖ." Der Schreck - "halt, das könnte uns treffen" - werde also auch in die FPÖ einziehen, so Ulram.

Der Politologe Anton Pelinka glaubt indes, dass neu gegründete Parteien vor allem den Grünen und den Freiheitlichen schaden werden. Denn diese würden vor allem Jungwähler ansprechen, die "frei von Lagermentalität" und damit besonders beweglich sind, sagt Pelinka. Das Projekt von Matthias Strolz hält der Politologe für ein "Kunstprojekt" - eine bloße Parteispaltung sei "zu wenig".

. . . oder im Labor: Parteigründungen sind nie einfach. Fotos:Corbis
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An und für sich gibt es in Österreich ja genügend Parteien: Um die 900 sind es, wenn auch großteils Karteileichen. Die hartnäckigste Neugründung der vergangenen Jahre sind da wohl die Christen, die immer wieder - wenn auch erfolglos, aber mit unerschütterlicher Zuversicht - zu Wahlen antreten.

Eine Piratenpartei (PPÖ) gibt es auch in Österreich - sie will sich auf der Generalversammlung am Sonntag basisdemokratisch und unter dem Motto "Freiheit" einen neuen Kurs geben. Mit Bürgerbeteiligung punkten will auch eine weitere Neugründung: Die "Online Partei Österreichs" (OPÖ) lädt am Dienstag in Wien zur Antrittspressekonferenz. Parteigründer Christian Obermayr erklärt sein Vorhaben: Man befinde sich außerhalb des normalen ideologischen Spektrums von rechts-mitte-links. Vielmehr gehe es darum, "etwas voran zu bringen". Man verstehe sich als "Lobbyisten für das Volk", auch ein klassisches Wahlprogramm fehle.

Voggenhuber sieht "Laborgeburten" skeptisch

Derartige "Laborgeburten von Parteien" beäugt Johannes Voggenhuber, Ex-EU-Parlamentarier und Grüner der ersten Stunde, mit Skepsis: "Ich sehe keine ernsthaften, erfolgversprechenden Bemühungen", sagt er. Allerdings werde der "Stillstand massiver und provozierender - die Großparteien verlieren massiv, und die Grünen sind nicht imstande, das für sich zu nutzen". Voggenhuber sieht eine "vehemente Gefahr für die Demokratie", denn damit sinke die Wahlbeteiligung so stark, dass Regierungen selbst bei guten Ergebnissen kaum noch als demokratisch legitimiert gelten könnten. Das Vakuum, das neue Parteien füllen könnten, sei also vorhanden.

Was aber braucht eine politische Gruppe, um sich als Partei zu etablieren? Ulram:

  • Es braucht Figuren - Repräsentanten, die herzeigbar sind.

  • Es braucht ein Minimum an Organisation. Das Internet alleine, reicht auf Dauer nicht aus.

  • Es braucht inhaltliche Anliegen - und zwar mehr als nur eines. Man darf gespannt sein, ob das den offenbar zahlreichen Neugründungen gelingen wird.

Zur Person: Matthias Strolz