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Beim Islam "daham"

Von Fabian Kretschmer

Politik
"Seelisch zuhause" ist Leopold Ranftl - wider Erwarten - nun beim Islam.
© Fabian Kretschmer

Manche Konvertiten sind von Ausgrenzung im Umfeld betroffen.


Wien. Das sei nur so eine Phase, dachten sich die Eltern von Gernot Stanfel, als sie von seinem Interesse am Islam hörten. Ihr Kind war ja katholisch getauft und als Jugendlicher außerordentlich engagiert in der Gemeinde. Religion war für ihn stets mehr als nur traditioneller Brauch. Doch mit 20 Jahren kam der Bruch. So sahen es zumindest die besorgten Eltern. Für Stanfel war die Hinwendung zum Islam eher eine logische Weiterentwicklung - und weit mehr als nur jugendliche Umorientierung. Heute ist der Niederösterreicher 42 Jahre alt und mehr als die Hälfte seines Lebens praktizierender Muslim.

Die Entfremdung vom Katholizismus war ein schleichender Prozess. Sie führte zum "Zimmern einer eigenen Privatreligion". Als Einstieg zum Islam fungierte die Musik: Die Ausbildung in altorientalischer Musik ließ ihn erstmals in die arabische Kulturwelt eintauchen. Die Koran-Lektüre folgte ohne konkrete Hintergedanken, mehr aus naivem Interesse. Doch viele Dinge schienen ihm dort viel konkreter ausformuliert. Was er im Stillen als Privatreligion ausgelegt hat, entsprach ziemlich genau den Vorstellungen des Islam. Von da an stand für den Musiktherapeuten fest: "Für mich ist der Islam die beste Religion. Nicht für die gesamte Menschheit, das muss jeder für sich entscheiden. Aber als Mensch sucht man schließlich nach der einen Wahrheit, nach der man sein Leben ausrichten will, und für mich ist diese Wahrheit im Koran am exaktesten ausformuliert."

Die Konversion hatte weitreichende Konsequenzen: Bis auf die engste Familie löste sich sein soziales Umfeld auf, zum einen, weil der Islam auch damals in der öffentlichen Wahrnehmung einen "negativen Beigeschmack" besaß, zum anderen wegen des neuen Lebenswandels. Während der Bekanntenkreis bis tief in die Nacht um die Häuser zog, verzichtete Stanzel fortan auf Alkohol. Und immer nur nüchtern beim Fortgehen dabei zu sein, wurde ihm zu fad. Die einen wandten sich ab, andere nahmen ihn herzlich auf. Stanfel ist heute fest in der muslimischen Gemeinschaft verankert als niederösterreichischer Kulturreferent der Islamischen Glaubensgemeinschaft und Dozent für angehende Islamlehrer.

Der Islam genießt in Österreich eine in Westeuropa einmalige Stellung: Vor 100 Jahren wurde er - erstmals von einem europäischen Land - gesetzlich anerkannt. Auch heute ist Österreich laut Stanfel auf verfassungsmäßiger und institutioneller Ebene vorbildliches Beispiel für Religionsfreiheit. Jedoch sei der Antiislamismus durch plakative, weitgehend salonfähige Sprüche wie "Daham statt Islam" in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Doch fremdartig für unsere Kultur ist die Religion nach Meinung Stanfels nicht. Einst galt sie gar als Mode, etwa als Kaiser Joseph II. im 18. Jahrhundert eine türkische Moschee in Laxenburg errichten ließ. "Der Islam ist seit vielen Jahrhunderten Bestandteil dieser Kultur", meint der Ex-Katholik. In Spanien, dem gesamten südosteuropäischen Raum bis hin zu Polen, Russland und der Ukraine habe es früher Mehrheiten von Muslimen gegeben. Neben Christen- und Judentum sei der Islam Wurzel des Humanismus: "Europa ist historisch zu mindestens 30 Prozent islamisch geprägt."

Vermittler zwischen Welten

Der 42-jährige Leopold Ranftl hatte vor 15 Jahren eigentlich mit dem Glauben abgeschlossen. Aus der Kirche trat er aus, nach anderen Religionen wollte er nicht suchen. Doch bei Besuchen in Kairo und Istanbul mit seiner Frau - ebenfalls einer autochthonen Österreicherin - beeindruckte beide die muslimische Gastfreundschaft so sehr, dass sich ihr bereits vorhandenes Interesse am Islam immer mehr festigte. Neben der Biografie von Muhammad Assad ("Der Weg nach Mekka"), einem in Wien aufgewachsenen Konvertiten, der Diplomat, Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und islamischer Gelehrter war, besorgten sie sich unzählige weitere Bücher über den Islam und studierten gründlich eine deutschsprachige Koran-Übersetzung. "Sehr kritisch" habe Ranftl den Koran gelesen, schließlich habe er viel Negatives über die Religion gehört. Nach der Lektüre stellten beide fest, dass dies der richtige Weg für sie sei - ein Gefühl, als ob sie "seelisch zuhause angekommen" sind.

Seitdem leben sie ihren Glauben vor allem für sich aus, da es relativ schwierig ist, Gebetsräume mit deutschen Predigten zu finden. Ranftl ist sich sicher: "Die meisten Vorurteile kann man durch Aufklärung aus dem Weg räumen." Und Vorurteile wie Hetzer gebe es auf beiden Seiten. Bei der ehrenamtlichen Arbeit sieht er sich als Vermittler zwischen zwei Welten. Er und seine Frau leiten das Integrationsreferat des Roten Kreuzes in Wien-West.