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"Judentum braucht Zuwanderung"

Von Alexia Weiss

Politik

Warum das Leben als orthodoxer Jude in Wien ruhiger sei als in Israel.


Wien. Der Block religiöser Juden ist bereits seit Jahrzehnten im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien vertreten und hält derzeit eines der 24 Mandate.

Für Yaakov Frenkel hat Wien Entwicklungspotenzial.
© © Stanislav Jenis

"Wiener Zeitung": Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Wiener jüdischen Gemeinde in den vergangenen zehn Jahren aus der Perspektive religiöser Juden?Yaakov Frenkel: Die religiöse Gemeinde hat sich verdreifacht. Als ich 2002 gekommen bin, gab es an unserer Schule inklusive Kindergarten 170 Kinder bis 16 Jahre. Heute sind es 350. Es gibt mehr orthodoxe Synagogen. Wir haben in diesen zehn Jahren 30 Familien nach Wien gebracht, auf eigene Kosten. Nun gibt es mehr koschere Geschäfte. So werden die Preise für koschere Lebensmittel günstiger.

Seit diesem Herbst hat auch Wien einen Eruv, der es ermöglicht, am Schabbat etwas vom privaten in den öffentlichen Raum zu tragen. Gibt es noch etwas, was der Orthodoxie fehlt?

Wir brauchen jüdischen Zuzug, gut qualifizierte Menschen. Wir haben eine starke Gemeinde, in der es Platz gibt für noch 25.000 Juden. Aber derzeit ist es so, dass Leute herkommen und dann nicht wissen, wo sie arbeiten können, denn es ist schwer, Arbeit zu finden, wenn man Schabbat und die Feiertage hält. Ein jüdischer Arbeitgeber hat Verständnis für die Bedürfnisse der Orthodoxie. Wir brauchen also Zuwanderung von Juden. Unser Ziel ist es, dass jedes Jahr zwei bis drei Familien kommen. Die Rot-Weiß-Rot-Card macht das momentan nicht gerade leicht. Aber wir können der Regierung ja zeigen, dass wir Leute bringen, die hier arbeiten, die nicht kriminell werden.

Woher sollten diese Zuwanderer kommen?

Für mich ist das ganz egal. Es sollen nur ehrgeizige Leute sein, die sich hier integrieren wollen.

Worin besteht für jemanden wie Sie, der aus Israel kommt, das Interesse, gerade nach Österreich zu ziehen?

Ein ruhigeres Leben.

Die NS-Vergangenheit spielt hier keine Rolle?

Ich hätte mir einen österreichischen Pass sehr gewünscht, das wäre für mich eine Ehre.

Warum?

Es sind sehr nette Leute hier. Ich werde auf der Straße manchmal antisemitisch beschimpft. Aber 95 Prozent der Menschen sind höflich. Wenn ich ein Problem habe, finde ich immer ein offenes Ohr.

Ist das in Israel etwa anders?

Journalisten sind links und die Zeitungen schimpfen auf die Frommen. In Wien gibt es eine religiöse Infrastruktur und die Möglichkeit zur Entwicklung. Was fehlt, sind Menschen. Dafür will ich mich einsetzen.

Was sind die weiteren Anliegen Ihrer Fraktion?

Es gibt keinen Platz, an dem jüdische Frauen lernen können, wie man gefillte Fisch zubereitet, oder welche Erziehungsmethoden es gibt. Wir brauchen ein Zentrum für jüdische Frauen. Wir haben Hatzule Wien ins Leben gerufen, eine Mopedrettung, die bei Schlaganfällen und Herzinfarkten früher beim Patienten sein kann als die Rettung, die schwer durch den Verkehr kommt. Es sollte in jeder Synagoge ein ehrenamtliches Mitglied der Hatzule geben. Und dann wünsche ich mir noch eine Einrichtung, die Zuwanderer in den ersten Jahren betreut. Wenn Visa benötigt werden, braucht es oft kreative Lösungen - innerhalb der Gesetze natürlich. Ich kann mir hier sehr gut Unterstützungsprogramme vorstellen, in denen es eine Belohnung für jene gibt, die sich gut integrieren.

Das Thema Geld: In diesem Wahlkampf war viel von Stimmenkauf die Rede, von Zusagen über künftige Subventionen aus dem IKG-Budget. Wie kommentieren Sie das?

Unser Wahlslogan lautet: Während alle über Geld sprechen, sprechen wir über die Juden.

Zur Person
Yaakov Frenkel (32), geboren und aufgewachsen in Israel, tritt bei der Wahl des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien am 11. November für den Block der religiösen Juden an. Er absolvierte eine Jeschiwe (Talmudhochschule) und bildete sich im Bereich Erziehungsarbeit fort (Schwerpunkt: Diaspora). Er ist Mitglied des Direktoren-Teams an der jüdischen Schule Malzgasse.