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Gleichheit - aber nicht für alle

Von Bernd Vasari

Politik

Rassismus im deutschen Idealismus wird erst seit kurzem thematisiert.


"Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften." Dieses Zitat stammt von keinem Geringeren als dem Philosophen Immanuel Kant (1724 bis 1804) und stammt aus seinen Vorlesungen zu "Physischer Geographie" im Jahr 1802. Derartige rassistische Äußerungen waren bei ihm, aber auch bei anderen Philosophen der Aufklärung kein Einzelfall - und das, obwohl diese Denker gleichzeitig die uneingeschränkte Gleichheit der Menschen postulierten.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1831) verlautbart in seinen "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" (1837): "Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar." Und weiter: "Es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden." Für Hegel stellt diese Zuschreibung zudem eine unveränderliche Komponente dar: "Dieser Zustand ist keiner Entwicklung und Bildung fähig, und wie wir sie heute sehen, so sind sie immer gewesen." Die Subsahara-Gebiete Afrikas werden schlichtweg als "Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichten in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist", bezeichnet.

Immanuel Kant pflichtete auch dem schottischen Philosophen David Hume bei, der Menschen aus Afrika die Fähigkeit zu philosophieren abgesprochen hat. Dabei hätte sich Kant gar nicht allzu weit umsehen müssen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen, wie der österreichische Philosoph Franz Wimmer in seinem Buch "Interkulturelle Philosophie" hervorhebt. Dann hätte Kant nämlich den Afrikaner Wilhelm Anton Amo aus Ghana gefunden, der zum Philosophieren sehr wohl imstande war. Amo hat es "zumindest so weit in der deutschen akademischen Welt gebracht, dass er mehrere philosophische Werke in lateinischer Sprache veröffentlichen konnte." Von 1736 bis 1747 unterrichtete er zudem als Dozent und Professor der Philosophie an den Universitäten Wittenberg und Halle. Wilhelm Anton Amo war auch nicht der einzige Professor aus Afrika, der während der Aufklärung in Europa an einer Universität lehrte und forschte. Gerade Kant äußert sich über die Philosophie-Fähigkeit der Afrikaner besonders abwertend.

"Immanuel Kant war nicht ein Kind seiner Zeit"

Neben Kant und Hegel lassen sich auch bei Johann Gottlieb Fichte - etwa in seinen "Reden an die deutsche Nation" (1808) - und bei weiteren deutschen Autoren der Aufklärung rassistische Äußerungen finden. Dem Hinweis auf Rassismus bei Kant wird in der Regel mit zwei Reaktionen begegnet, erzählt Wimmer. Erstens: Kant war ein Kind seiner Zeit. Zweitens: Das hat mit seinen philosophischen Leistungen nichts zu tun. Zweiteres stimme teilweise, meint Wimmer, denn Rassismus müsse Leistung in anderen Fragen nicht mindern. "Aber theoretisch nebensächlich ist er auch nicht, weil zumindest bei Aussagen über den Menschen und seine Welt, also auch zu Ethik, Staatstheorie et cetera die Annahme einer grundsätzlichen Ungleichwertigkeit zugrunde liegt und Parteilichkeit anzunehmen ist", sagt der Philosoph gegenüber der "Wiener Zeitung". Bei logischen oder metaphysischen Fragen spiele Rassismus eine geringere Rolle. Kreativität und Scharfsicht müsse Rassismus nicht in jeder Hinsicht beeinträchtigen.

Dass Kants Überlegungen unter Hinweis auf den damaligen "Zeitgeist" entschuldigt werden können, bestreitet Wimmer, da es zu jeder Zeit Antirassisten gegeben hat. So sieht das auch die Philosophin Monika Firla: "Kant war nicht ein Kind seiner Zeit. Man konnte damals zwischen rassistischen und antirassistischen Argumenten auswählen und er entschied sich bis zuletzt für rassistische Thesen." Statt Quellen objektiv auszuwerten, vereine Kant "wider besseres Wissen rassen- und kolonialideologische Thesen". Firlas Gegenbeispiel zu Kant auf dem Gebiet der Wissenschaft ist der Anatom und Naturforscher Johann Friedrich Blumenbach, der zur selben Zeit lebte. In einem 1787 verfassten Aufsatz betont er, dass "die Neger in Rücksicht ihrer natürlichen Geistesgaben und Fähigkeiten gerade um nichts dem übrigen Menschengeschlechte nachzustehen scheinen".

