Zum Hauptinhalt springen

"Es braucht einen neuen Schub!"

Von David Baldinger

Politik
"Man muss die Leute einfach nerven" - Sigrid Maurer tritt für die Grünen an.
© Gabriel Moinat

Sigrid Maurer über Umverteilung, Sebastian Kurz und die Berufung Politik.


Jung, eloquent, telegen. So würden Parteistrategen den idealen Nachwuchspolitiker charakterisieren. Ergänzt man noch "weiblich", dann spucken die Suchmasken der Parteien nur wenige Ergebnisse aus. Sigrid Maurer, die ehemalige ÖH-Chefin, erfüllt das Profil. Ihr Antreten für die Grünen bei der Nationalratswahl 2013 kam daher wenig überraschend. Maurer ist neben der Aktivistin Romy Grasgruber eine der wenigen politisch aktiven jungen Frauen, die einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind.

"Wiener Zeitung": Was sind für Sie die Hauptthemen der kommenden fünf Jahre?Sigrid Maurer: Es wird Zeit, endlich die Frage der Verteilungsgerechtigkeit anzugehen. Diese Debatte hat nie wirklich begonnen. Man redet sich mit dem Gini-Koeffizienten (ein statistisches Maß zur Darstellung von Ungleichverteilungen, Anm.) heraus. Der ist aber nicht so relevant für die Vermögensverteilung. Bildung ist seit Jahren ein Schwerpunkt: Ganztagsschule oder Hochschulfinanzierung. Auch bei anderen Themen muss man laut bleiben, radikal bleiben und dranbleiben. Gleichberechtigung der Geschlechter, Asylpolitik. Integrationspolitik. Oder besser: Migrationspolitik. Wie gehen wir mit den Menschen um, die hierher kommen?

Was wollen Sie bei den Grünen einbringen?

Definitiv ein stärkeres Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit. Nicht im Sinn einer Almosen-Politik, sondern etwa einer substanziellen Gesundheits- oder Wohnpolitik. Da braucht’s einen neuen Schub. Umverteilung ist meiner Meinung nach das große Thema. Die Wirtschaftskrise wurde indirekt dadurch ausgelöst. Es ist extrem frustrierend - da gibt es eine super Studie der Nationalbank (Household Finance and Consumption Survey des Eurosystems 2010, Anm.), die zeigt, wie die Vermögensverteilung hierzulande aussieht, wie sie sich entwickelt hat. Ein ganz kleiner Prozentsatz der Bevölkerung hat einen Großteil des Vermögens. Und kein Mensch redet darüber!

Wie kann man so komplexe Themen verständlich in die Debatte einbringen?

Ich glaube, man muss die Leute einfach nerven. Man muss so lange auf dem Thema draufbleiben, bis es etabliert ist. Die Grünen sind dafür ja ein gutes Beispiel. Bei ihrer Gründung hat sich kein Schwein für Ökologie interessiert - jetzt hat jede Partei ein eigenes Umweltprogramm. Oder Frauenförderung, das hat sich auch nicht einfach so ergeben. Das muss man immer und immer wieder sagen, bis es allen bei den Ohren raushängt. Und sich ein Bewusstsein dafür bilden kann.

Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz?

Die Grunderwartungen waren recht niedrig. Da kam auch sehr viel Paternalismus dazu. Das war schon sehr geprägt von einem Jungen-Bashing: Weil er jung ist, kann er nichts schaffen. Insofern hat er die Erwartungen übertroffen. Seinen Kurs finde ich aber extrem problematisch. Es geht wieder um eine Leistungsdefinition einer dominierenden Gruppe. Zum Beispiel sein Modell zur Staatsbürgerschaft: drei Jahre ehrenamtliche Arbeit plus ein Einkommen, das die meisten Migranten nie erreichen können - das ist zynisch. Migrationspolitik ist eine jener Sachen, die mich am meisten aufregen, weil ich eine Gerechtigkeitsfanatikerin bin.



Erwarten Sie eine ähnliche Reaktion bei Ihnen?

Wenn man sich die Postings in den Foren ansieht, dann wird mich das genauso betreffen. Da kommt aber noch eine andere Ebene dazu: Ich bin eine Frau und damit schon grundsätzlich inkompetent in der Wahrnehmung von vielen älteren Männern. Das habe ich in der ÖH schon erlebt. Die stellten sich vor, da kommt diese kleine Studentin und mit der kann man aufräumen. Dabei war’s dann genau umgekehrt.

Ist Politikerin für Sie Berufung, ein Lebensabschnittsjob oder etwas ganz anderes?

Ich möchte einen Beitrag leisten. Ich kenne das Geschäft und habe eine klare Idee davon, wohin es gehen soll. Wie lange ich das machen werde, kann ich nicht sagen. Politik macht mir Spaß. Ich mag ja auch Sitzungen. Das ist absurd aber ich mag Sitzungen. Ich find’s okay, sich zusammenzusetzen und zu diskutieren.

Ihre Twitterseite zeigt ein zartes grünes Pflänzchen -ein Symbol?

Das hat nichts zu bedeuten. Von der Symbolik her würde es nicht passen. Das wäre etwas zu wenig selbstbewusst, finde ich.

Zur Person

Sigrid Maurer wurde am 19. März 1985 in Telfes, Tirol, geboren. Von 2009 bis 2011 war sie ÖH-Vorsitzende. Sie studierte Musik, Politik und Volkswirtschaft in Innsbruck. Seit 2011 auch Soziologie an der Uni Wien - vor der Wahl 2013 möchte sie ihr Studium beenden.