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Grüne am Scheideweg zwischen Stabilität und Erneuerung

Von Simon Rosner

Politik

Kandidatur von Sigrid Maurer brachte bei Grünen einiges in Bewegung.


Wien.

Als im Jahr 1986 erstmals grüne Mandatare im Nationalrat angelobt wurden, war Peter Pilz schon dabei. Er war 32 Jahre alt, einer der Jüngsten im Parlament und Mitgründer der aus der Umweltbewegung hervorgegangenen Partei. Wenn weder auf dem Bundeskongress der Grünen am 1. Dezember noch bei den Nationalratswahlen in einem Jahr Sensationen passieren, wird Peter Pilz 2013 zum siebenten Mal als Abgeordneter angelobt werden. Er wird 59 sein. Aber wollten sich die Grünen nicht verjüngen?

"Ein Generationswechsel ist ein seit vielen Jahren dringend anzugehendes Projekt", sagt der Politikwissenschafter der Uni Innsbruck, Fritz Plasser. Doch so einfach ist das nicht. Bei Erst- und Jungwählern sind die Grünen nach wie vor überdurchschnittlich erfolgreich, allerdings stagniert der Zuspruch auch in diesem Segment seit Jahren. Dass die ehemalige ÖH-Vorsitzende Sigrid Maurer in Tirol den zweiten und auf der Bundesliste den fünften Platz für die Nationalratswahl 2013 anstrebt, wertet Plasser daher als wichtiges Zeichen an grüne Aktivisten. "Es zeigt ihnen, dass es noch eine Durchlässigkeit gibt", sagt er. Zweifel an dieser Durchlässigkeit waren bisher durchaus berechtigt.

Dass das "ausgeprägte Senioritätsprinzip", wie es Plasser formuliert, ein sehr spezifisch grünes Problem darstellt, hat viel mit der Genese der Partei und den eigenen Ansprüchen zu tun. "Die Grünen stehen für Offenheit gegenüber und Veränderungsbereitschaft, das ist ihr historischer Anspruch", sagt der Wissenschafter. Wenn die Realität im Klub offensichtlich eine andere ist, stehen dann eben gleich die prinzipielle Positionierung und das Image der Partei zur Disposition.

Gerangel um die Plätze

Gabriela Moser ist etwa seit 1994 Abgeordnete, und sie wird im kommenden Jahr wohl an dritter Stelle der Bundesliste kandidieren. Und auch Werner Kogler und Karl Öllinger sollten erneut ein Mandat schaffen. Andere, neue Gesichter, wollen jedoch auch: Michel Reimon etwa aus dem burgenländischen Landtag, Marco Schreuder aus dem Bundesrat oder Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft.

Auf dem Bundeskongress in Linz entscheidet die Basis, wer das Rennen macht. Das unterscheidet die Grünen von anderen Parteien, erschwert jedoch auch eine strategische Ausrichtung durch die Parteiführung, sei es eine in Richtung Kontinuität oder Erneuerung. Diese beiden Werte stehen in einem Spannungsverhältnis. Denn auch jungen Wählern sind Attribute wie Erfahrung, Stabilität und Fachwissen wichtig. Und für die Parteien sind sie im politischen Alltag gar unverzichtbar. Als Neo-Politikerin hätte Moser wohl kaum den U-Ausschuss-Vorsitz überantwortet bekommen.

"Erfahrung gibt den Kandidaten Glaubwürdigkeit. Man andererseits kann man es auch überziehen", erklärt Plasser. Auch neue, frisch Gesichter können ein Wahlmotiv sein, allerdings: Jung heißt nicht automatisch attraktiv für Junge. Während Alexander Van der Bellen bei Jungwählern hohe Beliebtheitswerte genoss, sind diese bei Jungpolitikern wie Laura Rudas (SPÖ) oder Silvia Fuhrmann (ÖVP) endenwollend.

Doch der Konflikt Kontinuität versus Erneuerung hat bei den Grünen nicht nur durch die eigene (und zugeschriebene) Erwartungshaltung eine spezielle Note. Die Partei ist aus einer Bewegung heraus entstanden, und einige ihrer Protagonisten wie eben Pilz sind nach wie vor im politischen Tagesgeschäft eingebunden. "Dass es noch einzelne Personen aus der heroischen Anfangszeit gibt, ist für die Grünen auch wichtig", sagt Plasser. "Aber irgendwann, vermutlich nicht 2013, aber bei den darauffolgenden Wahlen, sind die unmittelbaren Verbindungen zu dieser Zeit auch historisiert." Doch was ist dann?

Der Preis der Kontinuität

Die gegenwärtige Situation der Grünen erinnert daher ein wenig an die eines großen Familienunternehmens, das zwar bereits von der nächsten Generation geführt, allerdings noch vom Gründer strategisch kontrolliert wird. Es läuft weiter wie bisher, vielleicht auch erfolgreich, aber eben nicht anders. "Dieses Bild entspricht sicher der Realität. Ich sehe die Kontinuität bei den Grünen auch durchaus positiv, aber man zahlt dafür offensichtlich den Preis, dass es weniger innovative Positionsänderungen gibt."

Ob sich das mit Sigrid Maurer ändern wird, will Plasser zwar nicht beurteilen, "aber mein Eindruck ist, dass die grünen Studentenorganisationen von der Parteielite bisher nicht als Rekrutierungs- und Innovationsplattform gesehen wurden." Scheinbar hat sich das nun geändert.

Wissen:
Es geht das Gerücht, die sich gerne jugendlich gebenden Grünen seien in Wahrheit die älteste Partei. Das stimmt nicht. Die 20 grünen Nationalratsmandatare sind im Schnitt 49 Jahre alt. Den höchsten Altersschnitt hat die SPÖ mit knapp 54 Jahren, gefolgt von der ÖVP mit 52. Die FPÖ-Abgeordneten sind durchschnittlich 50 Jahre alt. Ein halbes Jahr jünger als die Grünen sind die BZÖler. Den niedrigsten Altersschnitt hat das Team Stronach mit 44 - wobei der 80-jährige Parteichef nicht mitgerechnet wurde.
Die Reihung SPÖ-ÖVP-FPÖ-Grüne-BZÖ-Stronach gilt nicht nur für das Durchschnittsalter der Mandatare, sondern auch für das Alter der Parteien selbst und ihre heutige Mandatsstärke.
Ältester Abgeordneter ist mit bald 70 Jahren Alois Gradauer (FPÖ). Jüngste Parlamentarierin ist Eva-Maria Himmelbauer (ÖVP), Jahrgang 1986. Damals zogen die Grünen gerade in den Nationalrat ein - mit einem Durchschnittsalter von 45.