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"Burschen und Mädchen sollen soziales Jahr leisten"

Von Brigitte Pechar

Politik

Soziologe Max Haller hält 1300 Euro für eine zu hohe Entlohnung.


"Wiener Zeitung":Sollte die Wehrpflicht abgeschafft werden, fällt damit gleichzeitig auch der Zivildienst; in diesem Fall muss ein Ersatz gefunden werden. Sollte ein Sozialdienst, der als Ersatz dient, verpflichtend sein?Max Haller: Ob das möglich ist, muss juristisch geklärt werden. Aber grundsätzlich wäre es sinnvoll zu sagen, dass ein Sozialdienst für alle jungen Menschen verpflichtend sein soll. Und zwar für Mädchen ebenso wie für Burschen. Es ist heute nicht mehr einzusehen, warum Mädchen das nicht tun sollen. Arbeitgeber müssten sich dann darauf einstellen, dass beide Geschlechter für ein Jahr ausfallen können, nicht nur Burschen.

Wie wichtig ist so ein freiwilliger oder verpflichtender Dienst für den Zusammenhalt einer Gesellschaft?

Das ist sehr wichtig. An der Universität Graz haben wir Studien durchgeführt und einen Vergleich unter 40 Staaten angestellt. Dabei hat sich gezeigt, dass in Österreich und Deutschland freiwilliges soziales Engagement vergleichsweise selten ist. Das liegt auch daran, dass bei uns der Sozialstaat sehr gut ausgebaut ist - das ist auch gut so. Aber die Menschen verlassen sich dann auch privat darauf.

Das ist jetzt überraschend, weil man in Österreich meist davon ausgeht, dass ohnehin sehr viele Menschen bei der Feuerwehr oder in sonstigen freiwilligen Tätigkeiten verankert sind.

Max Haller, geboren 1947, habilitierte sich 1985 an der Universität Mannheim. Er ist seit 1985 ordentlicher Professor für Soziologie in Graz. Schwerpunkte sind der internationale Gesellschaftsvergleich, Sozialstruktur- und Wertwandel, europäische Integration, angewandte Soziologie und Sozialforschung, soziologische Theorie.
© Archiv

Wir haben danach gefragt, wie oft die Menschen sich freiwillig engagieren. Und da liegt Österreich bei 10 Prozent, angelsächsische Länder erreichen 40 Prozent. Wie wichtig freiwilliges Engagement für eine Gesellschaft ist, zeigt auch ein Vergleich der skandinavischen Staaten und der USA mit den früheren osteuropäischen Ländern. Dort war privates Engagement ja verdächtig. Das merkt man noch heute an der Sozialmoral und an der Integration der Gesellschaft in diesen Ländern. Es gibt dort nach wie vor sehr wenige soziale Dienste. In den USA ist das dagegen ganz anders. Dort zeigen die Bürger Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.

Wie wichtig sind solche gesellschaftlichen Tätigkeiten für die Menschen, die sie erbringen?

Die Menschen beziehen daraus enormen Gewinn. Auch dazu haben wir an der Universität Graz Studien gemacht. Aus Befragungen von Mitarbeitern der Vinzenz-Gemeinschaft, die Obdachlose betreut, wissen wir, dass solche Tätigkeiten sinnstiftend sein können. Viele Befragte haben gemeint: "Das gibt meinem Leben wieder Sinn."

Es gibt derzeit noch kein Modell für einen Zivildienstersatz. Allerdings hat Sozialminister Rudolf Hundstorfer bereits Vorarbeiten geleistet. Eine Idee ist, die jungen Menschen, die ein freiwilliges soziales Jahr leisten, mit 1300 Euro monatlich plus Sozialabgaben zu entschädigen. Ist das dann noch ein Dienst an der Gesellschaft?

Das finde ich absurd. Eine Verkäuferin verdient für 40 Stunden nicht viel mehr als 1000 Euro. Eine gewisse Bezahlung von sozialer Tätigkeit ist durchaus sinnvoll. Aber alles, was in Richtung Entlohnung geht, ist abzulehnen.

Teilweise könnte auch der Versuch unternommen werden, Menschen, die ein Grundeinkommen erhalten, in solche Tätigkeiten zu zwingen. Wäre das sinnvoll?

Das ist eine völlig andere Debatte und darf mit der Frage Wehrersatzdienst oder dem sozialen Jahr nicht verknüpft werden. Das hat hier keinen Platz.

Soll ein soziales Jahr auch für ältere Menschen möglich sein?

Verpflichtend - wenn es denn verpflichtend sein soll - darf es nur für Junge sein.