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In zwei Sprachen zu Hause

Von Stefan Beig

Politik
Ehemalige Preisträger sehen sich bei Jahrestreffen wieder (Bild aus 2011).
© VWFI/Magdalena Possert

Für viele Schüler wird der Wettbewerb zur Suche nach der eigenen Identität.


Wien. Auch Lehrer können das Leben ihrer Schüler prägen. Wegweisend wurde in den letzten Jahren für manche Schüler die Teilnahme am mehrsprachigen Redewettbewerb "Sag’s Multi", zu der sie ihre Professoren ermuntert haben. Das betonen einige heute im Rückblick. Seit drei Jahren können Schüler nicht-deutscher Muttersprache ab der siebenten Schulstufe an "Sag’s Multi" teilnehmen. Sie halten teils sehr persönliche Reden in ihrer Muttersprache und auf Deutsch. Die Preisträger werden jedes Jahr im Wiener Rathaus gekürt.

"Meine Schulklasse hat mir applaudiert. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mich so stärken und an mich glauben", erzählt die 16-jährige Molinda Chhay. Ihre Wurzeln liegen in Kambodscha. Chhay war vor zwei Jahren unter den Preisträgern. In ihrem Vortrag sprach sie erstmals (auf Deutsch und auf Khmer) über den Verlust ihres Vaters. "Wir alle verstecken uns jeden Tag hinter einer Maske", begann ihr Vortrag. "Ich selbst verstecke mich auch hinter meiner schützenden Maske, nur weil ich Angst habe, dass mich jemand ein zweites Mal in meinem Leben verletzt." Doch: "Ich will mich der Welt zeigen und nehme meine Maske ab." Wenige Jahre zuvor waren Chhay und ihr kleiner Bruder von ihrem Vater zur Schule begleitet worden. Danach verließ er beide "mit einer Träne auf der Wange" - für immer.

"Für mich ist Sag’s Multi mehr als nur ein Redewettbewerb", betont Chhay. "Mir wurde dadurch noch klarer, wofür ich im Leben kämpfe: für meine Mutter, meinen Bruder und auch für mich selbst. Ich will mich nicht mehr verstecken." Offen über ihre Familie zu reden, das habe sie "innerlich befreit", sagt Chhay im Rückblick. "Ich bin Sag’s Multi unendlich dankbar dafür."

Auch Adnan Tokic sprach vor zwei Jahren offen über seine Wünsche, und zwar seine beruflichen: "Ich will Bundespräsident werden", verkündete der damals erst Zwölfjährige auf Kroatisch und Deutsch. "Ich möchte, dass sich jeder, der in Österreich lebt, hier zu Hause fühlt. Eigentlich sollte ich als Wiener Österreich als zu Hause empfinden - was ich ja auch mache. Aber leider gibt es Leute, die bestimmen möchten, wo meine Heimat ist." Dabei sei er ja "a gebürtiger Weana!"

In vielen Vorträgen wurde betont, wie bereichernd das Aufeinandertreffen vieler Sprachen und Kulturen in Österreich sei. "Fremdländische, exotische Dinge üben auf mich einen unwiderstehlichen Reiz aus", erklärte Susi Chiang (auf Chinesisch) in ihrer Rede. Sie sei "überzeugt, dass in Österreich eine Generation junger Menschen heranwächst, deren Haltung gegenüber Personen anderen Glaubens, anderer Hautfarbe oder Muttersprache toleranter ist, als angenommen." Das Miteinander funktioniere viel besser, als so manche Partei behaupte.

Stolze Klassenkollegen

Chian, Tokic und Chhay gehörten zu den 45 bisherigen Siegern. Ihre Klassen seien stolz auf sie gewesen, berichten sie. "Mein Klassenvorstand war besonders stolz und hat der ganzen Schule von meinem Erfolg erzählt", berichtet die 14-jährige Omnia Shama. Ihr Vortrag kreiste 2010 um ein weiteres Thema, das viele Jugendliche beschäftigt: Heimat. Sie war mit acht Jahren von Ägypten nach Österreich gekommen. "Ein Zuhause ist für mich ein Ort, an dem ich mich wohlfühle", erklärte sie beim Wettbewerb. "Ich fühle mich sowohl in Österreich als auch in Ägypten wohl. Man kann überall ein Stückchen Heimat haben."

Moriel Müller - Gewinnerin im vorigen Schuljahr und Schülerin an der Lauder Chabad Schule - befasste sich in ihrem Vortrag wiederum mit Freiheit. "Freiheit war für uns - die Juden - noch nie eine Selbstverständlichkeit." Prägend waren für sie die Schilderungen ihrer Urgroßmutter über den Holocaust. Kein Widerspruch zu Freiheit seien für sie hingegen religiöse Vorschriften, die ihrem Leben "einen Sinn geben und sie persönlich weiterentwickeln". Müller gefalle an "Sag’s Multi", dass Kinder mit erhobenem Haupt - "wie die Freiheitsstatue" - ihre Gedanken frei äußern können. "Jeder hat andere Ideen und Meinungen. Das zu erleben war so schön", erzählt sie. Auch wer nicht gewinne, profitiere. "Ich habe mich schon wahnsinnig gefreut, als ich die erste Runde bestanden habe. Ich habe mir gedacht: Die mögen mich."

Auch neue Freundschaften entstehen bei "Sag’s Multi". Es folgen Jahrestreffen, die Preisträger unternehmen gemeinsame Reisen (bisher nach Istanbul, Moskau und Brüssel) und besuchen Rhetorik-Workshops. "Es gibt noch andere Jugendliche wie mich und uns alle verbindet als Menschen etwas", sagt Molinda Chhay.

Viele Teilnehmer betonen, dass in ihren Schulen Mehrsprachigkeit bereits geschätzt werde und das Zusammenleben sehr gut funktioniere. "70 Prozent sind bei uns mehrsprachig. Ich bin mit jedem befreundet", erzählt Chhay. Sie geht auf das Schulschiff in Wien-Floridsdorf. Adnan Tokic vom BRG Boerhaavegasse 15 betont: "Viele haben mittlerweile bei Sag’s Multi mitgemacht. Seither wird noch mehr geschätzt, dass es hier so viele Sprachen gibt."

Am BG 15 würden sich mehr Schüler als bisher für den muttersprachlichen Unterricht am Nachmittag anmelden, erzählt Omnia Shama. Bei ihr haben sich auch die schulischen Leistungen verbessert. "Vorher hatte ich nur Vierer in Deutsch, jetzt sind es Einser. Referate waren früher nicht mein Ding. Jetzt kann ich mich vor allen präsentieren." Die heute 18-jährige Susi Chiang von der AHS Gottschalkgasse unterstreicht vor allem eins: "Ich hatte damals erstmals den Eindruck, die Stadt Wien heißt es willkommen, wenn man neben Deutsch auch andere Sprachen spricht."

Heuer nehmen an "Sag’s Multi" 406 Schüler mit 45 verschiedenen Sprachen teil. Am 19. März 2013 werden die Gewinner gekürt werden. Initiator und Träger ist der Verein Wirtschaft für Integration. Uniqa ist Hauptsponsor, Coca-Cola erstmals Co-Sponsor.