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Der letzte Zankapfel

Von Martina Pock

Politik
Graz und seine Mur - Zukunftsmusik nach einer Visualisierung der Projektbetreiber.
© Energie Steiermark AG

Ein Millionenprojekt spaltet die Grazer Stadtparteien vor der Wahl.


Graz. Irgendwie hat es die Grazer Stadtpolitik geschafft, alle potenziell spannenden und zugleich umstrittenen Themen aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Bei der Verkehrspolitik - Stichwort Umweltzone - und dem Stadtentwicklungsgebiet Reininghaus haben die Bürger via Referendum die Stopptaste gedrückt. Auch Sozial- und Integrationsthemen blieben seltsam blutleer. Blieb also nur der geplante Bau eines Wasserkraftwerks im Süden von Graz, der für heftige Debatten und ein bisschen Lebendigkeit im öden Gemeinderatswahlkampf sorgte. Das 95 Millionen Euro schwere Projekt, das von der Energie Steiermark AG (Estag) und dem Verbund umgesetzt werden soll, würde tatsächlich maßgebliche Veränderungen mit sich bringen. Während ÖVP, SPÖ und FPÖ geschlossen hinter dem Projekt stehen, lehnen Grüne, KPÖ, BZÖ das Kraftwerk ab.

Kampf der Argumente

Die Puntigamerbrücke ist keine zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Darunter verläuft parallel zur Mur ein Radweg. Der Fluss und seine Ufer sind Lebensraum für unzählige Organismen. Das Ufer ist an vielen Stellen so flach, dass man ein Stück hineingehen kann. Das Wasser ist relativ sauber, seit den 80er Jahren hat sich die Wasserqualität der Mur von Güteklasse IV auf nunmehr Güteklasse II verbessert. Etwa 600 Meter oberhalb der Puntigamerbrücke soll ein Wasserkraftwerk gebaut werden. Dadurch soll die Mur noch sauberer werden, versichert ÖVP Bürgermeister Siegfried Nagl. Im Zuge der Bauarbeiten sollen die von der EU vorgeschriebenen neuen Kanalisierungen umgesetzt werden. Zudem steigt durch den stetigen Zuzug der Stromverbrauch der Stadt immer weiter. Laut Estag soll das Kraftwerk Strom für 20.000 Familien erzeugen. Daneben soll noch ein weitläufiges Freizeitgebiet für die Grazer entstehen. Sportler und Erholungssuchende sollen sich dann dort genauso wohlfühlen wie Spaziergänger und Familien.

Vom Abriss und Wiederaufbau einer gewachsenen Infrastruktur von Rad- und Gehwegen, Brücken und Stege sowie Spiel-, Sport- und Erholungsflächen profitiere nur die Bauwirtschaft, kritisiert dagegen KPÖ-Chefin Elke Kahr. Schließlich werde der betroffene Bereich entlang der Mur schon längst von den Grazern für Naherholung und Freizeit genutzt. Und: Begleitmaßnahmen würden für weitere Kosten in der Höhe von 55 Millionen Euro sorgen.

Kritik hagelte es für das Projekt von Beginn an auch von den Grünen. Die Staustufe würde lediglich 0,8 Prozent des steirischen Strombedarfs decken. Im Winter, wo der Stromverbrauch am höchsten ist, könne das Kraftwerk außerdem nur ein Drittel seiner Leistung erbringen. Wasserkraft als erneuerbare Energiequelle sei laut Vize-Bürgermeisterin Lisa Rücker zwar zu fördern, jedoch nicht, wenn der Bau einer solchen Anlage einen großen ökologischen Schaden mit sich bringe. Auch sämtliche Kleinparteien, die am Sonntag kandidieren, sind gegen das Murkraftwerk, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Zwar wird alternative Energiegewinnung befürwortet, jedoch nicht, wenn es, wie in diesem Fall Kritiker behaupten, zu höherer Feinstaubbelastung, Rodungen und hohen Kosten komme.

Warten auf Umweltsenat

Zwar bescheinigte ein im August von Landesgutachtern präsentiertes Umweltverträglichkeitsgutachten dem Projekt gravierende Nachteile für das Grund- und Oberflächenwasser sowie negative Folgen für Tiere und Pflanzen, dennoch fiel der Bericht in erster Instanz, auf Landesebene, positiv aus. Ein von den Grünen eingebrachter Berufungsantrag wurde vom Gemeinderat abgelehnt. Mehr Erfolg hatte die überparteiliche Plattform "Rettet die Mur", die ebenfalls gegen den Bericht berief. Der Bescheid liegt nun seit August beim Umweltsenat in Wien. Eine Prüfung kann bis zu sechs Monaten dauern. Bisher hat die Plattform mehr als 11.000 Unterschriften gegen die Errichtung gesammelt. Plattform-Sprecher Clemens Könczöl weist darauf hin, dass durch einen Staudamm der Wasserstand angehoben würde. Dann würden einige Wohnsiedlungen unter dem Wasserspiegel liegen, was ein Sicherheitsrisiko darstelle. Die Mur zählt in der Steiermark bereits 31 Kraftwerke. Zwischen Leoben und Spielfeld sind von insgesamt etwa 115 Kilometern noch 24 Kilometer freie Fließstrecke.