Auch bei damaligen Vertretern des Hochadels und des Klerus treffe man auf gänzlich andere Denkweisen als beim einflussreichsten deutschen Philosophen der Aufklärung. Während für Kant - wie er in seinen "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" betont - die schwarze Hautfarbe der Afrikaner ein "deutlicher Beweis" für die geistige "Umnachtung" derselben ist, halten die wenigen protestantischen Prediger, die auf die Hautfarbe überhaupt eingehen, diese entweder für zufällig oder für ein "Werk Gottes", das somit keine negative Bedeutung hat. Auch als Kant 1795 in seinem Werk "Zum ewigen Frieden" die Unrentabilität der mit afrikanischen Sklaven bewirtschafteten Zuckerplantagen erkannt und im Anschluss daran die Sklaverei verurteilt hatte, sei er nicht zu einer Revision seiner Ansichten bereit gewesen, betont Monika Firla.

Waren die rassistischen Ansichten dieser Denker auch folgenreich? Einige Autoren sehen einen Zusammenhang zwischen der deutschen Philosophie und der Nazi-Ideologie. Von solchen Thesen hält Wimmer wenig. Auch von einer speziellen Anfälligkeit für Rassismus im deutschen Idealismus kann man aus seiner Sicht nicht sprechen. Allerdings sollte man die Wirkung für die Philosophie nicht unterschätzen. Wimmer betont, dass Kant und Hegel "den Begriff vom Idealzustand des Menschen, der Kultur und des Staates im deutschen Bildungsbürgertum durchaus mitgeprägt haben und dass in diesem Begriff die Ausgliederung des anderen eine wesentliche Rolle gespielt hat".

Allgemeingültigkeit interkulturell sichern

Für Wimmer gilt die Minimalregel: "Halte keine philosophische These für gut begründet, an deren Zustandekommen nur Menschen einer einzigen kulturellen Tradition beteiligt waren." Er betont, dass bereits die Einhaltung dieser Minimalregel zu verändertem Verhalten in der Wissenschafts-, Kommunikations- und Argumentationspraxis führen würde.

Seit den 1980er Jahren gibt es zaghafte Versuche, das Thema "Rassismus in der Philosophie" auch innerhalb der Philosophie aufzuarbeiten und zu diskutieren. Firla leistete damals mit ihrer 1980 fertiggestellten Dissertation "Untersuchungen zum Verhältnis von Anthropologie und Moralphilosophie bei Kant" Pionierarbeit. Monika Firla und mit ihr ein kleiner Kreis von Philosophen befasst sich nicht nur mit rassistischer Geschichte, sondern versucht auch, sich von eurozentristischen Antworten auf philosophische Fragen abzuwenden. Mittlerweile entstand aus dem Bestreben die interkulturelle Philosophie. "Die Allgemeingültigkeit der Philosophie ist interkulturell zu entwickeln", meint Hakan Gürses, ein an der Uni Wien lehrender Philosoph mit türkischen Wurzeln.

Als Pionier der interkulturellen Philosophie gilt der indische Denker Ram Adhar Mall (Jahrgang 1937), der in Köln über "Humes Bild vom Menschen" promovierte. Als er sich dort habilitieren wollte, ließ man ihn wissen, dass er als Inder dazu gar nicht geeignet sei. Das hat ihn geprägt, sagt Gürses. Zurzeit lehrt Mall in Jena.

Polylog heißt das Konzept interkulturellen Philosophierens. "Fragen der Philosophie sind so zu diskutieren, dass jeder behaupteten Lösung ein Polylog möglichst vieler Traditionen vorangeht", meint Wimmer. Der Philosoph gründete 1994 die Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie. Als Plattform und Forum für philosophische Diskurse aus verschiedenen Kulturen und Traditionen soll eine neue Sicht auf die Philosophiegeschichte entstehen. Zu den Projekten der Gesellschaft gehört etwa die "Polylog-Zeitschrift" für interkulturelles Philosophieren, die sich bis heute als einziges deutschsprachiges Medium dem Thema widmet (www.polylog.net). Das "Polylog-Forum" dient der Förderung des philosophischen Austausches über nationale und kulturelle Grenzen hinweg.