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"Alles Walzer" in Belgrad

Von Stefan Beig

Politik

Die wirtschaftlichen Beziehungen verbessern das Verhältnis Wien-Belgrad.


Belgrad. Wiener Walzer, Polka, Operettenschlager, Weingläser und das Wiener Opernball-Orchester mitten im Blitzlichtgewitter der serbischen Presse: Reporter aller serbischen TV-Sender und Tageszeitungen sind zu diesem Ereignis im Belgrader Hotel Metropol Palace angereist. "Für Belgrad ist das eine Überraschung, aber eine angenehme", meint der serbisch-stämmige Wiener Schriftsteller Goran Novakovic. Samstagabend fand in Belgrad der erste Wiener Ball statt. "Hier gibt es ja keine Balltradition", betont Novakovic. Früher, in der k.u.k.-Zeit, und auch später im Königreich Jugoslawien, da wurde in Serbien sehr wohl das Tanzbein geschwungen, doch in der sozialistischen Republik unter Marschall Josip Broz Tito war jegliches Balltreiben verboten. Samstagabend markierte den Neustart.

Veranstaltungsort war ein 800-Quadratmetersaal des eben fertig renovierten und in völlig neuem Glanz erstrahlenden Hotel Metropol Palace. "Es war gar nicht so leicht, einen geeigneten Ballsaal zu finden", erzählt der Ball-Veranstalter Darko Miloradovic. In aller Welt sind Wiener Bälle mittlerweile ein Exportschlager der Stadt Wien: In New York, Hong Kong, Kuala Lumpur oder Moskau sind sie bereits ein regelmäßiges Ereignis für Medien, Wirtschaft und Politik. Doch in Belgrad und anderen exjugoslawischen Städten hat man Wiener Bälle bisher vergebens gesucht.

In Belgrad tummelten sich am Tanzparkett unter anderem Wiens Vizebürgermeisterin Renate Brauner sowie Wiener Wirtschaftskammerpräsidentin Brigitte Jank. Bürgermeister Michael Häupl hat den Ehrenschutz für die Veranstaltung übernommen. Wie zur Zeit des Wiener Kongress 1814/15, als Wien Gastgeber sämtlicher europäischer Staaten war und die Balltradition hier ihre Blüte erlebte, so dient auch diesmal in Belgrad das Balltreiben besonders dem gegenseitigen Austausch, besonders freilich dem wirtschaftlichen, der Wien und Belgrad zurzeit besonders eng aneinanderschweißt. Wirtschaftsdelegierter Andreas Haidenthaler, Werner Weihs-Raabl, Managing Director von der Erste Bank, sowie Ivan Gros von Grimex Consult gehörten zu den Ballgästen.

Österreich ist heute der größte Investor in Serbien

400 heimische Unternehmen haben bereits eigene Niederlassungen in Serbien, wo sie bisher insgesamt 20.000 Arbeitsplätze geschaffen haben. Mit 2,8 Milliarden Euro ist Österreich der größte Investor. A1 ist der drittgrößte Mobilfunkbetreiber in Serbien, die OMV ist für ein dichtes Tankstellennetz zuständig, der Wiener Baukonzern Porr hat bereits eine neue Brücke über die Save errichtet und baut derzeit die Verkehrsanschlüsse an die Brücke. Falkensteiner baut ein Hotel und Swarovski eine neue Produktionsstätte in Subotica, Reiwag errichtet eine Kunststoffmüllverwertungs-Anlage in Novi Sad, auch österreichische Banken wie Raiffeisen und Erste Group sind in Serbien stark vertreten. "Serbien ist für die heimische Wirtschaft sowohl als Investitions- und Exportmarkt, als auch als Produktionsstandort und Beschaffungsmarkt interessant", betont Brigitte Jank. Die EU-Beitrittsperspektive dürfte die Attraktivität des serbischen Marktes gesteigert haben: Von Jänner bis Juli 2012 stiegen die Exporte nach Serbien aus aller Welt um sechs Prozent.

Für die meisten Ballinteressierten war dieser Wiener Ball nicht erschwinglich: Mehr als 4000 Euro kostete ein Tisch mit zehn Personen. Nur die Wirtschaftstreibenden leisteten sich das Vergnügen zwecks Networking. Das Flair der Wiener Bälle konnte sich dennoch ungezwungen ausbreiten, einige serbische Ballgäste blieben bis zum Schluss. Für eine traditionelle Balleröffnung zu den Klängen von Carl Michael Ziehrer und Josef Strauss sorgte der Belgrader Tanzklub "You Dance", viel Applaus ernteten auch Kammersänger Josef Luftensteiner und die Wiener Sopranistin Martina Dorak mit Klassikern wie "Meine Lippen, die küssen so heiß". Man wolle die freundschaftlichen Beziehungen zu Wien über den Ball weiterhin pflegen, unterstrich der bis zum Ballende durchhaltende Stadtparlamentspräsident Aleksandar Antic, der Renate Brauner in seiner Eröffnungsrede als "Freundin des serbischen Volkes" bezeichnete.

