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Ein Wir-Gefühl im Film finden

Von Stefan Beig

Politik
Für den Oscar nominiert wurde dieses Jahr "In Darkness" von Agnieszka Holland.
© Let‘s CEE

Das Festival "Let‘s CEE" passt perfekt nach Wien, finden einige Cineasten.


Wien. Wien als Festivalort für zentral- und osteuropäische Filme: Die Idee geht auf die polnisch-stämmige Slawistin Magdalena Zelasko zurück. Am Montag startet in Wien erstmals das von ihr intiierte und geleitete "Let‘s CEE"-Filmfestival mit 30 neuen Kinoproduktionen aus der CEE-Region. Einige fragen sich nun, weshalb mehr als 20 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vergehen mussten, bis so ein Projekt verwirklicht wurde. "Ich halte die Idee für eine totale Marktlücke", meint der junge bosnisch-stämmige Drehbuchautor und Kenner der exjugoslawischen Filmszene Senad Halilbasic. "Österreich hat ein tolles Festival-Angebot und Wien ein tolles Kinoprogramm, aber diese Schiene für den CEE-Bereich fehlt völlig und war eigentlich schon längst überfällig. So ein Festival - das gehört doch zur Wiener Kultur!" Halilbasic ist auch Koordinator des interkulturellen Projekts "Diverse Geschichten" zur Entwicklung von Drehbüchern.

Eine "historische Chance" sieht darin auch Schauspielerin und Moderatorin Mercedes Echerer, die den Spielfilm-Wettbewerb von "Let’s CEE" kuratiert. "Wirtschaftlich sind wir ja schon längst mit der CEE-Region verflochten." Bei der Kunst lief es nicht so schnell. Anders als die Wirtschaft sei Kultur von Fördergeldern abhängig und habe kein Eigenkapital. Kunstprojekte seien damit territorial gebunden. Selbst bei Kooperationen müsse der Großteil des Geldes im eigenen Land ausgegeben werden. Echerer fordert eine "weitsichtige, grenzüberschreitende Kulturpolitik, koordiniert auf europäischer Ebene." Der Hauptmangel liegt aber für Echerer wie Halilbasic bei der Rezeption. "Es gibt fantastische ungarische Komödien, deren Humor dem wienerischen verwandt ist", erzählt Echerer. "Niemand kennt die in Österreich. Unwissenheit herrscht auf beiden Seiten." Das Festival soll den Austausch fördern.

Das Programm ist stark durchmischt. Es umfasst Filme aus Bosnien, Serbien, Rumänien, Tschechien, Polen, Bulgarien und vielen anderen Staaten. Das Festival beginnt prominent: "In Darkness" von der mehrfach ausgezeichneten Regisseurin Agnieszka Holland wurde heuer für den Oscar nominiert. Das auf wahren Begebenheiten beruhende Kriegsdrama handelt von jüdischen Flüchtlingen, die sich 1943 in der Kanalisation der polnischen Stadt Lvov versteckten und dort vom Handwerker Leopold Socha entdeckt wurden.

Einige Dokumentarfilme widmen sich der exjugoslawischen Musiklandschaft, wie etwa "Orchestra" rund um die Band "Plavi Orkestar" aus Sarajevo, die in der Spätzeit Jugoslawiens zu den Superstars des Balkan-Beat zählte. Mit dieser Musik hat Jugoslawien damals zu einem Wir-Gefühl gefunden. Sogar der Krieg hat den Erfolg der Band nicht beendet.

Um die zentrale Rolle der Kunst in Exjugoslawien kreist auch "Cinema Komunisto" von Regisseur Mila Turajlic. Die unter Präsident Josip Broz Tito massiv ausgebaute und finanzierte Kinokultur wird hier ausführlich beleuchtet. Senad Halilbasic hält den am 1. Juni im Apollo Kino gezeigten Streifen für besonders sehenswert. "Er liefert einen wunderbaren Einblick in ein ehemaliges Studio-System, das damals das einzige in Europa war, aber außerhalb Jugoslawiens kaum wahrgenommen wurde, obwohl es sogar zu Kooperationen mit Hollywood kam." Die gewagte, aber gut untermauerte These des Films sei: Das, was Jugoslawien damals zusammengehalten hat, war das Kino. "Tito war Cineast. Er wusste, wie man die Menschen durch das Kino bindet."

Zu wenig Marketing?

Nach dem Krieg ernteten manche exjugoslawische Filmemacher internationale Aufmerksamkeit: "No man‘s Land" des bosnischen Regisseurs Danis Tanovic erhielt 2002 den Oscar - und 41 weitere Preise. Doch in den letzten Jahren wurden die Produktionen weit weniger stark wahrgenommen, obwohl, wie Halilbasic meint, ihre Qualität nicht nachgelassen habe. Dass viele gelungene Filmproduktionen kein breiteres Publikum finden, liegt Mercedes Echerer zufolge auch am fehlenden Marketing: Für professionelle Pressearbeit bräuchten manche Kinostreifen einfach mehr Mittel. Deshalb würden etwa "polnische und bosnische Filme kaum wahrgenommen, nur als Nischen-Kino eben." Das sei der Unterschied zu bekannteren britischen und französischen Filmen, die sich eine entsprechende Werbung leisten könnten.

Das Publikum für solche Filme sei da. Echerer spricht aus eigener Erfahrung: Mit ihrer Initiative "EU XXL Die Reihe" schuf sie ein Wanderkino, das Monat für Monat quer durch Österreich europäische Filme direkt zu den Menschen bringt, auch in ländlichen Provinzen. "Das Interesse wächst", erzählt sie. Menschen entdeckten in den Geschichten anderer Länder ihre eigenen Geschichten. Gerade über das Kino könne man Gemeinsamkeiten, und ebenso Vielfalt erleben. "Der Film kann helfen, Unterschiede zu erkennen und respektvoll mit ihnen umzugehen." Bemerkenswert ist für Echerer, dass das "Let’s CEE"-Team großteils aus jungen Österreichern mit Migrationshintergrund besteht, die ihre Wurzeln entdecken. "Die Ghettoisierung bricht durch die zweite und dritte Generation auf. Das ist die große Chance!"

Die hohe Anzahl an Menschen aus der CEE-Region in Österreich mache das Festival für Österreich besonders wichtig, meint Halilbasic. Letztlich geht es aber um die Filme selbst: "Französische oder englische Filme schaue ich mir an, weil es gutes Kino ist, nicht notwendigerweise um die englische oder französische Kultur kennenzulernen." Exzellente Filme kämen auch aus Osteuropa, nur seien sie weniger bekannt.