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"Früher war das wie im Dorf"

Von Lea Müller-Funk

Politik
Nachbarschaftliche Gespräche funktionieren nur noch bei Kindern und Jugendlichen.
© © Stanislav Jenis

Die Service-Einrichtung Wohnpartner will die Nachbarschaft stärken.


Wien. Veränderungen gehen selten emotionslos über die Bühne. Vor allem, wenn sie etwas Intimes wie das eigene Lebensumfeld betreffen. Mehr als ein Viertel aller Wiener wohnt in Gemeindewohnungen. Mit 220.000 Wohnungen ist die für sie zuständige Hausverwaltung Wiener Wohnen die größte Europas. Die hohe Anzahl an Gemeindebauten hält den Mietpreis in Wien im internationalen Vergleich immer noch relativ niedrig.

Direkt an der U1-Station "Rennbahnweg" gelegen, ist der Gemeindebau aus den 70ern in den Trabrennbahngründen gut mit der Innenstadt verbunden. Großzügige Grünflächen und mehrere Innenhöfe lockern den riesigen elfstöckigen Wohnungskomplex mit 2424 Wohnungen und 59 Stiegen auf. Hier gibt es ein Einkaufszentrum, drei Kinderbetreuungseinrichtungen, mehrere Ärzte, ein Jugendzentrum, einige Beisln, das "Trabrennbahnstüberl", die "Plauscherei", einen Kebap-Imbiss. Die meisten Geschäftsinhaber arbeiten zwar hier, wohnen aber woanders. Die "Plauscherei" ist Lokaltreff.

"Früher war das wie im Dorf hier", erzählt Christian Wendelin, der an einem Tisch sitzt. Er und Konrad Boigner sind langjährige Stammkunden und kennen das Leben hier. Wendelin hat 17 Jahre am Rennbahnweg gewohnt. "Früher haben wir uns alle gekannt, jetzt ist das sehr anonym. Es gibt kaum Kontakt mehr, die sprechen ja alle nicht deutsch. Auch über die Kinder gibt es eigentlich keinen Austausch. Wenn man Kindergeburtstage macht, kommen nur die Österreicher. Die anderen halten sich zurück."

Anonymität wird von vielen Bewohnern der Trabrennbahngründe angesprochen. Mustafa kommt ursprünglich aus Ägypten und lebt seit 15 Jahren hier. "Man lebt hier sehr gut, das wird von den Medien immer aufgebauscht. Aber jeder lebt für sich. Eine wirkliche Gemeinschaft gibt es nicht. Ich bin aber auch sehr vorsichtig, mit wem ich mich anfreunde, die Leute hier, die tratschen so viel."

Calija Snjezana, Leiterin des Wohnpartner-Teams im 22. Bezirk, eine Service-Einrichtung der Stadt Wien, hat dieser Anonymität im Gemeindebau den Kampf angesagt. Das Wohnpartner-Projekt von Wiener Wohnen hat 2011 den Integrationspreis gewonnen und initiiert seit 2010 Nachbarschaftsprojekte im Gemeindebau. "Willkommen Nachbar" ist eine ihrer Initiativen. Neue Mieter werden von "Alteingesessenen" begrüßt und willkommen geheißen. "Ich sehe, dass sich Mieter langsam besser kennen, Leute haben Namen bekommen. Anonymität macht die Sache immer schwierig", so Snjezana.

Angst vor Verdrängtwerden

"Ich habe ja nichts gegen die, aber die Österreicher sterben weg, das ist die Tatsache", meint Wendelin. Wieso denn keine Österreicher neu hierherziehen? "Hier bekommt man doch keine Wohnung mehr, wenn man keinen Migrationshintergrund hat. Das ist ja nicht die Schuld von den Neo-Österreichern, das System ist schuld." Auch Hartmut Kreutz vom Mieterbeirat sieht das so: "Viele Leute haben das Empfinden, dass überhaupt keine Österreicher mehr hier einziehen. Das ist natürlich auch eine Geldfrage. Viele Österreicher ziehen an den Stadtrand und nach Niederösterreich, dafür haben Migranten kein Geld. Oft gibt es natürlich auch Vorurteile wegen der Namen, ein i am Ende des Namens heißt dann automatisch Ausländer, auch wenn die Leute längst Österreicher sind."

