Zum Hauptinhalt springen

Träume am Festland

Von Stefan Beig

Politik
"Every shit can happen everywhere" , meint die Schriftstellerin Seher Cakir.
© © Andreas Pessenlehner

Türkisch-österreichische Geschichten, die eigentlich überall passieren können.


Wien. Türkisch-österreichische Beziehungsgeflechte, wie sie scheinbar unscheinbar in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind, spiegeln sich in einigen der neuen Erzählungen von Seher Cakir wider. Das ist nichts Neues bei der türkisch-stämmigen Autorin. Ihr jüngstes Buch "Ich bin das Festland" überrascht aber an einigen Stellen mit einem virtuosen Schreibstil.

Autobiografisch inspiriert ist die Geschichte "Die Plakate". Die kleine Selda mustert bei ihrer ersten Fahrt durch Wien verwundert die Wörter "Tabak Trafik" auf einem roten Kreis, in dem eine Zigarette steckt: "Sie las Tabak und dachte an einen Teller. Sie las Trafik und dachte an den Verkehr und konnte keinen Sinn darin erkennen."

Kurze, prägnante Erlebnisse wie diese sind es, die Cakir in ihrem Buch einfängt. "Ich liebe Momentaufnahmen. Sie sind wie Fotografie", bekennt sie. In "Der Ruf des Muezzins" verdichten sich diese aber gleichsam zu einer komplexen dreistimmigen Fuge, in der drei Zeitebenen gleichzeitig ablaufen. Bei der zweifach geschiedenen Protagonistin meldet sich nach zehn Jahren ein türkischer Exliebhaber zurück - die Kurzbeziehung dauerte damals bis Mitternacht. Einen Kontrapunkt dazu setzen Kindheitserinnerungen an den Hodscha (Vorbeter in der Moschee), in den sich die alleinerziehende Mutter als Mädchen verliebt hatte; den dritten Erzählstrom bildet ihr Stress mit der eigenen "superstrengen" Mutter. Die verwickelte Erzählform geht aus dem Inhalt hervor: "Unsere Beziehungen gehen heute nun mal kreuz und quer."

In "Die Frau meines Vaters" kehrt ein Ehemann nach mehrjährigem Deutschland-Aufenthalt zu seiner Frau im türkischen Dorf zurück - gemeinsam mit Helga, die von seiner Ehe nichts weiß. Das geteilte Schicksal der betrogenen Frauen führt rasch zu ihrem Zusammenhalt.

Mit großer Freude schlüpfe sie beim Schreiben in ihre Protagonisten, bekundet Cakir, die mit zwölf Jahren von der Türkei nach Wien gekommen ist. Über die Bedeutung des Buchtitels schweigt sie sich aus. "Zum Festland kommt alles zurück", meint sie nur lächelnd. Auch wenn viele Geschichten im türkisch-österreichischen Umfeld angesiedelt sind - die Erlebnisse der Protagonisten sind so individuell wie universell: "Alle Menschen haben Träume und Ziele, die sie erreichen oder nicht. Aber sie leben dafür. Every shit can happen everywhere."