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Viel Getuschel hinter dem Rücken

Von Sarah Al-Hashimi

Politik
Einheimische und Zuwanderer beim gemeinsamen Tratsch: Künftige Schulen für ihre Kinder sind das Thema und günstige Angebote im Supermarkt.
© Stanislav Jenis

"Die alten Frauen, die sich über die Kinder aufregen, sterben langsam weg."


Wien. Sandleiten: ein Gemeindebau, in dem die Anzahl der Nationalitäten gleichzeitig mit der Anzahl der FPÖ-Wähler wächst. "Schau, der Weißkappler hat an Tschusch an der Reißn", sagt ein älterer Herr zu seiner Frau über die Strafzettelverteilung an einen Falschparker in Sandleiten. Dabei geht das Paar an dem SPÖ-Lokal am Matteottiplatz, dem Sandleitner Zentrum, vorbei. Töne, die in diesem Gemeindebau nur allzu oft zu hören sind. "In Sandleiten gibt es keine Attacken auf Leib und Leben. Verbal gibt es aber immer wieder Auseinandersetzungen", berichtet die Bezirksrätin Elisabeth Dohnal besorgt.

Seit zwei Jahren findet daher ein "Interkulturelles Frühstück" statt, zu dem jeder, der beim Lokal vorbeigeht, eingeladen ist. Die "vielen Nationalitäten, die in Sandleiten leben", würden hier Kulinarisches aus ihrer Heimat - Tunesien etwa oder der Türkei - anbieten, erzählt Dohnal. "Beim Frühstück unterhalten wir uns. Die Stimmung in den Höfen ist jetzt besser", meint dazu die Mieterin Martina S. Allerdings geht ein Gerücht um, das sie missmutig stimmt: "Die Moslems stellen den Müll neben die Müllcontainer, weil sie die Griffe nicht angreifen wollen. Sie haben Angst, dass da Schweinefleisch klebt", behauptet Martina S. Das habe sie von einer Nachbarin gehört. "Seitdem picken die Krähen die Plastiksäcke auseinander und verteilen den ganzen Dreck über den Müllplatz", ärgert sie sich.

"Es wird viel hinter dem Rücken geredet", erklärt Mieterbeirat Bojan Matusic enttäuscht. Wenige sprechen Probleme direkt an, sondern beschweren sich anonym über türkische Nachbarn bei der "Wiener Wohnen"-Hotline. Diese Mieter würden Dreck machen und seien ständig laut. "In Sandleiten leben viele Nationalitäten, gleichzeitig ist der Anteil an FPÖ-Wählern aber gestiegen", sagt Dohnal. "Scheiß Kanaken und Tschuschen, schleichts euch! So beschimpfen diese Leute beim Vorbeigehen die Migranten und deren Kinder", ergänzt Matusic.

"Der Ton macht die Musik", ist sich Matusics Frau Angelika sicher, die ebenfalls Mieterbeirätin ist. "Wennst garstig bist, ist es der andere auch." Manche Alteingesessene hätten sich ihre Meinung vor 100 Jahren gebildet: "Dagegen kann man nix machen", sagt sie und seufzt. Matusic denkt dabei besonders an die Wortmeldungen einer Sandleitnerin: "Die Türken sind laut, streitsüchtig und sprechen kein Deutsch. Die Kinder von denen sind saufrech und spucken. Überall liegen ihre Haufen von Sonnenblumenkernen, dassd glaubst, du bist in Istanbul."

Bei nicht-ausländischem Aussehen sind alle nett

"Früher wurde viel mehr geschimpft", sagt die irakisch-stämmige Mieterin Lejla A. "Die alten Frauen, die sich immer über die spielenden Kinder aufregen, sterben langsam weg." Vom Fenster aus hätte eine immer geschrien: "Seid’s endlich ruhig! Da hört man ja überhaupt kein deutsches Wort mehr bei uns!" Anonyme Fremdenfeindlichkeit bekommt auch Lejla A. immer wieder zu spüren. "Nach meinem Einzug habe ich zwei Mal meinen offensichtlich ausländischen Namen an den Postkasten angebracht, der jedes Mal mit einem Schlüssel zerkratzt wurde." Pro-FPÖ-Zettel werden bei ihr aufgehängt, Werbung der Grünen verunstaltet. Leila lebt hier seit sieben Jahren. Welcher Nachbar für die Störaktionen verantwortlich ist, wisse sie noch immer nicht: Am Gang seien alle nett zu ihr; Leila A. sieht weder ausländisch aus, noch spricht sie mit Akzent.

Im angrenzenden Kongresspark, in dem die Sandleitner unterwegs sind, nehmen Streetworker häufiger direkte Beschwerden entgegen: "Die türkischen Frauen mit Kindern beklagen sich, dass sie Angst vor den betrunkenen Männern haben", berichtet eine Streetworkerin. "Die betrunkenen Männer wiederum beschweren sich, dass hier so viele Ausländer sind." Dieselbe Männergruppe kauft ihr Bier oft bei einem kleinen türkischen Feinkostgeschäft, vor dem sie dann herumsteht. Einer der Männer, mit gepflegter Mähne, verliert sich in Erzählungen, denen der türkischstämmige Ladenbesitzer geduldig zu folgen versucht und dabei zustimmend nickt. Bei diesem Geschäft scheint die Herkunft dann doch kein Thema zu sein.

Um die Lage in Sandleiten zu verbessern, veranstaltet Dohnal mit ihren Sektionsmitgliedern Feste und diverse Veranstaltungen auf dem Matteottiplatz. Im Sommer gab es dort Musik, Speis und Trank und ein Open-Air-Kino. Das Publikum war gemischt: "Diesen Sommer haben sogar die türkischen Frauen beim Buffet geholfen", freut sich Dohnal. Vor zwei Jahren hätte es das noch nicht gegeben. Heute habe sich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut: "Dass wir den muslimischen Kindern kein Schmalzbrot aufdrängen, ist klar."

Manches deutet auf Besserung des Klimas hin: An einem herbstlichen Nachmittag sitzen in einem der Höfe Österreicher mit Zuwanderern an einem Tisch. Sie tauschen sich über mögliche Schulen für ihre Kinder aus, sehen sich die Werbebroschüren der umliegenden Supermärkte an und beraten über die günstigsten Angebote. Meist begegne man sich im Hof mit Respekt, meint Bojan Matusic zufrieden. "Hüpft einer mal aus der Reihe, wird darüber gesprochen."