"Die Leute sind in den letzten Jahren hier viel rassistischer geworden", sagt Udolfine Soultan, langjährige Mieterin am Rennbahnweg, das liege an Strache und Co. Sie sei mit einem Ägypter verheiratet gewesen, die nachbarschaftlichen Verhältnisse seien nicht immer einfach gewesen: "Seitdem meine Nachbarin in einem Interview über meinen muslimischen Mann gelästert hat, bin ich auf Abstand gegangen." Warum sie trotzdem hier wohnen bleibe? "Wegen dem Hof, im Sommer ist es hier wunderschön."

Der 17-jährige Markus empfindet die Einstellung Ausländern gegenüber in der Rennbahnsiedlung generell als liberal: "Ich bin hier fast der Einzige, der rechts-radikal eingestellt ist. Hier ist es genauso scheiße wie immer." Mustafa passt auf seinen Sohn auf, der am Kinderspielplatz spielt,und trinkt Kaffee: "Ich möchte zurück nach Ägypten, ich habe hier nur Heimweh. Aber wegen der Kinder bleibe ich hier, sie wollen nicht zurück und können auch kein Arabisch."

Wohnen als Grundbedürfnis

"Wohnen ist ein Grundbedürfnis, deshalb gibt es da auch so viele Emotionen", meint die Leiterin des Wohnpartner-Teams, es sei ihr sehr wichtig, Verständnis und Akzeptanz für Anderssein zu schaffen. "Auf einmal gibt es eine Vielfalt, die Frage ist, wie gehe ich damit um?" Das betreffe oft ganz alltägliche Probleme, wie den Umgang mit Lärm. So hat ihr neulich eine Mieterin von ihrem Nachbarn erzählt, der regelmäßig um drei Uhr nachts betrunken nach Hause kommt und dabei den ganzen Stock aufweckt. "Sie nennt ihn liebevoll unseren Franzl. Sie beschwert sich aber über ausländische Nachbarn, die zu laut Musik hören."

Nicht alle nehmen das Angebot von den Wohnpartnern an. "Es gibt ein Drittel stille Beobachter, ein Drittel Skeptiker und ein Drittel, die aktiv mitmachen." Berufstätige seien schwer zu erreichen. Hauptsächlich erreicht sie Hausfrauen, Pensionistinnen, Jugendliche und Kinder. Eine gewisse Frustration hört man aus Snjezanas Stimme heraus. "Es gibt aber auch immer Mieter, die nur laut sind und selbst nichts leisten. Sie beschweren sich über unsere Initiativen, haben aber von sich aus keine konstruktiven Ideen."

"Wenn wir ein Problem haben, treffen wir uns hier, in der "Plauscherei", sagt Boigner. Seit 36 Jahren lebt er hier. "Wiener Wohnen, das bringt gar nichts, da kommst du nie durch. Wenn du bei Wiener Wohnen anrufst und sagst, vor deiner Tür liegen Fäkalien, werden die auch noch in 14 Tagen dort herumliegen." Früher sei das viel besser gewesen, da habe es Hausmeister gegeben: "Das war eine Respektsperson, die auch hier gewohnt hat. Jetzt gibt es hauptsächlich Hausbesorger, die kommen in der Früh und dann sind sie wieder weg.

Hartmut Kreuz sieht das anders. Seit 2007 gibt es in derTrabrennbahnsiedlung einen Mieterbeirat, der erster Ansprechpartner bei Problemen zwischen Mietern oder mit der Hausverwaltung ist. Seine Aufgabe ist es unter anderem, Probleme an Wiener Wohnen weiterzuleiten. "Viele Leuten rufen ja gar nicht dort an. Da gibt es das Gerücht, dass Wiener Wohnen nichts macht, und das verbreitet sich dann wie eine Lawine." Er kümmert sich im Mieterbeirat meistens um Dinge wie Graffitis an den Wänden, zu viel Laub in den Höfen, Lärmbelästigung von Nachbarn, Gerümpel in den Gängen, zu volle Fahrradabstellräume, kaputte Waschküchen. Für zwischenmenschliche Probleme sieht er sich allerdings nicht zuständig: "Da verstehe ich nichts davon. Das leite ich an die Wohnpartner weiter."