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"Hier gibt es nur noch Kebab"

Von Stefan Beig

Politik

Hinter der harmonischen Fassade am Viktor-Adler-Markt gibt es Spannungen.


Einen Nachfolger für einen Stand zu finden, ist für viele sehr schwer.
© Eyup Kus

Wien. In Wien ist er fast schon eine Institution: Seit mehr als 140 Jahren bieten Händler am Viktor-Adler-Markt in Wien-Favoriten ihre Waren an. Viele schöne Kindheitserinnerungen mit ihm verbindet Monika Bratic, ehemalige Online-Chefin des Magazins "Biber". Sie ist mit fünf Jahren von einem serbischen Dorf nach Wien gekommen. "In Serbien war es ganz normal, Obst und Gemüse auf dem Markt zu kaufen."

So fühlte sie sich speziell am Viktor-Adler-Markt gleich heimisch, und das nicht nur, weil viele ihrer Verwandten dort wohnten. Bis heute schätzt sie besonders den Bauernmarkt in der Leibnizstraße, der gleich an den Viktor-Adler-Markt grenzt. Von März bis Oktober werden hier Tomaten, Weintrauben und anderes Obst zu extrem günstigen Preisen angeboten und offen ausgerufen. "Das ist ein schreiender Markt", sagt Bratic. "Von allen Märkten Wiens ist mir der Viktor-Adler-Markt am liebsten. Das liegt an der Atmosphäre - dass man sich austauscht, interagiert, was im Supermarkt nie passieren würde. So war es auch in meinem Heimatdorf."

Der Bauernmarkt ist beliebt. Sogar aus anderen Gegenden kommen Wiener zum Einkaufen. "Der Bauernmarkt ist vom Viktor-Adler-Markt nicht zu trennen", meint Ercan Yalcinkaya von der Mobilen Jugendarbeit. Zu den besonderen Angeboten am Viktor-Adler-Markt gehören für ihn die günstigen Textilien aus Indien und Pakistan oder etwa das sehr beliebte türkische Restaurant "Adler". Es gibt auch alteingesessene Standbesitzer, allen voran die Familie Andrä, die hier seit 1871 Obst anbietet und damit den ältesten Gemüsestand Wiens hat. Doch die Kinder werden die Familientradition nicht mehr fortsetzen. "Es ist wahnsinnig schwer, Nachfolger zu finden", erzählt Yalcinkaya. "Das ist harte Knochenarbeit. Wenn einer einen Laden übernimmt, dann ist er meistens ein Zuwanderer, der sich selbständig machen will."

Ohne Zuwanderer würde die Gegend aussterben. In der Quellenstraße in unmittelbarer Nähe befinden sich 204 Geschäfte, die zur Hälfte in den letzten zehn Jahren eröffnet haben. 42 Prozent der Besitzer haben türkischen Migrationshintergrund, ergab eine Geschäftsstudie. Auch viele Friseure sind darunter. "Es gibt eine große Fluktuation", erzählt Elke Eckerstorfer, Leiterin der Gebietsbetreuung in Favoriten. "Eigentlich dominiert hier die ex-jugoslawische Community, aber die türkische fällt stärker auf."

Seit mehr als 140 Jahren bieten Händler ihre Waren an.

"Nur türkische Geschäfte"

Bei einigen Alteingesessenen stößt diese Veränderung auf Ablehnung. 33,84 Prozent bekam die FPÖ bei der letzten Gemeinderatswahl in Wien-Favoriten. "Man hat das Gefühl, nicht in Österreich zu sein", erklärt ein Alt-Favoritner. "Hier sind nur mehr türkische Geschäfte." Ein anderer beschwert sich: "Mir sind die Türken nicht unsympathisch, aber hier gibt es nur mehr Kebab." Viele beklagen, es sei nicht mehr wie vor 20 Jahren. Wegen der vielen "Ausländer und Türken" würden "die Österreicher" wegziehen. Ältere Geschäftsbesitzer klagen, dass sie so gute Kunden verloren hätten. Einige leben noch von langjährigen Stammkunden. Es kursiert der Spruch von den "letzten Verbliebenen". Auch die Billig-Lokale machen einigen zu schaffen. Speziell der Flohmarkt auf der Quellenstraße "haut die Preise z’sam". Anerkennend meint einer immerhin: "Der Türke hat ein super Fleisch."

Im zehnten Bezirk fehle die Gruppe der 20- bis 40-Jährigen, meint Eckerstorfer. "Die Alteingesessenen sind schon älter, und dann gibt es eben die vielen Kinder." Doch gerade die Migranten seien im Durchschnitt "total zufrieden. Ihnen gefällt es in Wien-Favoriten. Sie sind auch risikofreudiger." Eckerstorfer sieht hier ein großes Potenzial.

Auf der einen Seite die Alteingesessenen, auf der anderen die migrantische Jugend. Viele der vom Jugendzentrum betreuten Jugendlichen haben ihre Wurzeln in der Türkei, Ex-Jugoslawien, Afrika oder Tschetschenien. "Bei der Jugend gibt es weniger Vorurteile als bei Erwachsenen", erzählt Ercan Yalcinkaya. Manche Alteingesessenen stünden eben auf dem Standpunkt: "Wir sind die Alten. Das gehört uns." Ihm ist die Jugend ein besonderes Anliegen, denn sie habe teils keinen anderen Ansprechpartner als die Betreuer der Jugendarbeit. Bei Problemen mit den Eltern, in der Schule oder auch finanziellen Schwierigkeiten kämen viele Jugendliche zum Jugendzentrum. Wichtige Themen seien auch erste Erfahrungen mit der Liebe. Bei Problemen wie religiösem Fundamentalismus oder Nationalismus werde man auch aktiv. Zwar sei die religiöse Praxis bei den Jugendlichen nicht sehr ausgeprägt, aber: "Bei Religiosität geht es nicht nur um Ausübung, sondern auch um Identität, und die ist stark."

Zu wenig Selbstbewusstsein

Monika Bratic findet, dass man auch das Selbstbewusstsein der Jugendlichen mit Migrationshintergrund mehr fördern sollte. "Migrant-Sein bedeutet in der Öffentlichkeit noch immer ein Problem. Man müsste viel mehr den Zugang zu den Menschen aufbauen, ihnen ein Selbstbewusstsein geben. Das ist ein sehr emotionales Thema, bei dem es nicht nur um Rassismus oder Sozialpolitik geht."

Ein großer Erfolg sei die Aktion "Wir in Favoriten" im Juni gewesen, erzählt Eckerstorfer. Damals stellten sich 45 Bezirksvereine vor. "Das kommt irrsinnig gut an. Da arbeiten alle sehr gut zusammen, die Leute lernen sich besser kennen." Auch auf Nachbarschafts- und Straßenfeste für Kinder setze man: "Wenn wir mit den Kindern anfangen, dann kommen auch die Eltern."