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Wissen auf dem Stick statt im Heft

Von Petra Tempfer

Politik
Tippen statt kritzeln, Bildschirme statt Bücher - das Klassenzimmer der Zukunft.
© © © Sandy Huffaker/Corbis

Bildungsexpertin: "Aufgabe der Lehrer ist, die richtige Balance zu finden."


Wien. Den USB-Stick noch schnell in die Hosentasche gesteckt statt die Schultasche um die Schulter gehängt: Der Schüler der Zukunft geht mit leichtem Gepäck zum Unterricht. Das Wissen, das ihm vermittelt wird, trägt er nicht in zentimeterdicken Büchern und Heftstapeln, sondern auf einem winzigkleinen elektronischen Speichermedium mit sich herum - zumindest, wenn es nach den Schulräten und der Pädagogischen Hochschule geht. Fokussieren diese doch zunehmend auf E-Learning: Lernen, bei dem elektronische oder digitale Medien für Präsentation und Distribution von Lernmaterialien zum Einsatz kommen. Mitunter wird auf Internetplattformen kommuniziert. In Wien werden 30 Millionen Euro in die sukzessive Erneuerung der Schul-Computer bis 2016 investiert, wie Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch betonte.

Nun schlagen allerdings die Eltern Alarm. Sie fürchten, dass diese rasante Entwicklung in einen rein elektronischen Unterricht mündet. "Wir sind strikt dagegen, dass keine Printmedien mehr in den Schulunterricht einfließen", sagt Andreas Ehlers vom Österreichischen Elternverein zur "Wiener Zeitung". Freilich sei E-Learning ein wichtiges ergänzendes Hilfsmittel - der Stick dürfe jedoch nicht zum Schulbuchersatz werden.

Die Gefahr dabei: Ein verantwortungsloser Lehrer könne die Schüler einfach Internet-Adressen nachschlagen lassen, um selbst weniger Arbeit mit der Wissensvermittlung zu haben. "Kinder mit den Möglichkeiten des Internets allein zu lassen ist aber verbrecherisch", so Ehlers, "der Lehrer muss ihnen vorher unbedingt beibringen, sich kritisch damit auseinanderzusetzen." Das Wichtigste am E-Learning sei, es stets altersadäquat einzusetzen. Basiskompetenzen in Lesen, Schreiben und Mathematik sollten weiter mit Hilfe von Büchern, im Rahmen der Mensch-Mensch-Beziehung erworben werden.

Ausdrucke kostenetwas - Schulbücher nicht

"Zu glauben, das elektronische Schulbuch kostet nichts, ist nämlich auch falsch. Fakt ist: Wenn man einen Ausdruck will, müssen ihn die Eltern zahlen. Für Schulbücher gibt es hingegen seit dem vorigen Jahr gar keinen Selbstbehalt mehr", fährt Ehlers fort, der bei der Verwendung von elektronischen Medien ein weiteres Problem ortet. "Der Schulalltag könnte etwa so aussehen: Der Schüler kommt in der Früh zum Lehrer und sagt: ,Entschuldigung, ich hab’ den Stick verloren.‘ Oder: ,So ein Pech, der Stick ist kaputt, gestern war meine Hausübung noch drauf.‘" Vor allem Letzteres könne mit einer im Heft verewigten Arbeit nicht passieren.

Für den niederösterreichischen Landesschulrat ist E-Learning allerdings die Lernform der Zukunft. "Lesen, Schreiben und Rechnen sollen durch die vierte Grundfertigkeit IT erweitert werden", sagt der amtsführende Präsident Hermann Helm im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Zehn der 56 AHS in Niederösterreich seien sogenannte "Elsa-Schulen", in denen E-Learning bereits ein fixer Bestandteil des Schulalltags ist. Dieses Schuljahr habe man zahlreiche neue Schwerpunkte in diese Richtung gesetzt und bietet zum Beispiel eine Lehrerfortbildung für E-Learning, Cybermobbing und Cyberkriminalität an. "Im Landesschulrat wurden extra zwei Personen allein für den Ausbau des E-Learnings abgestellt", heißt es.

In Wien ist die Schwerpunktsetzung ähnlich. "Wien war Ende der 90er das erste Bundesland, in dem jede Volksschulklasse zwei Computer hatte", betont Stadtschulrat-Sprecher Matias Meißner. Im Jahr 2010 testete die Pädagogische Hochschule (PH) erstmals die "digitale Schultasche": ein USB-Stick, mit dem auf der Tafel geübte Aufgaben mit nach Hause genommen werden und auf dem auch die benötigte Software gespeichert ist.

"Lesen und Schreiben wird immer wichtig bleiben"

Derzeit werde an der PH Wien nach den besten Möglichkeiten gesucht, wie Schüler von verschiedenen Computern aus auf dieselbe Datei zugreifen können (Datei-Sharing), so der Leiter des Zentrums für Medienbildung an der PH, Gerhard Scheidl. "Schreiben im Heft wird aber immer wichtig bleiben, auch in Hinblick auf die Feinmotorik", beruhigt er.

Dass E-Learning "nie die persönliche Beziehungsebene zwischen Lehrer und Schüler ersetzen wird", glaubt auch Bildungsexpertin Heidi Schrodt. Dennoch werde es zunehmend wichtiger - Aufgabe der Lehrer sei nun, die richtige Balance zu finden. "Vor allem Volksschüler sollten dem E-Learning nur gezielt und in kleinen Dosen ausgesetzt werden", meint Schrodt. Ob Lehrer Kinder mit dem Computer alleine lassen, um selbst weniger Arbeit zu haben, sei eine reine Charakterfrage. Schwarze Schafe habe es schon immer gegeben - auch, als das zu vermittelnde Wissen ausschließlich in Heften, Büchern und auf Arbeitsblättern stand.