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"Die Muslime wollen erst seit 10 Jahren hier bleiben"

Von Stefan Beig

Politik

"Novelle des Islamgesetzes ist nötig, weil vieles noch nicht geregelt ist."


"Wiener Zeitung":

Seit genau 30 Jahren lebt Fuat Sanac in Wien.
© © Robert Newald

1982 sind Sie nach Wien gekommen. Wie viele Moscheen gab es damals?Fuat Sanac: Ungefähr zehn. Hier lebten nur wenige Muslime, Gastarbeiter, Studenten und Geschäftsleute. Die erste türkische Moschee entstand in den 1970er Jahren im 5. Bezirk. Sie wurde noch von Sympathisanten aller islamischen Gruppen in der Türkei besucht, auch der türkische Botschaftsrat war dabei. Erst Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre hat jede Gruppierung ihre eigene Moschee gegründet. Bei den ersten Wahlen der Islamischen Glaubensgemeinschaft kam es zur endgültigen Trennung. Bei den Wahlreden ist Streit ausgebrochen, die Veranstaltung endete im Chaos.

Hat die Zugehörigkeit zu einer Gruppierung damals eine große Rolle gespielt?

Eigentlich nicht. Alle haben offen miteinander diskutiert. In Deutschland, wo ich vorher war, war das anders. Dort war jede Gruppe so verschlossen, dass sie voneinander nichts wussten.

Haben sich die Gruppen stark voneinander unterschieden?

Ich habe die Trennung in Deutschland damals kritisiert, denn in Wahrheit gibt es keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Alle waren sunnitisch, folgten der hanefitischen Rechtsschule, hatten die gleiche Tradition und stammten aus den gleichen türkischen Städten. Nur die politischen Vorstellungen waren verschieden. Die Trennungen waren künstlich. In der Praxis ging es um das Gleiche.

Erst Anfang der 80er Jahre hat jede Gruppierung ihre eigene Moschee gegründet. Jenis
© © Stanislav Jenis

Wurde in den Moscheen über Politik gesprochen?

Ab und zu ja. Mich und viele andere hat das sehr gestört. Eine Moschee ist kein Wahlpodium.

Sie waren in den vergangenen Jahrzehnten besonders bei Milli Görüs aktiv. Wie kam es zum Kontakt?

Ich kam 1978 zum Wirtschaftsstudium nach Köln und habe dort niemanden gekannt. Als ich mich nach Hilfe umgesehen habe, wurde ich zu einer Moschee von Milli Görüs gebracht. Vier Monate lang habe ich in einem Verein von Milli Görüs gewohnt, bis sie für mich ein Haus in einer anderen Stadt gefunden haben. Sie haben mich auch bei der Uni angemeldet. So entstand meine Anbindung an Milli Görüs.

Moscheen übernehmen in Österreich und Deutschland auch nicht-religiöse Funktionen. Es gibt Geschäfte, Frisiersalons...

Das war von Anfang an so. Das ist eine Notwendigkeit. Diese Menschen verdienten nicht viel. Sie leisteten "Drecksarbeit", lebten unter schlimmen Bedingungen und mussten diese Moschee erhalten. Mit den Mitgliedsbeiträgen war das nicht möglich, damals wie heute. Daraufhin haben sie Lebensmittel möglichst billig beim Großmarkt gekauft und etwas teurer in der Moschee verkauft. Alle haben ehrenamtlich gearbeitet.

Und heute?

Heute funktioniert das in ganz kleinen Moscheen noch immer so. In größere Moscheen wird das Geschäft jemandem übertragen, der es nach österreichischen Gesetzen betreibt und Miete bezahlt. Mit der Miete werden die Ausgaben in der Moschee finanziert.

Sind die Muslime mit ihren Moscheen von damals heute noch zufrieden?

Damals hatten die Muslime nicht geplant zu bleiben. Sie wollten daher nicht viel ausgeben. Nun sagen sie: Wir sind hier zu Hause und unsere Moschee muss des Islams würdig sein. Das verlangt vor allem die zweite und dritte Generation. Der Trend geht hin zu weniger, aber größeren und schöneren Moscheen.

Die Lebensperspektive hat sich verändert?

Erst vor zehn Jahren haben die Muslime beschlossen, hier zu bleiben. Sie wohnten in den billigsten Wohnungen und investierten in Häuser in der Türkei. Fast jeder hatte ein eigenes Haus in der Türkei. Jetzt verkaufen sie ihre Häuser und kaufen sich dafür welche in Österreich. Alle haben gesagt: Hier leben wir wie eine Kirchenmaus, in der Türkei sind wir reich, aber wir haben nichts davon. In den letzten zehn Jahren gab es eine große Veränderung.

Ein Anliegen von Ihnen ist, dass Muslime in Österreich ihre Heimat sehen. Was wurde dafür getan?

Mittlerweile gibt es drei islamische Friedhöfe in Österreich. Das ist sehr wichtig. Muslime wollen dort leben, wo sie ihre letzte Ruhe haben können. Die jetzige Islam-Verordnung besteht leider nur aus wenigen Paragraphen. Für vieles fehlt die gesetzliche Grundlage. Die Beamten arbeiten dennoch mit uns zusammen, weil wir allen Religionsgemeinschaften gleichgestellt sind, aber es dauert alles viel länger. 25 Jahre haben wir bis zum islamischen Friedhof gebraucht, 18 Jahre waren es bis zur Gründung der Islamischen Religionspädagogischen Akademie. Seit 25 Jahren reden wir über eine islamisch-theologische Fakultät. Wir müssen unsere Imame hier ausbilden. Viele Jugendliche verstehen nur sehr, sehr wenig Türkisch, Arabisch, Bosnisch oder Persisch.

Früher war die Muslimische Jugend in Österreich (MJÖ) offizielle Jugendvertretung, seit Ihrer Präsidentschaft gibt es den Jugendrat. Warum?

Ich war immer der Meinung, dass alle Jugendorganisationen unter einem Dach zusammenarbeiten müssen. Zurzeit sind es 32, die MJÖ ist eine davon.

Sie hoffen auf die geplante Novelle des Islamgesetzes. 2014 soll sie beschlossen werden.

Sie wird eine neue Ära einläuten. Auch die Verpflichtungen der Muslime werden klar geregelt sein. In den vergangenen 15 Monaten haben uns alle geholfen, Politiker wie Wissenschafter. Ich bin sehr stolz darauf, Österreicher zu sein.