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"Sind keine offene Gesellschaft"

Von Christina Aumayr-Hajek

Politik
"Ein Migrationsstaatssekretariat würde ich begrüßen."
© © © Bubu Dujmic

Leiter der Abteilung für Sozialpolitik der Wirtschaftskammer, fordert eine Migrationsstrategie für erforderliche Zuwanderung.


"Wiener Zeitung": Österreichs Berechnungen zum Pensions- und Sozialsystem basieren auf der Annahme, dass jährlich 32.100 Menschen zuwandern. Die tatsächliche Netto-Zuwanderung ist deutlich niedriger. Wie beurteilen Sie das?Martin Gleitsmann: Diese 32.100 Zuwanderer basieren auf hohen Zuwanderungszahlen der Vergangenheit. Das lässt sich nur mit einer umfassenden Migrationsstrategie erreichen. Derzeit tun wir nichts dafür. Ich vermisse in Österreich eine Willkommens-Kultur und die nötigen Rahmenbedingungen für einen unbürokratischen, schnellen Einstieg gut ausgebildeter Kräfte auf unserem Arbeitsmarkt.

Zum Beispiel?

In der politischen wie medialen Debatte wird immer noch Asyl mit Migration verwechselt, diese Unterscheidung ist aber notwendig. Es stellt sich auch die Frage, warum qualifizierte Asylwerber nicht arbeiten dürfen? Wir wollen für gut ausgebildete Asylwerber nach sechs Monaten eine befristete Arbeitserlaubnis, denn hier geht viel Potenzial verloren.

Laut OECD-Studie weist Österreich einen der höchsten Anteile an Zuwanderern auf, die unter ihrem Qualifikationsniveau arbeiten.

Hier sehe ich auch Handlungsbedarf. Je höher die Qualifikation, umso niedriger müssen die Aufnahmehürden sein. Die Anerkennung von Bildungsabschlüssen muss verbessert und die Verfahren rascher abgewickelt werden. In Österreich wird jeder Antrag als Angriff auf unseren Arbeitsmarkt verstanden, entsprechend freundlich ist dann das Verhalten. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, hin zu mehr Offenheit und Serviceorientierung.

Studenten aus Drittstaaten in Österreich bleibt der heimische Arbeitsmarkt verschlossen.

Diese Studenten müssen wir in Zukunft unbedingt im Land halten. Das ist im Rahmen der Rot-Weiß-Rot-Card jetzt möglich. Seit Juli 2011 können Drittstaatsangehörige mit Arbeitsplatzangebot eine Rot-Weiß-Rot-Card beantragen.

Wie sollen die Studenten ihre Chance nützen, wenn die Rot-Weiß-Rot-Card nicht aktiv kommuniziert wird?

Wir haben im ersten Schritt die Rahmenbedingungen geschaffen, damit Studenten nach Studienende sechs Monate in Österreich bleiben können, um einen Job zu suchen. Im zweiten Schritt muss die Kommunikation folgen.

Andere EU-Länder gehen längst von einem Schrumpfungsszenario der eigenen Bevölkerung aus, Österreich rechnet mit einem gleichbleibenden Niveau. Wie das?

Eine gewagte Annahme, diese Zahlen werden wir uns genau ansehen müssen, um dann eine Kurskorrektur einzuläuten.

2009 und 2010 kamen deutlich weniger gut ausgebildete Zuwanderer als erforderlich nach Österreich. Wo bleibt die Kurskorrektur?

Verdrängung hat bei uns Tradition. Ein Beispiel: 2008 wurde ein Nachhaltigkeitsbericht zum Pensionspfad erstellt, der die Entwicklung der Pensionen wiedergibt. Nach zwei Jahren hat man erkannt, dass die Annahmen zu optimistisch waren. Was ist passiert? Man hat den Bericht für die nächsten Jahre ausgesetzt, das Thema war weg. Wurde im jetzt präsentierten Sparpaket das Frühpensionsalter angehoben? Nein.

In Österreich darf man also weder über Zuwanderung noch über die Anwerbung qualifizierter Zuwanderer sprechen?

Es ist ein Angstthema. Die Stimmung zur Zuwanderung wurde durch jahrelang geschürte Ängste beeinträchtigt. Dumpfe Ressentiments überwiegen. Eine positive, sachbezogene Auseinandersetzung fehlt. Die Fakten liegen auf der Hand: Arbeit erzeugt Arbeit, Zuwanderung schafft Wachstum und damit Wohlstand.

Der Beitrag von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz?

Er macht seine Sache sehr gut, er geht das Thema mit sehr viel Engagement und Offenheit an.

Das Thema Migration spart er aus.

Er ist auch für Integration zuständig. Ich würde ein Migrationsstaatssekretariat begrüßen. Wir brauchen eine Stelle, die das Thema voran treibt.

Deutschland hat den Bedarf an qualifizierter Zuwanderung erkannt. Über die Goethe-Institute werden in Südeuropa junge Menschen mit Deutschkursen und erleichterten Aufnahmekriterien geworben.

Ja und es wäre schön, wenn einige diese jungen Menschen auch nach Österreich kommen würden.

Ihre deutschen Kollegen würden sich sicher sehr freuen . . .

Natürlich müssen wir auch selbst aktiv werden, etwa über Botschaften oder Außenhandelsstellen der Wirtschaftskammer.

Was ist dazu konkret geplant?

Wir führen eine intensive Debatte darüber, wie wir uns aktiv einbringen können. Jetzt darüber zu sprechen, wäre verfrüht, konkrete Ergebnisse kommen 2013.

Was fehlt Ihnen zum Thema Zuwanderung in Österreich?

Vorausschauendes Denken und der politische Mut und die Konsequenz, die Dinge auch umzusetzen und durch zu tragen. Wir sind keine liberale, offene Gesellschaft. Vielfalt wird als Bedrohung verstanden. Es macht keinen Sinn Probleme zu negieren, wir hatten über Jahrzehnte eine starke Zuwanderung vor allem schlecht qualifizierter Zuwanderer. Diese Zeiten sind vorbei, aber in den Köpfen der Menschen hängen sie standhaft fest.

Stichwort Mythenbildung: Ausländer zahlen mehr in unser Sozialsystem ein als sie heraus bekommen. Warum hält sich das Gegenteil so standhaft?

Gute Frage, aber finden Sie einmal einen Politiker, der diesen Umstand öffentlich macht.