Zum Hauptinhalt springen

Schüler an Migration interessiert

Von Christa Hager

Politik
Auf positives Feedback bei den SchülerInnen stößt das Forschungsprojekt.
© (c) Migrationen im Schulbuch

Jugendliche wünschen sich keine einseitigen Texte in ihren Schulbüchern.


Wien. Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, in der sich Menschen mit Migrationshintergrund und Alteingesessene gleichermaßen wohl fühlen? Und was könnte ein erster Schritt auf den Weg zu dieser Gesellschaft sein? Diese Fragen beschäftigen derzeit nicht nur Wienerinnen und Wiener auf der Suche nach ihrer Charta des Zusammenlebens, sondern sind seit mehr als einem Jahr Teil eines Forschungsprojekts mit dem Titel "Migration(en) im Schulbuch". Denn Schulbücher zählen zu den am häufigsten gelesenen Medien Österreichs: 1.166.525 Schüler gab es laut Statistik Austria im Schuljahr 2010/2011 insgesamt in Österreich. Ihre Bücher prägen zu einem großen Teil auch ihre Wahrnehmung.

Lange Zeit überwogen negative Bilder über Migration: Wie frühere Schulbuchanalysen zeigen, wurden MigrantInnen oder Personen mit Migrationshintergrund in den Unterrichtsbüchern meist als einheitlicher Block dargestellt, negative Sprachbilder dominierten. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich hier schon viel verbessert, trotzdem wird häufig noch von "Flüchtlingswellen" gesprochen oder Afrika ausschließlich als Kontinent des Hungers und Krieges oder der Auswanderung dargestellt. "Und das Symbolbild für Integration ist immer wieder die kopftuchtragende Frau", fasst Heidi Weinhäupl, eine der drei mit dem Projekt befassten Wissenschafterinnen am Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit das Ergebnis ihrer bisherigen Schulbuchanalyse zusammen.  Doch die Forschungsarbeit bleibt nicht bei den Schulbüchern stehen, sondern bezieht deren Benützer selbst mit ein: Lehrer und Lehrerinnen und vor allem Schüler und Schülerinnen. Wie geht das?

Migrationsgeschichten

In acht verschiedenen Klassen verschiedener Schultypen (von KMS über HTL, HAK, NMS und AHS Ober- und  Unterstufe) in Wien und Salzburg wurden Workshops durchgeführt. In einer ersten Phase mussten die Jugendlichen in Kleingruppen in ihren Schulbüchern Beispiele über Migration und Integration suchen. Darauf folgten Diskussionen und Rollenspiele, "um die Schüler und Schülerinnen für diese Thematik zu sensibilisieren", wie Weinhäupl im Gespräch mit der Wiener Zeitung erklärt. Zeitleisten mit historischen Eckdaten von Migrationen aus und nach Österreich sowie Bild- und Textanalyse waren die nächsten Schritte. Welche österreichischen Migrationsgeschichten werden in Schulbücher erzählt, welche nicht? Welche Fotos werden verwendet, welche Rolle spielen dabei Kleidungsstücke wie zum Beispiel das Kopftuch? Kommen auch deutsche Migranten vor? Dies sind einige der Fragen, die mit den Schülern im Zuge dessen erörtert wurden.

Dürften Schüler ihre Lehrbücher selbst schreiben, so würden sie auf diskriminierende Texte, Bilder und Karikaturen sowie auf einseitige Darstellungen verzichten. Dies verlautet zumindest die Checkliste für Schulbuchautoren, welche die 14-15jährigen Jugendlichen der AHS Geringergasse in Wien Simmering ausgearbeitet haben. Und für die Wunschgesellschaft der 17- bis 18-jährigen Schüler der HTL Ungargasse wäre es wichtig, dass jede Person als Individuum betrachtet wird, dass man sich mit den Migrationshintergründen der Menschen vertraut macht und dass die Sprache sensibel verwenden wird.

Kritische Auseinandersetzung

Dass mit dem Projekt der Umgang mit und Sensibilität für Sprache gefördert wird, darüber freut sich auch Claudia Valsky,  die Direktorin der am Projekt beteiligten AHS Geringergasse. "Es ist wichtig, dass wir die jungen Menschen darauf aufmerksam machen, wie Sprache Denken beeinflusst", sagt sie zur Wiener Zeitung.  Wie es um die "Mitarbeit" der Lehrenden an ihrer Schule stehe? Die kritische Auseinandersetzung mit Integration und Migration habe in ihrer Schule traditionell viel Gewicht, sagt die Direktorin. Die Mehrheit der Lehrpersonen stehe daher auch hinter diesem Projekt.
Aber auch die Mitarbeit und Resonanz der Schüler während der Workshops sei sehr gut gewesen, freut sich die Wissenschafterin Weinhäupl. "Wir waren immer wieder positiv überrascht, wie hoch das Interesse in den Klassen war und wie offen sie dem Thema gegenüber waren." So wünschten sich beispielsweise viele Schüler, dass die Schulbücher vermitteln sollten, welche Begriffe diskriminierend sind und nicht mehr verwendet werden sollen. "Sie verlangen aber gleichzeitig eine einleuchtende Erklärung dafür, einfach nur streichen oder verbieten wäre nicht genug", sagt sie.

In einem abschließenden Schritt werden die Forscherinnen die Resultate der Workshops in den Schulen mit ihren Analysen der Schulbücher vergleichen und zusammenführen. Aus den Themen, denen den Schülern wichtig waren, werden die Projektleiterinnen auch Unterrichtseinheiten gestalten und Hintergrundinformationen dafür erarbeiten. Schüler wie Lehrer bekommen auf diese Weise das Werkzeug dafür, in Zukunft selbstständig Schulbücher und andere Medien zu analysieren. Wichtig ist den Wissenschafterinnen auch, dass diese Inhalte dann an die Schulbuchverlage und  –autoren weitergeleitet werden. Denn Ziel des Projekts sei vor allem, dass Migration in Zukunft nicht mehr bloß als Nebensächlichkeit behandelt wird, sondern als ein Teil der österreichischen Geschichte überhaupt, betont Weinhäupl.

Website des Projekts Migrationen im Schulbuch