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Hollywood an Wiener Schulen?

Von Elisabeth Minkow

Politik
Latente Talente traten beim Drehen des Liebesdramas "Marcel und Melissa" zutage.
© © Vienna goes L.A.

Geschichten, die das Leben schreibt, werden von Jugendlichen gefilmt.


Wien. Wütendes Geschrei dringt durch eine Wohnungstür. Ein Mädchen rennt nach draußen. Weinend und völlig verzweifelt taumelt es durch Wiens Straßen. Auf einmal hört man quietschende Reifen - und einen dumpfen Aufprall. Schnitt. Der tragische Liebesfilm, den 13- bis 15-jährige Schüler der Kooperativen Mittelschule Schopenhauerstraße 79 gemacht haben, überrascht durch Professionalität und Emotionen.

"So viel Drama wie möglich!" - das war der wichtigste Lerneffekt beim gemeinsamen Filmdreh, bekennen die Jugendlichen einhellig bei einer Nachbesprechung mit ihrem Filmcoach Ippolit Wischin. Beim Projekt "Vienna goes L.A." standen alle jungen Teilnehmer vor und hinter der Kamera und haben den Plot selbst entwickelt. Alle haben Migrationshintergrund. Ihre Eltern stammen aus Serbien, der Türkei, dem Iran und aus anderen Ländern. Hier hatten sie die Möglichkeit, ihre eigenen Geschichten zu erzählen.

Initiiert wurde die Initiative vom US-amerikanischen Geschäftsmann und Filmproduzent Robin Saban, der vor kurzem von Los Angeles nach Wien übersiedelt ist. In Los Angeles hat Saban das Internationale Schüler und Studenten Filmfestival aufgebaut, das heuer zum zehnten Mal über die Bühne gegangen ist. Auch die Idee zu "Vienna goes L.A." hat er bereits vorher in den USA verwirklicht. Zugewanderte Jugendliche im "Byzantine-Latino Quarter" von Los Angeles erlernten von Profis das filmische Know-how, bevor sie ihre eigenen Kurzfilme drehten und diese dann der Öffentlichkeit vorstellten.

In Wien sieht Saban viel ungenutztes Potenzial, das gefördert werden muss. "Jene Menschen, die ansonsten nicht zu Wort kommen, bekommen durch "Vienna goes L.A." eine Stimme: Mit den Techniken des Filmemachens und Geschichtenerzählens können sie ihre Gefühle mitteilen", erzählt der Geschäftsmann. Durch die Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit dem Filmcoach Ippolit Wischin und seinem Team wurde das Projekt auch hier entwickelt.

Im vergangenen Schuljahr sind bereits fünf Kurzfilme entstanden, von Schülern der KMS Schopenhauerstraße und dem Bundesoberstufenrealgymnasium 3 (Landstraßer Hauptstraße). Der Themenspektrum der Filme ist breit. Teils staunt man nicht schlecht, was die Jugend so alles zu erzählen hat: Es geht um Vandalismus, Geldsorgen und Drogen - keine leichte Kost. Aber ganz so trostlos stellen sich die Kinder ihre Protagonisten dann doch nicht vor. Der Hollywood-Manier folgend können einige der gefallenen Helden schließlich noch durch Einsicht in ihre Fehler und dem Geloben zur Besserung die inneren Dämonen besiegen und ihre Konflikte lösen. Überraschend sind auch das kritische Potenzial und die klaren Wertvorstellungen, die die Filme transportieren. Sie regen deshalb auch erwachsene Zuschauer zur Selbstreflexion an.

Die Schüler der Schopenhauerstraße sind besonders stolz: Ihr letzter, 15-minütiger Streifen "Marcel und Melissa" wurde im Rahmen des "Let’s CEE"-Filmfestivals in Wien vorgestellt. Mitgewirkt haben 15 Schüler aus vier Klassen. Bei der Uraufführung sorgte die türkisch-österreichische Romeo-und-Julia-Story bei Klassenkollegen wie Lehrern für Begeisterung und Erstaunen.

Drama ohne Happy End

"Marcel und Melissa" ist freilich ein Drama ohne Happy End. Es geht um ein türkischstämmiges Mädchen, dessen strenger Vater ihr die Beziehung zu ihrem Klassenkameraden Marcel untersagt. Mehr noch: Er will sie mit einem Bekannten in der Türkei verkuppeln. Da das Liebespaar, um sich heimlich zu treffen, mehrmals die Schule schwänzt, fliegt die Beziehung irgendwann auf. Nach einem Streit mit dem Vater verlässt Melissa das Haus und hat einen Unfall. Am Krankenbett hinterlegt Marcel einen Brief für den Vater. Die Botschaft: Kein Mensch darf jemand anderen besitzen.

Zunächst mussten sich die Schüler erst einmal auf einen Plot einigen. Die Drehbuch-Idee, für die sich schließlich alle entschieden, kam von der Hauptdarstellerin Meryem und basierte teils auf ihren persönlichen Erfahrungen. Dass die Jugendlichen mit dem Filmemachen ihre eigenen Geschichten erzählen können, das wollten die Kursleiter ihnen von Beginn an klarmachen. "Am Anfang des Projekts hatte ich mit allen Schülern ein Gespräch unter vier Augen. Dabei erzählten sie mir von den Dingen, die sie beschäftigen und von Problemen, die sie haben", erzählt Wischin.

Eine der wichtigsten Erfahrungen für die Schüler war, dass Filme zu machen bei weitem nicht so einfach ist, wie sie sich anzusehen. So stolz sie auch auf das Endprodukt sind, der Weg dorthin war hart. Die Coaches ließen ihnen viel Freiraum, doch damit der Film eine gewisse Tiefe erreichen konnte, lernten die Jugendlichen vorher sämtliches Handwerk, das zum Filmemachen dazugehört. "Unsere Beweggründe für das Projekt waren auch, dass die Schüler gemeinsam an etwas arbeiten und am Schluss ein Produkt erhalten", erläutert Schuldirektorin Erika Tiefenbacher.

So eine intensive Projektarbeit schweißt zusammen. Das haben auch die Jugendlichen erfahren. Beim letzten gemeinsamen Treffen im Klassenzimmer ist eine gewisse Wehmut zu spüren. Man hofft, weiter Kontakt zu halten. Jetzt, wo die Schüler Blut geleckt haben, wollen sie mehr. Drei würden künftig gerne im Filmbereich arbeiten. Wischin sieht bei einigen Potenzial, etwa beim Kameramann Aleksander, der "ein echtes Naturtalent" sei.

Nur einen Haken gibt es noch: Der bisher ehrenamtliche Einsatz der Coaches kommt an seine Grenzen. Sie hoffen nach der Pilotphase auf Fördergelder, damit sie ihre Arbeit fortsetzen.