Zum Hauptinhalt springen

"Für einen Artikel bekommt man 25.000 Euro, in Österreich nichts"

Von Simon Rosner

Politik

"Wiener Zeitung": Sie sind 2009 von der TU Wien nach Kuala Lumpur an die Universität gewechselt. Was waren Ihre Beweggründe?

Ille Gebeshuber: Die Idee war, eine andere Art des Denkens, eine andere Art des Lebens, eine andere Weise, über die Welt nachzudenken. Ich habe beschlossen, in ein tropisches Land zu gehen, in ein muslimisches Land zu gehen, in dem es verschiedene Bevölkerungsgruppen und verschiedene Religionen gibt. Um all die globalen Probleme der Menschen, die voneinander abhängig und einander beziehend sind, zu adressieren. Die westliche Art der Wissenschaft und Wirtschaft hat viele dieser Probleme verursacht, und jetzt müssen wir sie adressieren, etwa resistente Mikroorganismen, Wasserversorgung, Bevölkerungswachstum. Jetzt müssen wir schauen, dass wir eine neue Art des Denkens entwickeln.

Das hat also nicht mit den Bedingungen in Österreich zu tun?
Das war ein ganz anderer Ansatz. Um eben diese Themen anzugehen, braucht man einen anderen Blickwinkel und deshalb haben wir beschlossen, wir gehen jetzt für ein paar Jahre nach Malaysia.

Was waren die ersten Eindrücke, die ersten Unterschiede?
Dass in diesem Erziehungssystem in Malaysia schon ein großer Wert auf das Auswendiglernen gelegt wird, und dass die Strukturen noch sehr hierarchisch sind. Was der Professor sagt, gilt, das wird auswendig gelernt, darüber wird nicht nachgedacht. In Österreich hinterfragen die Studenten, sie versuchen den Sachen auf den Grund zu gehen. Andererseits sehe ich in Malaysia, dass beim normalen Zusammenarbeiten der Forscher über die Fachgrenzen hinweg sehr große Synergien auftauchen. Das ist bei uns schwieriger, dass etwa der Physiker mit dem Biologen, das wird schon ein bisschen schwieriger.

Was ist mit den Rahmenbedingungen?
Viel besser als in Österreich. Malaysia, vor allem meine Uni, hat sich zum Ziel genommen, unter die besten 100 der Welt zu kommen bis 2020, da buttern sie massiv rein. Wir kriegen für einen Artikel in einem hochangesehenen Journal 25.000 Euro, in Österreich nichts.

Ist das ein Vorwurf an Wien, oder ist das einfach eine andere Welt?
Nein, überhaupt nicht. Der Unterschied ist, dass diese Länder einen unendlichen Optimismus haben, dass sie fähig sind, aus ihren Fehlern zu lernen. In Österreich halten viele Leute an ihren Traditionen fest. Und wenn sie draufkommen, dass sie etwas 100 Jahre lang falsch gemacht haben, dann machen sie es zu Fleiß nicht anders. Das gibt es hier nicht.

Was wären konkrete Beispiele, wo an Traditionen festgehalten wird?
Beispielsweise innovative Arten des Lehrens oder die Beteiligung der Studenten in Zeiten von Google und des Wissens auf Abruf. Man greift auf teilnehmerorientierte Kleingruppen zurückgreift, in denen die Leute lernen, zu verstehen und sich intensiv mit den Dingen auseinandersetzen.

Wenn sie nach Wien zurückkehren, was würden sie ändern?
Definitiv, ich würde jedenfalls die Art des Lehrens ändern. Ich würde weniger draußen herkömmlich lesen, sondern wie ein Dirigent seine Studentengruppe zum Selbstnachdenken anregen. Die Aufgabe des Lehrers ist, ein Gespür zu vermitteln für Trends und Entwicklungen.

Könnten sie überhaupt so arbeiten in Wien?
Es ist momentan sehr schwierig mit dem finanziellen Hintergrund, vermehrt in Kleingruppen zu arbeiten. Aber das wäre unheimlich wichtig. Wie wir unseren Nachwuchs erziehen, bestimmt, wie es unserem Land in Zukunft geht.

Wie ist die Situation des Mittelbaus an der Universität in Kuala Lumpur?
Die Karriere ist durchgeplant. Wenn man einen Dissertanten hat, dann hat der schon eine fixe Stelle, meist an einer anderen Universität, ist schon identifiziert als zuverlässiger, als sehr guter Mitarbeiter. Die haben eine Lebensstellung. Die Dissertanten, die ich habe, von denen weiß ich, dass sie in zehn Jahren Professoren werden und Institutsvorstand, und deshalb ist es für mich auch sinnvoll, meine Energien hier zu investieren. Diese Fluktuationsstellen wie bei uns, die gibt es hier nicht. Wenn jemand auf der Uni ist, dann bleibt er auf der Uni. Die Selektion am Anfang ist sehr hoch, aber die wenigen, die ausgesucht werden, die werden stark unterstützt.

Unter diesen Gesichtspunkten: Kommen Sie dann gerne nach Wien zurück?
Auf jeden Fall will ich wieder nach Wien, um einfach auch dieses Wissen, das ich im Ausland erworben habe, meinem Land zu Verfügung zu stellen. Denn Österreich hat meine Ausbildung finanziert, hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Als Kind aus der Mur-Mürz-Furche von einem kleinen Voest-Angestellten habe ich aufs Gymnasium gehen, studieren können, habe ein Stipendium bekommen. Jetzt wird mein Wissen vergrößert und mein Horizont erweitert, und es passt, dann schau ich natürlich, dass ich das meinem Land zur Verfügung stelle.

Ille Gebeshuber, 1969 in Bruck an der Mur geboren, ist österreichische Physikerin mit den Arbeitsschwerpunkten Nanophysik und Biomimetik. Am Bundesgymnasium in Kapfenberg maturierte sie 1987, anschließend absolvierte sie ein Studium der Technischen Physik an der TU Wien. 2008 erfolgte die Habilitation in Experimentalphysik. Seit Anfang 2009 ist Ille Gebeshuber Professorin am Institute of Microengineering and Nanoelectronics (IMEN) der Nationalen Universität Malaysia.
www.ille.com