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Musiker im Schatten des Krieges

Von Nada Andjelic

Politik
Immer mit Kappe: Sasa Losic ist eine ex-jugoslawische Legende - vor und nach dem Krieg.
© letscee

"Orkestar" ist ein Balkan-Roadtrip. Es geht um den Star und um die Menschen.


Wien. Als "intime Reise durch Zeiten, die uns erst verhätschelten und schließlich zerschmetterten", beschreibt Regisseur Pjer Zalica seinen neuen Film "Orkestar" gegenüber der "Wiener Zeitung". Die Reise besteht aus Erzählungen über eine der erfolgreichsten Bands Ex-Jugoslawiens: Plavi Orkestar (Blaues Orchester), die 1983 in Sarajevo von Bandleader Sasa Losic gegründet wurde und schon als die Beatles Jugoslawiens bezeichnet wurde. Mehr als fünf Millionen verkaufter Tonträger, acht Alben und mehr als 1500 Konzerte weltweit kürte das - laut Musikenzyklopädien - "kulturelle Phänomen der 1980er und 1990er Jahre".

Ko-Autor und Hauptakteur des Films ist Sasa Losic, der erfolgreiche Sänger und Komponist der Band, dessen Karriere der Film mehr als 105 Minuten lang verfolgt. Losic ging mit seiner Band durch eine Zeit des politischen, gesellschaftlichen, aber auch persönlichen Umbruchs. Plavi Orkestar war die 1983 gegründete Antwort aus Sarajevo auf die musikalische Bewegung der new primitives - eine neue Form des Rocks gemischt mit Folk- und Popkomponenten, nachdem die Welle von Punk und Rock allmählich abgeflaut war. Ironisch sollte die Musik sein, erfolgreich war sie auf jeden Fall. Es gibt wohl kaum eine Person in Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, Makedonien und vor allem Slowenien - wo die Band Publikumsrekorde aufstellte -, die Plavi Orkestar nicht kennt. Niemand hatte zuvor mit diesem einschlagenden Erfolg der Band gerechnet.

Sasa Losic, genannt Losa, ist ein Multitalent, das zahlreiche Erfolge als Sänger, Komponist und Songwriter verbuchen konnte und auch Lieder für Film, Theater sowie für weitere Sänger schrieb. Losa war, wie im Film von seiner Mutter erzählt, von klein auf ein Trendsetter. Selbst seine Badehosen waren im kroatischen Hvar unter anderen Jugendlichen ein Hingucker. Sein Image, das er seit Jahrzehnten pflegt und um das sich viele Mythen und Witze ranken, besteht vor allem aus seiner Kappe. Losic sei zusammen mit seiner Kappe aufgewachsen, heißt es. Allerdings - so versichert der Songwriter - würde er sie zu Hause ablegen.

Während der Kriegsjahre in Bosnien konnte er seiner Profession als Sänger aus ideologischen aber auch privaten Gründen nicht nachgehen. Für seinen Beruf brauche es Euphorie und guten Willen - und das war damals schwer aufzubringen. "Ich habe mich schlecht dabei gefühlt, meiner Arbeit nachzugehen", erzählt er der "Wiener Zeitung". Um zu überleben, sang Losic in kleinen Kneipen vor ein paar Betrunkenen. Er stand auf einem kleinen klapprigen Tisch und wurde von alkoholisierten Männern gezwungen, einen seiner berühmtesten Hits "Bolje biti pijan nego star" ("Besser betrunken als alt") in Endlosschleife rauf und runter zu spielen. Doch im Grunde war er zwischen 1991 und 1996 verstummt.

Sein Kneipenauftritt ist nur eine der vielen Anekdoten in der als Balkan-Roadtrip gestalteten Doku. Der Musiker erzählt von den Kriegsjahren, der Zeit davor und danach, als niemand wusste, wie es weiter geht. "Leute, die wussten, dass der Krieg tatsächlich ausbrechen würde, blieben unter sich und wurden zu den überlegenen Herrschaften des Krieges", meint Regisseur Zalica. "Das Volk hat es ehrlich nicht gewusst beziehungsweise wollte es nicht wahrhaben. Wir waren Opfer des politischen Terrors."

"Gute Menschen", böse Zeit

Zu Wort kommen im Film auch viele der berühmtesten Sänger und Schauspieler Ex-Jugoslawiens, Journalisten, Sportler und Politiker des Zeitraums 1983 bis dato und einfache Fans sowie Zeitzeugen. "Unsere Auswahl der Menschen war unabhängig von ihrer nationalen und ethnischen Herkunft", betont Sasa Losic. "Sie sollten für uns interessant oder positiv sein." Zalica und Losic - die beiden sind seit Jahrzehnten unzertrennliche Freunde - bezeichnen den Film als "Geschichte von guten Menschen." Das ist für sie die eigentliche Hauptaussage des Films.

Schließlich leben auf dem ex-jugoslawischen Territorium Menschen, die um nichts schlechter sind als jene aus Österreich oder der Schweiz, erklärt Pjer Zalica. Nur sei ihnen ein Schicksal angehaftet worden, das sie nicht verdienen. "Der Hass wurde von politischen Akteuren geschürt, aus, ich mutmaße, wirtschaftlichen Interessen", meint Zalica. "Es wurden plötzlich Unterschiede zwischen uns konstruiert, die vorher nicht zu spüren waren." In Folge hätten sich über Nacht die Menschen plötzlich verändert: "All jene, von denen wir dachten, sie seien mutig, wurden schwach. Der Krieg definiert Menschen. Allerdings kann ich nicht sagen, dass jemand, der vor dem Krieg mein Freund war, dies nicht auch geblieben ist, egal welcher ethnischen Herkunft er angehört."

Natürlich gebe es im ehemaligen Jugoslawien "viele Menschen, die nicht gut waren". Doch um die geht es im Film nicht. Die beiden Freunde wollten Licht auf die trockenen Fakten alter Geschichtsschulbücher werfen. "Es war ein Versuch, Geschichte auf eine Art zu zeigen, die der Öffentlichkeit bislang verborgen blieb," erläutert Losa. Nur eine persönliche, menschliche Erzählung könne die Zeit erklären, in der sie lebten. Der Krieg habe sie alle geformt, als Sänger, als Filmemacher und als Menschen. Sasa Losic nennt den Film eine romantisierte Biografie. Die Weltpremiere fand beim zehnten Sarajevo Film Festival in Bosnien-Herzegowina statt. In Österreich erlebte der Film beim "Let’s CEE"-Filmfestival diese Woche seine Premiere.