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Muslime als Pflegeeltern gesucht

Von Yordanka Weiss

Politik
Pflegeeltern wie Pflegekinder sind immer öfter Migranten.
© © © Nick Cardillicchio/Corbis

Die Suche nach passenden Pflegeeltern ist manchmal sehr schwierig.


Wien. Anna ist gerade zwei Jahre alt geworden. Sie sitzt in ihrem Kinderwagen, knabbert Waffeln mit Eis und schaut rundum glücklich aus. Was man nicht sieht: Das kleine Mädchen hat bereits viel erlebt. Anna ist ein Pflegekind und lebt seit einem Jahr bei Mirna und Ibro Nikolic, einem Paar mit serbischen Wurzeln.

Es ist eine von 500 Pflegefamilien in Wien. "Pflegekinder wurden in ihren Herkunftsfamilien entweder vernachlässigt, körperlich oder seelisch misshandelt, oder sexuell missbraucht", erklärt Herta Staffa vom Jugendamt (Magistratsabteilung 11). Die Eignung der Pflegeeltern wird zuerst überprüft. Das System der Pflegeeltern wurde über Jahre hin weiter entwickelt und zunehmend professioneller. Mittlerweile durchlaufen potenzielle Pflegeeltern eine Ausbildung beim Jugendamt, werden auf ihre Aufgabe vorbereitet und werden, nachdem sie ein Kind in ihre Familie aufgenommen haben, von Sozialarbeitern der Regionalstellen des Jugendamtes begleitet.

Da viele Pflegekinder in Wien ausländische Wurzeln haben, sind Paare mit Migrationshintergrund als Pflegeeltern besonders gefragt. Auch Wiener ohne österreichische Staatsbürgerschaft können sich bewerben. "Es geht um den Erhalt der kulturellen Wurzeln der Kinder", berichtet Staffa. "Es wäre fein, wenn wir vor allem bei muslimischen Kindern mehr Pflegeeltern mit diesem Hintergrund hätten." Sie betont aber, dass die Bedürftigkeit des Kindes im Vordergrund steht und daher auch die Stärken der Pflegeeltern wesentlich sind.

Die leiblichen Eltern von Pflegekindern haben das Sorgerecht verloren. Ihr Verhältnis zu den Pflegeeltern ihres Kindes ist oft schwierig. Was tun sie, wenn die Pflegeeltern eine andere Religion haben? "Manche leibliche muslimische Eltern sind mit christlicher Erziehung für ihre Kinder einverstanden, manche - nicht", behauptet Staffa. "Die Hauptthemen sind Religion und Schweinefleischessen. Dabei versuchen die Pflegeeltern die Kinder weitestmöglich über Religion zu informieren, damit sie nicht gänzlich vom ursprünglichen Kulturkreis abgeschnitten sind." Ebenso können auch Kinder österreichischer Herkunft von ausländischen Paaren betreut werden, was ebenfalls zu Konflikten führen kann.

In der Regel müssen Bewerber eine gewisse Lebenserfahrung mitbringen. Die Praxis zeigt, dass die meisten Pflegeeltern nicht jünger als 25 Jahre alt sind, wenn sie ihre Aufgabe übernehmen. Der Altersabstand zum Pflegekind sollte 40 Jahre nicht übersteigen, damit ein natürliches Eltern-Kind-Verhältnis entstehen kann. Die persönlichen, sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen werden beim Auswahlverfahren ebenfalls überprüft. Erst dann erteilt das Jugendamt eine gesetzliche Bewilligung zur Aufnahme eines Pflegekindes und überträgt ihnen die Pflege und Erziehung des Kindes.

"Ein gesichertes Einkommen ist eine wichtige Voraussetzung", betont Mirna Nikolic. Sie ist im Sozialbereich tätig, ihr Mann ist Informatiker. Beide leben seit 20 Jahren in Wien. Zuerst wollte das Paar ein Kind adoptieren. Das änderte sich, als sie während der Ausbildung für Adoptiveltern Informationen über Pflege erhalten haben. "Leibliche Eltern können die Rückgabe des Pflegekindes anstreben. Mit diesem Gedanken müssen wir leben", sagt Mirna Nikolic. Trotz dieses Damoklesschwertes hat sich die Familie für Dauerpflege beworben und in drei Monaten Anna bekommen.

Laut Psychologen sollte der Kontakt zu den leiblichen Eltern erhalten bleiben, sofern er nicht das Kind gefährdet. Es sei wichtig für das Kind zu wissen, woher es kommt. In der Betreuungsstelle des Jugendamts kommt es zu regelmäßigen Treffen mit der leiblichen Mutter von Anna. Die Frau ist alleinstehend und ohne Job. Sie möchte ihr Kind zurückhaben und ist nicht einverstanden, dass die Pflegeeltern ausländischer Herkunft sind. Noch dazu: Anna wächst zweisprachig auf und fährt mit den Pflegeeltern gelegentlich nach Serbien. "Psychologen haben uns geraten, auch unsere Muttersprache mit dem Kind zu sprechen, also tun wir dies auch", argumentiert Nikolic.

Sprachbarrieren zu Eltern

Wenn österreichische Familien Pflegekinder mit ausländischen Wurzeln wiederum aufnehmen, gibt es laut Jugendamt problematische sprachliche Barrieren, die sich zwischen Eltern und Kindern oder zwischen den Pflegeeltern und den leiblichen Eltern ergeben. Dies passiere vor allem dann, wenn Eltern der deutschen Sprache kaum mächtig sind.

Pflegeeltern bekommen eine Aufwandsentschädigung für die durch Pflege und Erziehung entstehenden Kosten wie Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Schulartikel, einen Anteil an Wohnungs- und Energiekosten sowie einer altersgemäß gestalteten Freizeit. Pflegeeltern haben einen Anspruch auf Familienbeihilfe und auf Kinderbetreuungsgeld. Dennoch ist eine der Voraussetzungen die finanzielle Unabhängigkeit der Bewerber. Das heißt, das vorhandene Familieneinkommen muss zur Aufbringung der Lebenskosten ausreichen. Das schließt weitgehend aus, dass Pflegeelternschaft ein Zubrot für kinderreiche ausländische Familien sein könnte.

Dass das Geld dem Kind zu Gute kommt, überprüft das Jugendamt durch regelmäßigen Kontakt zur Pflegefamilie. Mirna und Ibro Nikolic bekommen 16 Mal 460 Euro im Jahr. Pflegeeltern können sich auch für ein geringfügiges Gehalt anstellen lassen. Mirna Nikolic will das nicht. Die Anstellung ist mit Seminarbesuchen und Supervision verbunden: "Ich möchte meine gesamte Aufmerksamkeit Anna widmen."