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Doppelt diskriminiert

Von Yordanka Weiss

Politik

Ausländer und homosexuell - für Jugendliche ein Belastungscocktail.


Wien. Ein 17-jähriger Mann mit türkischen Wurzeln macht die Lehre als Elektromechaniker. Nach der Arbeit hat er Panikattacken, wenn er mit den Kollegen duschen muss. Ausländer und homosexuell zu sein ist für den Jugendlichen ein Belastungscocktail. In dieser Situation, nämlich einen doppelten Diskriminierungsgrund zu haben, sind viele Menschen, die gleichgeschlechtlich empfinden und ausländische Wurzeln haben.

Die Größe der Community ist schwer einzuschätzen. Bei einer repräsentativen Umfrage im Jahr 2000 in Deutschland haben sich 1,3 der Männer und 0,6 Prozent der Frauen als homosexuell bezeichnet, 2,8 beziehungsweise 2,5 Prozent als bisexuell. "Viele leben ihre Sexualität oft im Verborgenen aus", erzählt Yavuz Kurtulmus, Mitgründer des Vereins zur Integration und Förderung homosexueller Migranten "Migay". Einerseits gebe es Homophobie in der Herkunftscommunity, andererseits machen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auch vor der homosexuellen Community nicht Halt.

"Öfters werden in Wiener Szenelokalen Leute, die osteuropäisch oder orientalisch aussehen, etwa Rumänen, Türken oder Araber, nicht hineingelassen, weil sie für Sexarbeiter oder Kriminelle gehalten werden", erzählt Kurtulmus. Betroffene seien daher gezwungen, einen Teil von sich selbst wegzustoßen, also entweder auf ihre Herkunft oder ihre Sexualität zu verzichten.

Dieser Spagat sei schwer zu schaffen, vor allem in jenem Alter, in dem viele Menschen auf der Suche nach sich selbst seien, betont Kurtulmus. Viele gleichgeschlechtlich empfindende Menschen nehmen zum ersten Mal während ihrer Pubertät bewusst wahr, dass sie "anders" sind. Diesen Prozess und das Mitteilen der sexuellen Vorlieben ist als "Coming out" bekannt. Die meisten Fragen, die Johannes Wahala, Leiter der Beratungsstelle Courage, bekommt, haben damit zu tun. "Junge Menschen verlieren ihren Rückhalt und Hintergrund. Es findet eine Entwurzelung statt", sagt Wahala. Sie hätten Angst, ihre Eltern zu enttäuschen, Freunde und Arbeitsplatz zu verlieren, Gewalt ausgesetzt zu sein, in der Schule geächtet zu werden, als pervers und abnorm gesehen zu werden.

Von der Familienschande zum Ehrentod

"Die Angst ist gerechtfertigt: Manche gelten nach dem Coming out als Familienschande, manche Eltern glauben, nur mit einem Ehrentod die Familienehre wieder herzustellen ist", erzählt Wahala. Er und sein Team haben im vorigen Jahr 716 Kunden betreut, 29 Prozent davon waren Migranten, meist zwischen 15 und 29 Jahre alt: junge Menschen der zweiten, dritten Generation. Oft sei Fremdunterbringung der einzige Weg, etwa im Fall eines 15-jährigen Mazedoniers aus Niederösterreich. Nach dem Coming out wurde er in der Familie psychischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Die Eltern wollten ihn in ein Kloster in Mazedonien schicken, um ihn "zur Vernunft zu bringen". Der Jugendliche ist jetzt in Wien fremd untergebracht und hat keinen Kontakt zu seiner Familie.

"Man lehnt sich selbst in der Pubertät ab und ist verzweifelt. Kulturell bedingt haben viele in sich selbst eine verinnerlichte Homophobie und ein negatives Selbstbild", berichtet Wahala. In starke Verzweiflung geraten, suchen Homosexuelle den Tod. Eine österreichische Studie kam zum Schluss: Das Selbstmordrisiko bei gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen ist etwa siebenmal so hoch wie bei Heterosexuellen.

Yavuz Kurtulmus hält fest: "In vielen Communitys ist Homophobie Teil des Wertesystems." Die Bandbreite sei groß: von stiller Ablehnung und Ignoranz im Familienkreis bis hin zu Morddrohungen, Zwangsverehelichung oder gewaltvollen Konversionsversuchen reicht das Spektrum. Kurtulmus erwähnt den Fall einer jungen Frau aus Polen, die von ihrer Familie in ein "Heilungslager" in der Heimat ihrer Eltern geschickt wurde. Oft sagen Eltern, insbesondere in orientalischen Communitys, dass sie mit der Homosexualität der eigenen Kinder kein Problem haben. Ihr Problem sei viel mehr: "Was werden die Nachbarn sagen?"

Rassismus verschärft das Problem. Manche Homosexuelle hätten sich zu Hause geschämt, ihre gleichgeschlechtlichen Partner vorzustellen, weil diese aus dem Ausland kommen. Im Job würden Homophobie und Fremdenfeindlichkeit auch gemeinsam auftreten, berichtet Kurtulmus. So würden mitunter Kommentare fallen, wie: "Du schwule Sau, fahr doch nach Hause und dort kannst dann du auch schwul sein!"

"Wenn das Team einen Homosexuellen nicht akzeptiert, gibt es einen Weg: den Job wechseln", sagt Christoph Hackenberg von der homosexuellen Initiative (Hosi). Zum regelmäßigen Austausch und zu Gruppenabenden dort kämen auch viele Migranten.

Einige Flüchtlinge kriegen trotz Verfolgung kein Asyl

In Ländern wie dem Iran, Sudan und Saudi-Arabien droht Homosexuellen die Todesstrafe. "Selbst wenn Homosexualität in Österreich tatsächlich als Fluchtgrund anerkannt ist, gibt es in diesem Bereich viel Nachholbedarf", kritisiert Kurtulmus. Menschen, die etwa aus dem Iran kommen, müssten bis zum positiven Asyl-Bescheid eine langwierige Prozedur durchmachen, da der Nachweis von Asylwürdigkeit nicht einfach zu erbringen ist.

"Sexualität ist etwas Fluides. In Österreich wird verlangt, die Homosexualität mit einem ärztlichen Gutachten nachzuweisen. Man muss als unwiderleglich schwul/lesbisch diagnostiziert werden", meint eine Mitarbeiterin der "Rosa Lila Villa". Diese Beratungsstelle für Lesben, Schwule und Transgender setzt sich gegen dieses Asylrecht ein. Dort werden auch Menschen aus Südosteuropa betreut, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nach Österreich flüchten.

Andere, die in Österreich um Asyl wegen sexueller Orientierung ansuchen, kommen aus Ländern in denen es starke soziale Unterdrückung von Homosexuellen gibt. Das erlebte etwa ein junges lesbisches Paar aus Serbien, das der Roma-Community angehört. In Serbien wurde es diskriminiert und war mit Gewalt konfrontiert, doch in Österreich konnte es ohne entsprechenden Grund keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, aber auch kein Asyl, da Serbien zumindest nominell auch die Rechte von Homosexuellen schützt.