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Neuer Think Tank: Eine Million für die liberale Denk-Revolution

Von Clemens Neuhold

Politik

Die neue österreichische Denkfabrik "Agenda Austria" will marktliberale Ideen verbreiten.


Wien. Auf der ganzen Welt gibt es Denkfabriken, die als Rohstoff die ökonomischen Ideen der "Österreichischen Schule" einsetzen. Die Vertreter dieser Schule, Friedrich August von Hayek, Ludwig von Mises oder Eugen Böhm von Bawerk, haben ihre Theorien schon Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts formuliert. Doch der Bann der "Austrians", wie Fans sie nennen, ist vor allem im englischsprachigen Raum ungebrochen. Ihr Grundgedanke: Freiheit, Privateigentum und Wettbewerb bringen mehr Wohlstand als eine vom Staat dominierte Gesellschaft. Darauf gründete nicht zuletzt die wirtschaftsliberale Revolution, die US-Präsident Ronald Reagan und Englands "Eiserne Lady" Margaret Thatcher in den frühen 80er Jahren vollzogen; Reformen, die das heutige Finanz- und Wirtschaftssystem begründeten.

Neue Fabrik für Themen

Zwischen den ökonomischen Theorien und der realen Politik vermittelten sogenannte Think Tanks oder Denkfabriken. Denkfabriken setzen Agenden und entwerfen politische Konzepte auf wissenschaftlicher Basis. Zwei besonders mächtige sind das Institute for Economic Affairs in London oder die Heritage Foundation in den USA.

In Österreich gab es bisher nur das Hayek-Institut, dessen realpolitischer Einfluss aber begrenzt blieb. Ab Jänner kommt mit "Agenda Austria" eine Denkfabrik, die sich als einflussreicher Think Tank etablieren will. Ausgestattet mit mehr als einer Million Euro, einem Büro in bester Wiener Innenstadtlage und bis zu einem Dutzend wissenschaftlicher Mitarbeiter, will "Agenda Austria" versuchen, die Politik und die Medien zu beeinflussen. Ziel ist es, "den Wind wieder viel stärker in Richtung Marktwirtschaft zu drehen" (siehe Interview im Anschluss).

Nachzügler Österreich

Warum gerade im Land der "Austrians" wirtschaftsliberale Denkfabriken Neuland sind, hat viele Gründe. Der Politologe Peter Filzmaier sieht einerseits die starke Stellung der Parteiakademien, der Wirtschaftskammer und der Arbeiterkammer als österreichisches "Unikum". Dadurch wäre schon viel abgedeckt, was in anderen Ländern auch aus Denkfabriken komme. Andererseits gäbe es in den USA oder Deutschland mehr Stiftungen oder reiche Einzelpersonen, die Think Tanks finanzierten. Beate Kolm vom Hayek-Institut ortet eine "linke Hoheit in den Unis und Chefradaktionen", was linke Denkfabriken überflüssig mache. Christian Ortner, nach Eigendefinition journalistisches "Zentralorgan des Neoliberalismus" und Vorstandsmitglied im Hayek-Institut, sieht in Österreich überhaupt eine strukturell linke Tradition in der Wirtschaftspolitik.

Doch genau diese Traditionen will "Agenda Austria" aufbrechen. Und dabei wird das Team um den ehemaligen "Presse"-Journalisten Franz Schellhorn nicht alleine sein. Eine Gruppe von sechs Ökonomen "Pro-Marktwirtschaft" (siehe unten) vergrößert ebenfalls ihren Aktionsradius, und in der Wirtschaftsforschung gab es ebenfalls Neugründungen.

Was auffällt: Obwohl die allzu freie Marktwirtschaft durch die Exzesse der Börsen und Banken diskreditiert scheint, herrscht im wirtschaftsliberalen Lager mehr Aufbruchstimmung als im linken Lager. Politikwissenschafter Hubert Sickinger begründet das mit großem Frust der Wirtschaftsliberalen. Filzmaier stimmt zu: "Was soll ein wirtschaftsliberaler in ÖVP oder FPÖ?" Die Parteien würden nur ihre Klientel versorgen, die Unternehmer hätten in den Parteien zu wenig "standing".

Durch die Krise sehen beide gesellschaftliche Grundfragen wieder stärker gefragt. Sickinger: "Vieles bricht auseinander."

"Großhändler von Ideen"

Über die Ziele und Geldgeber des neuen Think Tanks sprach die "Wiener Zeitung" mit dem Obmann und Mitbegründer von "Agenda Austria", Christoph Kraus.

"Wiener Zeitung":Was ist Ihre Motivation hinter der Gründung von "Agenda Austria"?Christoph Kraus: Wir wollen wissenschaftlich fundierte Reformvorschläge aus liberaler, marktwirtschaftlicher Sicht machen und eine Art Großhändler von Ideen sein.

Zum Beispiel?

Wie kann man die Straßen oder das Pensionssystem privatisieren? Auch das Sozialsystem lässt sich privatwirtschaftlich organisieren.

Das Pensionssystem privatisieren?

Ja, wie in Chile. Wir wollen mutige und auch teils utopische Dinge diskutieren. In den 60er Jahren schien eine Privatisierung von Staatsbetrieben undenkbar. Und heute? Schauen Sie sich die erfolgreich privatisierte Voest an.

Hat "Agenda Austria" eine Verfassung?

Unsere Grundwerte sind Freiheit und Individualismus. Unsere Vorbilder sind die "Austrians" rund um Hayek und Mises.

Und welche Denkfabriken sind Ihr Vorbild?

