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Broder, Henryk M.: Vergesst Auschwitz!

Von Christian Ortner

Politik
Sie sind gegen das Vergessen: Teilnehmer am jährlichen "Marsch der Lebenden" am 19. April 2012 in Auschwitz-Birkenau.

In einem furiosen Text erklärt uns Henryk M. Broder die Ursachen des Antisemitismus.


Wenn Henryk Broder hält, was er verspricht, dann ist sein jüngstes Buch "Vergesst Auschwitz - Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage" sein unwiderruflich letztes zum Thema. Denn künftig, hat er in
einem Interview mit todernster Mine erklärt, "geht es um die relevanten Themen: Essen, Sex und Reisen".

Ein typischer Broder-Sager, das. Witzig, ironisch, immer ein wenig zynisch - und völlig unfähig, einem gepflegten intellektuellen Raufhandel aus dem Wege zu gehen. "Ich bin kein Dichter, ich bin ein Kotzer", hat der langjährige "Spiegel"- und nunmehrige "Welt"-Journalist einmal nicht ohne Koketterie über sich selbst behauptet. Als Gegner wünscht man ihn sich eher nicht: Wo Broder hinschreibt, wächst gewöhnlich nämlich viele Jahre lang kein Gras mehr. (Über den von ihm nicht sonderlich geschätzten Barden Konstantin Wecker schrieb er etwa einmal: "Nicht einmal Konstantin Wecker, der Anfang 2003 ein Konzert in Bagdad gab - als ob die Menschen dort nicht schon genug leiden mussten...")

Die zentrale These seines jüngsten Werkes: "Die Deutschen leiden an Hitler wie andere an Schuppenflechte. Aus dem Versuch, sich gegen die eigene Geschichte zu immunisieren, ist eine Autoimmunerkrankung geworden. Ob es um den Einsatz in Jugoslawien oder in Afghanistan geht, (...) immer steht das Nazi-Menetekel an der Wand und fordert seinen Tribut. Das ritualisierte Gedenken verschafft keine Erleichterung, es ist nicht mehr als eine leere Geste, eine Ablenkung von der Gegenwart - oder sogar noch Schlimmeres."

Noch Schlimmeres, das ist für Broder vor allem die ihm nicht zu Unrecht realistisch erscheinende Möglichkeit einer iranischen Nuklearattacke auf Israel; ermöglicht durch zu langes Zuschauen und Wegschauen des Westens und vor allem Deutschlands. "Die Deutschen sind dermaßen damit beschäftigt, den letzten Holocaust nachträglich zu verhindern, dass sie den nächsten billigend in Kauf nehmen. Man kann sich ja nicht um alles gleichzeitig kümmern, man muss Prioritäten setzen." Denn was haben die Deutschen aus der Nazizeit gelernt? Broder: "Dass vom deutschen Boden nie wieder ein verlorener Krieg ausgehen darf!"

Den leichten Wettbewerbsvorteil, dass er als bekannter Jude eine gewisse Grundimmunisierung gegen den Vorwurf mangelnder Sensibilität in jüdischen Angelegenheiten genießt, nützt er erwartungsgemäß bis zum Anschlag aus: "Ich war einmal in Auschwitz und kann jedem vom Besuch dieses Open-Air-Museums nur abraten. Man erfährt nichts, was man nicht schon wusste, und das Essen in der KZ-Kantine ist zwar besser geworden, als es vor 70 Jahren war, aber immer noch miserabel..."

Im gleichen, gelegentlich an Woody Allen in Höchstform gemahnenden Tonfall erläutert er uns bei dieser Gelegenheit die wahren Ursachen jenes Antisemitismus, der in Auschwitz kulminiert ist: Die Juden würden demnach verfolgt, "weil sie den Monotheismus erfunden, die Zehn Gebote eingeführt und das Menschenopfer abgeschafft haben. Weil der Polytheismus lustiger ist, die Zehn Gebote fast alles verbieten, was Spaß macht, vom Mord bis zum Ehebruch, und Menschenopfer die ersten Mega-Events waren, so wie heute die Love-Parade und das Kampftrinken bis zum Umfallen am Ballermann..."

Exklusives Kainsmal

Ebenso präzise erklärt uns Broder die eigentümliche Obsession fast aller deutscher Linker mit dem Schicksal der Palästinenser. Israel und die Erinnerung an den Holocaust sei für die hauptberuflichen Palästinenserversteher ein Stachel im Fleisch, "ihr obsessives Interesse an der Israel-Frage speist sich vor allem aus einer Quelle: dem Wunsch, irgendjemand möge den Job zu Ende bringen, den die Nazis nicht vollbracht haben, um die Deutschen von ihrem exklusiven Kainsmal zu befreien(...) Erinnerungstechnisch wären die Deutschen besser dran, wenn die Nazis die Endlösung vollendet hätten, wenn also niemand da wäre, der sie daran erinnert, dass sie versagt haben."

Dass Broder künftig nur mehr über "Essen, Sex und Reisen" schreiben will, ist angesichts dieses scharfsinnigen Buches leider eine gefährliche Drohung.

Henryk M. Broder: Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage. Knaus Verlag, 176 Seiten, 17,50 Euro.