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Bewusstsein für Diversität fehlt

Von Stefan Beig

Politik
Geronimo-Noah Hirschal und Saskia Nadi haben viel Erfahrung in der Kreativbranche. Nun fördern sie andere Talente.
© Stanislav Jenis

"Der Bedarf ist sehr hoch, wir sind | mit unserem Service sehr erfolgreich."


Wien. Wien wird internationaler, ist sich dessen aber kaum bewusst, kritisiert Geronimo-Noah Hirschal. Er ist Projektleiter in einer Werbeagentur und hat bisher unter anderem als Chefredakteur mehrerer Magazine sowie als Regieassistent gearbeitet. "Ein Bewusstsein für Diversität fehlt bei uns noch. Die öffentliche Auseinandersetzung - etwa über Lifestyle-Medien oder Werbung - findet nicht statt." In anderen Großstädten sei das anders, berichtet die freischaffende Produzentin, Fotografin und Projektmanagerin Saskia Nadi. "In Berlin ist Diversität selbstverständlich. Bei Modellagenturen oder medialen Kampagnen sind immer Schwarze und Asiaten dabei."

Saskia Nadi ist deutsch-marokkanischer Herkunft und hat bisher beim Axel Springer Verlag, dem "Musikexpress", "ME Style", "Rolling Stone" sowie der Fotoagentur "Weinper und Co." gearbeitet. Im August stieß sie als Projektmanagerin zum Austrian Talent Network, das Geronimo-Noah Hirschal leitet. Das Network ist eine Plattform, die kreativen Menschen mit Migrationshintergrund kostenlos Jobs und Praktika in der Kreativbranche vermittelt. Mehr Diversität in diesem Bereich ist das Ziel des Netzwerks.

Es gebe etliche hochqualifizierte Personen mit einem anderen kulturellen Hintergrund, von deren Erfahrungen die Branche profitieren könnte, ist Hirschal überzeugt. "Kreative Arbeit ist oft Teamarbeit", betont Saskia Nadi. International zusammengestellte Teams seien wichtig. "Das ist ein Asset für jeden Kreativbetrieb", ergänzt Hirschal. "Es ist ein Wahnsinn, dass das die Betriebe noch nicht verinnerlicht haben." Österreich habe zudem eine sehr exklusive Gesellschaft, in die man nur schwer Zutritt finde. Menschen mit internationalem Background seien zwar vernetzt, aber oft nicht in der Branche.

Seit mehr als einem halben Jahr vermittelt das Austrian Talent Network Bewerber an die Kreativ-Branche. Bisher wurden an die 100 Personen vom Network beraten. Das selbst gesteckte Ziel, bis zum Jahresende 20 Personen erfolgreich weiterzuvermitteln, wurde bereits erreicht. "Der Bedarf ist sehr hoch, das Bewusstsein gering, deshalb waren wir mit unserem Service auch so schnell erfolgreich", meint Geronimo-Noah Hirschal und lacht.

Ein bosnisch-stämmiger Publizistik-Student, der sich bereits im Vorjahr erfolglos für ein Stipendium bei der "Biber"-Akademie für journalistisches Schreiben beworben hatte, war beim zweiten Versuch, nach Beratung und Coaching beim Netzwerk, erfolgreich. Laila von Alvensleben, die aus Lugano in der italienischen Schweiz stammt, wurde ein Job als Vollzeitmitarbeiterin im Grafik-Bereich vermittelt. Karrierecoaching ist Teil des Angebots. Einer anderen Kundin wurde von ihrem geplanten Jobwechsel abgeraten. Besser wäre es, in der jetzigen Position noch dazuzulernen und keine überhasteten Entscheidungen zu treffen. In der Zwischenzeit erhielt sie eine Gehaltserhöhung und mehr Kompetenzen. "Wir wollen die erste Adresse für Mitarbeiter mit internationalem Background in der Kreativ-Branche werden", erklärt Geronimo-Noah Hirschal.

Ansprechpartner ist man ebenso für Unternehmen, die das Potenzial kultureller Vielfalt in ihrem Unternehmen ausschöpfen wollen. Wenn sie neue Mitarbeiter für freie Stellen suchen, können sie dies über das Austrian Talent Network bekanntgeben. Das Museum Moderner Kunst sucht zurzeit etwa mit Hilfe des Austrian Talent Networks einen Praktikanten für Marketing und Kommunikation.

Vorselektion bei Bewerbung

Talentierte Personen, die an solchen Stellen Interesse zeigen, wenden sich an das Network-Team. "Wir müssen eine Vorselektion vornehmen. Dazu sind wir den Unternehmen gegenüber verpflichtet", hält Hirschal fest. "Besonders kleinere Unternehmen haben keine Ressourcen für umfassende Bewerbungsgespräche mit vielen Interessierten. Sie sind froh, wenn wir eine Vorauswahl treffen." Zunächst werden die Interessenten gefragt, was sie sich überhaupt unter dem jeweiligen Job vorstellen. Man beurteilt, wie gut jemand zu einem Job passt.

"Wenn wir bemerken, dass das nicht der Fall ist, suchen wir wen anderen", berichtet Nadi. Enttäuschende Situationen könnten so vermieden werden. "Alle Personen, die wir weitervermitteln, sind hochqualifiziert", unterstreicht Hirschall. "Leute mit internationalem Background sind eben eine wahnsinnig interessante Zielgruppe für Arbeitgeber."

Das sechsköpfige Team des Austrian Talent Networks hat bisher ebenfalls in unterschiedlichsten kreativen Bereichen gearbeitet. Das Spektrum reicht von der Mode-Industrie bis zur Medien-Produktion, PR und Coaching. Finanziert wird das Projekt zu hundert Prozent vom Integrationsstaatssekretariat. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz habe bereits selbst einen Praktikanten aufgenommen und frage in anderen Ministerien, ob sie nach talentierten Personen in der Marketing- und Pressearbeit suchen, erzählt Hirschal.

Berlin sei primär internationaler durch seine Selbstwahrnehmung, findet Nadi. Auch in Führungspositionen treffe man Menschen mit Migrationshintergrund an. In Österreich werde Diversity nach wie vor als etwas Negatives wahrgenommen, sagt Hirschal. Die Marketing-Abteilungen hätten deshalb Angst vor dem Thema. "Diese Angst ist völlig ungerechtfertigt." Saskia Nadi denkt, dass gerade ein Wandel stattfindet: "Wien wird als Wirtschaftsstandort für die Kreativ-Branche attraktiver werden." Über Kommunikationswege der Kreativ-Branche könne sich einiges ändern, betont Hirschal: "Es gibt wahnsinnig viele Multiplikatoren. Viele Unternehmen sind international aufgestellt und machen sichtbar: Ein respektvolles Miteinander kann ganz einfach funktionieren."