Die Mont Pelerin Society, die Hayek 1947 gegründet hat, das Institute for Economic Affairs und die Avenir Suisse. Die Avenir Suisse ist aus den politischen Debatten der Schweiz nicht wegzudenken und ohne das Institute for Economic Affairs, hat Milton Friedman einmal gesagt, hätte es die Thatcher-Revolution in Großbritannien nicht gegeben.

Und in Österreich?

In Österreich gibt es nichts Ähnliches. Das Hayek-Institut driftet ab in Richtung FPÖ. Sie holen zu viele ausländische Experten, die Modelle diskutieren, die für Österreich nicht passen. Wir wollen an konkreten Umsetzungen für Österreich arbeiten.

Warum gerade jetzt die Gründung?

Weil das Pendel seit 2008 in die andere Richtung ausschlägt. Jetzt kommt der Staat wieder mit Regulierungen und übernimmt eine stärkere Rolle in der Wirtschaft, ohne dabei etwas zu lösen. Unser Sozialsystem ist in der Krise. Obwohl wir jährlich 70 Milliarden Euro hineinpumpen, gibt es Arme, und wir fallen bei der Bildung international zurück. Das Pensionssystem ist pleite, und wir steuern damit auf eine Katastrophe zu. 1960 lag das durchschnittliche Pensionsalter bei 62 Jahren, heute bei 58. Und das bei einer stark gestiegenen Lebenserwartung. Weitermachen könnte ich bei den Schulden der Bahn.

Österreich steht im internationalen Vergleich gut da.

Ja, weil wir einen unwahrscheinlichen Vorteil durch unsere geografische Lage haben, mitten in der EU und direkt bei Osteuropa. Sogar in Wladiwostok gibt es eine Raiffeisen.

Der Staat hat die Banken gerettet. Das kann man wohl nicht als "Einmischung" bezeichnen.

Die Banken waren immer extrem stark reguliert, aber es waren die falschen Regulierungen. Die Lehman-Pleite hat das nicht verhindern können. Mit den aktuellen Eingriffen in die Banken bei Bonuszahlungen, Bilanzvorschriften oder neuen Steuern bringt man die Banken um und schwächt die Wirtschaft.

Hatte auch die Debatte um Vermögenssteuern bei der Gründung mitgespielt?

Die Kluft zwischen Reich und Arm kann nicht durch mehr Umverteilung geschlossen werden. Unterschiede sind notwendig, damit sich das Gesamtgefüge verbessert. Es braucht Leute wie Didi Mateschitz, Bill Gates, Steve Jobs, Karl Wlaschek oder einen Ikea-Gründer, die viel Vermögen aufbauen. Sie haben davor Arbeitsplätze geschaffen. Will ich Armut reduzieren, muss ich akzeptieren, dass ein paar sehr reich werden.

Wie will "Agenda Austria" die Politik beeinflussen?

Die Politik kann wenig bewegen, sie dreht sich nach dem Wind. Wir wollen den Wind steuern. Wenn die öffentliche Meinung dreht und eine gewisse Politik nicht mehr zulässt, dreht auch die Politik. Die Schweizer haben aus ökonomischer Vernunft gegen mehr Urlaub gestimmt. Man sieht: Es geht.

Es gibt schon die Wirtschaftskammer oder Industriellenvereinigung.

Das sind Interessenvertretungen. Wir sind werteorientiert. Wir wollen daran erinnern, wie der Individualismus und Liberalismus ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen zuvor undenkbaren Wohlstand und Fortschritt ermöglicht haben.

Und die Wirtschaftspartei ÖVP?

Ich sehe nicht viel Unterschied zwischen den Parteien in Österreich. Hayek hat sein Werk "den Sozialdemokraten in allen Parteien" gewidmet. Die Parteien haben ihre Klientel, das sie beachten müssen. Die Politik verteilt "Goodies" mit Schulden, die auf der nächsten Generation lasten, und lukriert damit Stimmen. Davon profitieren die organisierten Gruppen. Um die Ärmsten der Armen kümmern sich Private.

Es gibt eine staatliche Mindestsicherung für die Ärmsten. Sind Sie da auch dagegen?

Was ist mir vorstellen kann: Friedman hat fürs Existenzminimum eine negative Einkommensteuer vorgeschlagen. Aber bei uns werden ja alle versorgt. Warum bitte braucht eine Frau Flick oder eine Frau Horten (die reichsten Österreicher, Anm.) Vergütungen wie Kinderbeihilfe?

Woher kommt das Geld für "Agenda Austria"?

Von Stiftungen und Unternehmen, von denen keines eine dominante Rolle spielen soll. Wir dürfen von keinem Geldgeber abhängig sein. Ein Angebot der Industriellenvereinigung haben wir abgelehnt. Das Budget wird über eine Million Euro pro Jahr betragen, in einem Büro in der Wiener Schottengasse werden sechs bis zwölf Personen an unseren Studien arbeiten.

Kann man davon ausgehen, dass Sie sich gegen höhere Stiftungssteuern einsetzen?

Das ist kein unmittelbares Thema. Mit Begünstigungen ist es ohnehin vorbei. Zur Unabhängigkeit will ich sagen: Die Avenir Suisse hat einmal für die Deregulierung des Pharmamarktes votiert. Daraufhin ist eine große Pharmafirma ausgestiegen. So etwas müssen auch wir verkraften können.

Christoph Kraus ist  Obmann und Mitbegründer von "Agenda Austria". Er war viele Jahre lang Boss der Kathrein Privatbank, die Raiffeisen gehört, und führt den Verband der österreichischen Privatstiftungen an. Von den Stiftungen kommt auch das meiste Geld für den Think Tank. Kraus wird sich künftig eher im Hintergrund halten, operativer Leiter von "Agenda Austria" wird der ehemalige "Presse"-Journalist Franz Schellhorn.