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Lernen, "wie Österreich tickt"

Von Stefan Beig

Politik

Anfang 2013 soll eine "Rot-Weiß-Rot-Fibel" erscheinen.


Wien. Erfahren, "wie Österreich tickt" - das soll man künftig über eine "Rot-Weiß-Rot-Fibel", die im März oder April des nächsten Jahres erscheinen wird. In mehrfacher Aufmachung soll die Fibel vorliegen, kündigte Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz am Dienstag an: als Willkommensfibel für Neuzuwanderer, als Fibel für Kinder und Jugendliche sowie als Lernunterlage für die neuen Staatsbürgerschaftstests. Grundwerte der österreichischen Rechtskultur sollen darin erklärt werden, gestützt auf die Verfassung sowie die Grund- und Menschenrechte. Zurzeit arbeitet ein Expertenbeirat des Staatssekretariats an der Fibel.

"Wir wollen das Bewusstsein für Grundrechte in der Bevölkerung stärken", betonte der Staatssekretär. Neuzuwanderer sollen so erfahren, wie der Rechtsstaat funktioniert und welche Institutionen es hier gibt. Dies sei auch nötig im Sinne der Etablierung einer Willkommenskultur.

Die Erarbeitung der Rot-Weiß-Rot-Fibel soll gleichzeitig zum Startschuss für die Erstellung einer europaweit gültigen Wertefibel werden. Eine solche EU-weite Wertefibel könnte künftig als Grundlage für einheitliche Mindeststandards bei der Vergabe der Staatsbürgerschaft in allen EU-Ländern dienen, unterstrich Kurz. Zurzeit seien die Richtlinien bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft innerhalb der EU sehr unterschiedlich, bemerkte der Staatssekretär. Wie EU-weite Mindeststandards aussehen könnten, ist noch offen. Kurz kann sich Annäherungen in den Bereichen Aufenthaltsdauer, Sprachkenntnisse, Fähigkeit zur Selbstversorgung oder Staatsbürgerschaftstest vorstellen. Von "Harmonisierung der Staatsbürgerschaftsverleihung" wollte Kurz ausdrücklich nicht sprechen: "Das bleibt Sache der Nationalstaaten."

Nationales Denken überholt

Anlässlich der Erarbeitung der Wertefibel tagt in Wien bis Mittwoch eine zweitägige Expertenkonferenz. "Nationales Denken kann heute nicht mehr Gemeinschaft schaffen", unterstrich die deutsch-türkische Frauenrechtlerin und Anwältin Seyran Ates, eine der Konferenzteilnehmer. "Wegen eines nationalen Bewusstseins werden Fremde ewig fremd bleiben." Deutschland wie Österreich als ehemalige Gastarbeitergesellschaften müssten nun Einwanderungsgesellschaften werden, für die aber noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen fehlten. Die jetzige Phase gleiche einem Übergang von einer "offenen Liebesbeziehung zu mehr Verbindlichkeit".

Ates vertritt einen Verfassungspatriotismus mit Fokus auf Werte, ohne die Europas Verfassungen überhaupt nicht bestehen würden. Grundlegend seien individuelle Selbstbestimmungsrechte, die alle akzeptieren müssten. Unterschiedliche politische Verständnisse von Freiheit könnten nicht nebeneinander bestehen. Gleichzeitig sollten sich Zuwanderer aber nicht genötigt fühlen, das Eigene - etwa ihre türkische Identität - abzulegen. "Ich besitze eine transkulturelle Identität", unterstrich Seyran Ates.

"Der Norden Europas altert, die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt", betonte der Generaldirektor der internationalen Organisation für Migration, Botschafter William Lacy Swing. Die Politik müsse die Bevölkerung auf diesen Trend vorbereiten.