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"Wir sind keine Chinesen!"

Von Todor Ovtcharov

Politik
Musiker aus Asien punkten bei Aufnahmeprüfungen oft mit einer sehr guten Spieltechnik.
© © © Ken Seet/Corbis

Zwei Musikstudenten aus Korea erzählen über ihre Integrationsprobleme.


Wien. Chiron hat in Wien Schwierigkeiten mit seinen Nachbarn: Zwar sind diese durchwegs nette Leute, und er macht auch keine Partys, mit denen er die Nacht zum Tag verwandelt, aber durch sein achtstündiges Geigenspiel terrorisiert er sie ungewollt den ganzen Tag. Nur muss Chiron ständig üben, da der 23-jährige Geiger aus Südkorea andernfalls für zwei Jahre zum Militär muss und das will er als Musiker auf jeden Fall vermeiden. Gelingen kann ihm das nur, wenn er jedes Jahr internationale Musikwettbewerbe gewinnt.

Chiron lebt seit sechs Jahren in Wien und studiert Violine an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Er ist einer der vielen Musikstudenten aus Südkorea, die am liebsten die Bühnen der Welt erobern wollen, und das mit Hilfe eines Studiums in jener Stadt, in der auch Mozart und Beethoven weilten.

Die asiatischen Studenten machen ungefähr 15 Prozent aller Studierenden der Wiener Kunstuni aus. Die meisten davon stammen aus Südkorea - 145 südkoreanische Studenten sind zurzeit zum ordentlichen Studium zugelassen. Dahinter folgen die Japaner mit 107 Studierenden, an dritter Stelle liegen die Chinesen. Da sich die Musiker aus Asien durch eine sehr gute Spieltechnik auszeichnen, kommt es sogar dazu, dass es bei der Aufnahmeprüfung für manche Instrumente und Studienrichtungen mehr Studenten aus Asien als aus Österreich und Europa aufgenommen werden. An keiner anderen Universität in Österreich ist der Prozentsatz nicht-österreichischer Studenten so hoch wie hier.

Vicki kommt auch aus Südkorea und ist ebenfalls Geigerin. Nach Wien gekommen ist die heute 22-Jährige im zarten Alter von 13 Jahren gemeinsam mit ihrer älteren Schwester, die zurzeit Dirigieren studiert. Vicki stammt aus einer Musikerfamilie, ihre Mutter spielt und unterrichtet Cello in Korea und hat ebenfalls in Wien studiert. Vicki kam nach Österreich, ohne die Sprache zu beherrschen, ging dennoch von Anfang an in ein normales österreichisches Gymnasium. Ihre Schwäche in Deutsch und in Geschichte kompensierte sie durch Stärke in Mathematik und Physik. "In Korea waren wir viel weiter in Mathe", erzählt Vicki lächelnd. "Das hat mir die Haut gerettet."

Heute nach fast zehn Jahren in Österreich hat Vicki kaum österreichische Freunde. Die meisten Menschen, mit denen sie sich privat trifft, stammen ebenfalls aus Südkorea. Sie weiß nicht, woran das liegt. Weder sie noch Chiron haben es geschafft, in Wien viele Freunde zu finden. Ihr Freundeskreis besteht großteils aus koreanischstämmigen Musikern. "Ich gehe nicht in die Disco", sagt Vicki. "Wenn ich andere Musik als klassische höre, dann nur koreanische. Ich habe schon ein paar österreichische Bekannte aus der Schule aber wir treffen uns immer seltener."

Auf Kritik stößt bei beiden die Unhöflichkeit der österreichischen Behörden, wenn es um Visumsangelegenheiten geht. "Jedes Mal, wenn ich mein Visum verlängern will, betrachten sie mich, als ob ich sie um einen Gefallen bitten würde", erzählt Vicki. "Ich will hier doch nur weiter Musik spielen."

Ansonsten finden sie das Leben in Österreichs Hauptstadt aber nicht schlecht. "Es gibt auf jeden Fall mehr Vorteile als Nachteile", erzählen beide. Das Studium in Wien ist im Vergleich zu den USA und zu Korea günstiger, und da die Stadt darüber hinaus ein Musikertreffpunkt ist, konnten Vicki und Chiron hier etliche andere Musiker kennenlernen und sehr viele Konzerte ihrer Idole besuchen, die viel seltener nach Korea kommen als nach Österreich.

Als Asiate beim Orchester

Chiron und Vicki würden gerne nach dem Studium in Europa bleiben und Jobs als Solisten oder in einem europäischen Orchester finden. Das ist allerdings sehr schwer, da laut Vicki die hiesigen Orchester eine eigene Politik verfolgen, um sich vor Asiaten zu schützen. "Bei den Wiener Philharmonikern zum Beispiel gibt es nur einen Asiaten", sagt sie, "obwohl viele Studenten an der Musikuni aus Asien kommen." Chiron hasst es auch, wenn man zu ihm sagt, er sei ein Chinese. "Wenn die Leute in Europa einen Asiaten sehen, ist er für sie automatisch Chinese", meint er, und das gefällt ihm gar nicht.

Wegen der schlechten Erfahrungen mit den Behörden, aber auch aus Angst, wegen kritischer Äußerungen später keinen Platz in einem Orchester zu bekommen, wollten die beiden Musikstudenten ihre echten Namen nicht preisgeben. Vicki erzählt aber, dass ihr Name auf Koreanisch "Sieg" bedeutet - deshalb wird sie auch Vicki genannt. Die beiden jungen Musiker kennen kein Rezept, um die Unterschiede zwischen Europäern und Asiaten zu überwinden. Sie hoffen aber, dass sich die Wiener eines Tages für weitere Aspekte der asiatischen Kultur als nur das Essen interessieren werden. Und sie hoffen auch, dass man die verschiedenen asiatischen Völker besser unterscheiden wird können und dass die Personen von der Visabehörde ihnen mehr zulächeln werden. Schließlich seien ja die Wiener ansonsten sehr nette Leute. Oder vielleicht werden ja eines Tages die Visa ganz wegfallen? Dieser Tag scheint den beiden aber zu weit weg, und deshalb denken sie nicht einmal daran.

Chiron und Vicky teilen aber mit so vielen andere Musikstudenten in Österreich vor allem einen Traum: dass sie einmal in Mozarts Geburtsland Karriere machen können. Dann würden sie beim Interview auch ohne Bedenken ihre Namen nennen.