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Gefährliches Outing in der Türkei

Von Elisabeth Minkow

Politik

Mit "Zenne" bekommt ein türkischer Film über Homophobie und Ehrenmord den "Let’s CEE"-Spielfilmaward


Wien. Den Preis für den besten Spielfilm, den bekam beim neuen "Let’s CEE"-Filmfestival in Wien der türkische Streifen "Zenne" von Caner Alper und Mehmet Binay. In mehrfacher Hinsicht ist die Produktion ein Debüt: Es ist der erste Spielfilm der beiden Regisseure, die vorher nur Dokumentarfilme gedreht haben, ebenso ist es für den Hauptdarsteller, den in Deutschland geborenen türkischstämmigen Schauspieler Kerem Can, seine erste Hauptrolle in einem Kinofilm. Can nahm auch am Sonntag den Preis entgegen - nicht den ersten freilich: "Wir haben einen Preis beim Filmfestival in Antalya gewonnen", erzählt er der "Wiener Zeitung". "Der Film lief in der Türkei insgesamt sehr erfolgreich, womit ich gar nicht gerechnet habe."

"Zenne" (zu Deutsch: "Tänzer") ist freilich keine leichte Kost. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit: 2008 wurde Ahmet Yildiz in der Türkei vom eigenen Vater wegen seiner Homosexualität ermordet. Die beiden Regisseure waren gerade dabei, einen Dokumentarfilm über ihn zu drehen, als der Mord verübt wurde. Nach einem halben Jahr Schockstarre beschlossen sie, Ahmets Geschichte zu erzählen. "Natürlich gibt es im Film Abweichungen zu den echten Geschehnissen", berichtet Kerem Can. "Wir mussten aus persönlichen Gründen einiges, was Ahmets Familie betrifft, ändern."

Trotz oder gerade wegen der brisanten Thematik wurde "Zenne" nicht als bedrückender, deprimierender Film gedreht. Es geht um die Schwierigkeiten, die der Umgang mit Homosexualität in der Türkei den Betroffenen und ihren Familien bereitet. Zwei grundverschiedene Haltungen werden vorgestellt: Der von Kerem Can gespielte Bauchtänzer wird von seiner Familie unterstützt, sein Freund Ahmet hingegen von der eigenen Familie beschattet. Eine dritte Perspektive erschließt sich durch den deutschen Fotografen Daniel, der eine Liebesbeziehung mit Ahmet eingeht. Daniel repräsentiert die westliche Sichtweise, die starren religiös-traditionellen Werten in der Türkei verständnislos gegenübersteht. Die Figur wurde für den Film konstruiert, um eine weitere Sichtweise einzubringen, erzählt Can. Einiges an ihr sei autobiografisch und stamme aus dem Leben der Regisseure.

Ein weiteres Thema des Films war selbst für den Hauptdarsteller neu: der harte 15-monatige Militärdienst junger Männer in der Türkei, ihre psychische Zerstörung und der Umgang mit Homosexuellen dort. Bei all der Kritik des Films - auch an der Regierung - wundert es wenig, dass vom türkischen Staat keine finanzielle Unterstützung kam. "Einzig die holländische Botschaft als Institution hat uns unterstützt", sagt Can. Die Reaktionen im Publikum fielen dafür sehr positiv aus: "Wir wollten im Grunde genommen einen Familienfilm machen, in den auch Mütter reingehen können, und verzichteten auf extreme Szenen. Wir waren sehr froh zu sehen, dass genau das eingetreten ist: Wir haben viel Post mit Danksagungen - gerade von Müttern - bekommen, die uns geschrieben haben, dass der Film ihnen geholfen habe, ihre Söhne und Töchter zu verstehen", berichtet Can.

Manche Probleme kennt Can aus dem Freundeskreis. Dass sich viele Homosexuelle nicht zum Outing vor ihren Eltern entschließen, sei nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland der Fall. Um zu wissen "was es für ein Gefühl ist, wenn man vom Militär verfolgt wird", bewegte sich Can geschminkt durch Istanbuls Straßen, wobei die Reaktionen nicht besonders stark waren. "Klar gab es Blicke, aber das wäre hier nicht anders." Dennoch verlangte die Rolle des freigeistigen Bauchtänzers Kerem Can viel Vorbereitung ab. Sie erschloss sich ihm vor allem über den Tanz, der für seine Filmfigur Ausdrucksmittel und Teil der Identität ist. "Sieben Monate vor dem Dreh hat mein Tanztraining angefangen. Ich nahm Unterricht bei der Pina Bausch Company, hatte einen Ballett-Trainer in Berlin, einen Bauchtanztrainer und eine Choreografin. Ich tanzte bis zum Umfallen. Die Tanzszenen drehten wir am Anfang und ich war wirklich fertig, aber es war eine schöne Erfahrung." Die expressiven Tanzszenen lockern den Film auf und entziehen ihm die Schwere und Vorahnung der Tragik, die den Film von Anfang an umgibt.

Leben in vielen Kulturen

Aufgewachsen ist Can zwar in Deutschland, studiert hat er aber in Frankreich und England, hinzu kamen Aufenthalte in Granada bei der Familie seines Stiefvaters und die nach wie vor enge Beziehung zur Türkei. "In meiner Familie sieht man, wie verschiedene Kulturen zusammenleben können." Zu Österreich hat Can eine Verbindung über die Tochter seiner Cousine, die in Wien lebt. "Es fällt natürlich auf, dass Österreich eine viel stärkere Bindung zum Balkan und zu Südeuropa hat. Das spürt man. Für mich ist es noch ein bisschen besonders, beim ,Let’s CEE‘-Festival dabei zu sein, da meine Vorfahren aus Skopje in Mazedonien kommen; da ist man in Wien einfach näher dran als in Berlin und in Deutschland generell."

Um Freiheit, Familienrückhalt, Freundschaft geht es auch in "Zenne". Dass sich der Streifen gegen die starke Konkurrenz - etwa "Everybody in Our Family" von Radu Judes oder Slava Ross’ Drama "Sibir Monamour" - durchsetzen konnte, begründete die Jury damit, dass "die Tragödie für all jene zu einer persönlichen Ermahnung werden sollte, die versuchen, Menschenrechte politischen und religiösen Normen unterzuordnen". "Argentinian Lesson" von Wojciech Staron, ebenfalls eine Geschichte voll Wärme über eine Familie, gewann den Preis in der Sparte Dokumentarfilm für "seine äußerst einfühlsame Betrachtung der Welt, jenseits der üblichen filmischen Schemata". Beide Filme erhielten neben ein Preisgeld von 1500 Euro. Die heimische Hollywood-Legende Turhan Bey wurde für sein Lebenswerk geehrt. Der 1922 in Wien geborene Sohn eines türkischen Diplomaten und einer tschechischen Jüdin war ein populärer Hauptdarsteller im Hollywood der 1940er Jahre.