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"In Wien muss man sich halt mehr bemühen"

Von Simon Rosner

Politik
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Wiener Psychologe über das Lehren in Zürich und die Unterschiede zu Wien.


"Wiener Zeitung": Sie haben nach Ihrem Studium gleich einen Lehrauftrag an der Uni Wien bekommen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

René Proyer: In meinem ersten Seminar waren über 100 Studierende. Gerade bei der ersten Lehrveranstaltung ist das schwierig. Heute, mit zehn Jahren Lehrerfahrung, geht man an so etwas anders heran und hat auch eine andere Sicherheit. Der Aufwand, die Seminararbeiten zu korrigieren, war natürlich auch enorm. Denn jeder dieser 100 Studenten hat zwei psychologische Gutachten zu 20 Seiten geschrieben.

Vor acht Jahren haben Sie dann eine Assistenzstelle an der Uni Zürich angenommen, wie groß sind die Seminare dort?

Es gibt Seminare mit zehn Studenten, vielleicht einmal mit zwanzig. Bei meinen Veranstaltungen habe ich eine Begrenzung von 25 Studenten. In meinen Projektgruppen betreue ich drei bis fünf Studenten, die Masterarbeiten schreiben. Als ich noch in Wien war, hatte ein Professor 20, 30 oder mehr Diplomanden. Das ist schon ein ganz anderes Arbeiten. Aber ich weiß nicht, wie es jetzt ist.

Waren das die Gründe für Ihren Wechsel nach Zürich?

Ich habe damals einen Projektantrag beim Wissenschaftsfonds in Wien, dem größten Forschungs-Fördergeber, eingereicht, und der wurde abgelehnt. Es gab zwar die Möglichkeit, Lehraufträge und Projekten zu machen, aber darüber hinaus habe ich keine großen Perspektiven gesehen. Deshalb habe ich mich im Ausland umgesehen, und ich habe es nicht bereut.

Wie wäre Ihre Karriere wahrscheinlich verlaufen, wenn Sie nicht ins Ausland hätten wechseln können?

Eine Option wären natürlich die Lehraufträge gewesen, wobei es da immer die Unsicherheit gegeben hätte, dass man durch Umstrukturierungen den Lehrauftrag verliert. Was ich wahrscheinlich gemacht hätte, wäre eine Zusatzausbildung zum klinischen Psychologen gewesen, wie es viele machen, denn die wird als Voraussetzung gesehen, um praktisch arbeiten zu können. Die Forschung hätte ich dann nur nebenbei machen können.

Wenn Sie an Ihre ersten Wochen in Zürich denken. Welche Unterschiede zu Wien sind Ihnen zuerst aufgefallen?

Die technische Ausstattung war wesentlich besser, als ich es aus Wien kannte: neue Computer für alle, keine Streitigkeiten um Räume. Und man hatte auch kein Problem, Räume zu bekommen, um Experimente zu machen. Bei Lehrveranstaltungen war auch immer ein Mitarbeiter des Hörsaaldienstes anwesend, der geholfen hat, den Computer anzuschließen und die Technik betreut hat. Ich hatte auch den Eindruck, dass die internationale Vernetzung hier mehr Bedeutung hat.

Und was ist seither dazugekommen?

Die Veränderungen der letzten Jahre in Wien habe ich nur marginal mitbekommen. In Zürich hat man jedenfalls eine realistische Chance, Forschungsgelder zu bekommen. Und sie werden auch zeitgerecht bezahlt. Aus Wien hört man, dass dies trotz Zusagen zu einem Projekt manchmal auch Jahre dauern kann. Im Kanton ist man sich schon bewusst, dass Forschung etwas kostet und auch kosten darf.

Hat Wien in irgendwelchen Bereichen Vorzüge?

Durch die große Menge an Studierenden hat man in Wien immer auch welche dabei, die ungewöhnliche, kreative Zugänge haben, während hier das Hauptmerkmal der Studierenden ihr unglaublicher Fleiß ist. Aber diese Knappheit an Ressourcen in Wien zwingt die Studenten, mehr aufzufallen, und das fördert bis zu einem gewissen Grad Kreativität. Man muss sich halt mehr bemühen.

Ist die große Menge an Studierenden in Wien gar ein Vorteil?

Wenn man einen größeren Pool an Personen hat, die Diplom- oder Masterarbeiten machen können, bringt das in den empirischen Wissenschaften etwas, da man relativ schnell viele Daten sammeln kann. Und man kann viele Experimente gleichzeitig machen.

Inwieweit ist die Situation für den Mittelbau in Zürich besser als in Wien?

Es gibt hier wie in Wien nur befristete Verträge. Aber die Chancen, die man danach hat, etwa mit einem Post-Doc in die USA zu gehen, in ein Projekt einzusteigen oder eine Assistenzstelle zu bekommen, sind hier wahrscheinlich größer.

René Proyer ist Oberassistent am Psychologischen Institut der Universität Zürich. Der Wiener hat sein Studium 2002 beendet und unmittelbar danach einen Lehrauftrag an der Uni Wien erhalten. 2004 nahm Proyer eine Assistenzstelle in Zürich an. Aktuelles Studienprojekt:

www.staerkentraining.ch