Geschichtlich vor allem über die Kultur verbunden

Veranstalter Darko Miloradovic findet, der Ball passt gerade nach Belgrad sehr gut, und Vizebürgermeisterin Renate Brauner, die viele Wiener Bälle in anderen Ländern schon miterlebt hat, stellt fest: "Man merkt die kulturelle Verbundenheit hier. Das wird sicher nicht der letzte Ball. Wir haben uns alle wirklich gut unterhalten." Ein wichtiger Bezugspunkt zu Wien ist für Serbien die Kultur, wie der Autor Goran Novakovic erzählt: "Alle sehen hier das Neujahrskonzert, Wien wird mit Kultur in Verbindung gebracht, in der Geschichte waren die größten Schriftsteller Serbiens in Wien." Der Wissenschafter und Dichter Vuk Stefanovic Karadzic lebte etwa über ein halbes Jahrhundert in Wien und brachte das berühmte "Serbische Wörterbuch" im Mechitaristen-Kloster in Wien-Neubau heraus. Der Philosoph und Schriftsteller Dositej Obradovic verbrachte sechs Jahre in Wien.

Novakovic, der in seinem Buch "Wien für In- und Ausländer" Besonderheiten des Wiener Lebens humoristisch dargestellt hat, fällt es nicht schwer, die Eigenheiten von Belgrad und Wien aufzuzählen: "Belgrad hat eine andere Tradition als Wien: Hier wird für die Kinder gelebt, und zwar bis zum Ende: Man unterstützt die Kinder, selbst wenn man nur eine armselige Pension bezieht." Völlig fremd sei Belgrad die Wiener Angewohnheit, nach dem Essen in den Lokalen getrennt zu bezahlen. "In Belgrad zahlt immer einer für alle, in Wien jeder für sich. Nutznießer dieser Kultur sind die Kellner, weil jeder Einzelne Trinkgeld zahlt."

"In Belgrad wachen die Frauen mit Make-up auf"

Besonders großer Wert werde in Belgrad darüber hinaus auf Marken gelegt. "Marken zu tragen ist hier lebenswichtig. Die Eltern sind bereit, etwas von der Hand wegzunehmen, nur damit ihre Kinder bestimmte Marken kriegen." Und überhaupt seien Belgrads Frauen sehr selbstbewusst. "Sie haben dauernd Make-up und sind supercool angezogen, von früh bis spät. Hier wachen die Frauen mit Make-up auf." Hunde an der Leine, wie sie in Wien gang und gäbe sind, habe es in Belgrad früher auch nicht gegeben - mittlerweile schon. Doch dann sind da auch die Ähnlichkeiten, etwa dass beide Städte am selben Fluss liegen, dass eine gewisse Geselligkeit anzutreffen ist und in beiden Städten Schweinefleisch gerne verkostet wird: "Wien ist ein Paradies für mich; überall gibt es Schweinereien."

1991 ist Novakovic nach Wien gekommen. Den Bürgerkrieg, der gerade ausgebrochen war und den Zerfall Jugoslawiens eingeleitet hat, wollte er nicht miterleben. Wien war für ihn die nächste Stadt, Novakovic konnte bereits Deutsch und darüber hinaus bekam er hier ein Stipendium. Gerade die Zeit der Jugoslawien-Kriege warf Schatten auf die serbisch-österreichischen Beziehungen, und auch das Attentat von Sarajevo, das zum Ersten Weltkrieg geführt hat, der wiederum den Zerfall der Donau-Monarchie nach sich gezogen hat, behalten viele Österreicher bis heute gut im Gedächtnis. Vergessen waren sehr lange die Zeiten, als serbische Offiziere, Künstler, Geistliche und Aristokraten innerhalb der Wiener Stadtmauern weilten. "Am Ende haben wir immer einen gemeinsamen Weg gefunden", unterstreicht Goran Novakovic.

Zu einer merklichen Verbesserung der Beziehungen dürfte auch die große serbische Community in Österreich beitragen. Allein in Wien leben geschätzte 180.000 serbisch-stämmige Österreicher. Damit ist die serbische Community die größte Wiens und Wien andererseits die viertgrößte Stadt von Menschen mit serbischen Wurzeln. "Die Zahlen der Zuzüge belegen, dass Österreich für die serbische/montenegrinische/kosovarische Bevölkerung noch immer ein attraktives Ziel ist", hält die Medien-Servicestelle Neue Österreicher fest.

Diese Menschen bringen auch ein Know-how mit, erklärt Novakovic. Gegenüber der "Wiener Zeitung" bestätigen auch heimische Unternehmer, zum Beispiel Porr, dass serbischsprachige Mitarbeiter in Wien bereits "absolut notwendig" sind, allein um die Ausschreibungen in serbischer Sprache zu verfassen.

Zu Ende ging der Ball mit Donauwalzer und Radetzky-Marsch und einem "Wir sehen uns im nächsten Jahr."