Zum Hauptinhalt springen

"Politik fehlt Gestaltungswille"

Von Brigitte Pechar

Politik

Die Situation für die Industrie 2013 ist nicht rosig, aber auch nicht dramatisch.


"Wiener Zeitung": Wie mächtig ist die Industriellenvereinigung (IV) in Österreich noch?

Christoph Neumayer: Wir sollten mehrere Facetten betrachten. Das eine ist die Interessenvertretung der Mitglieder - wir haben wachsende Mitgliederzahlen und liegen derzeit bei über 4000 -, das andere ist unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Wir konnten einiges erreichen - etwa die Erhöhung der Forschungsförderung oder eine Reform der Kurzarbeitsregelung.

Zwar spricht man davon, dass die Sozialpartnerschaft wieder stärker ist, aber es scheint, dass der Einfluss von Verbänden auf die Politik insgesamt geringer wird.

In den 80er Jahren hat die Politik Abmachungen der Sozialpartnerschaft zumeist 1:1 umgesetzt. Diese Zeiten haben wir lange hinter uns gelassen - und das ist auch gut so für eine demokratische Gesellschaft westlicher Prägung. Dieser Bruch hat im Jahr 2000 stattgefunden, als eine Regierung angetreten ist, die gesagt hat: "Wir wollen regieren. Wir hören uns die Einschätzungen der Interessenverbände an, aber die Politik hat Priorität." Ab 2006 hat sich das wieder etwas geändert; es wird wieder mehr auf die Verbände gehört, aber nicht mehr so wie früher. Es ist auch legitim zu fragen, ob dieses System der Sozialpartnerschaft nicht an Grenzen stößt, ist doch die Struktur des Verbändewesens im weitesten Sinn ständestaatlich geprägt.

Könnte man das so zusammenfassen: Die IV hat nicht mehr diese Macht, die sie früher hatte, und das ist aus demokratiepolitischen Gründen gut so?

Der Stellenwert der IV in der Politik ist nach wie vor hoch, aber ihr Stellenwert ändert sich entsprechend der Veränderung der Gesellschaft permanent. Kraft, Effizienz und Durchsetzungskraft der IV sind aber ungebrochen.

Ein Versuch der IV im abgelaufenen Jahr, stärker auf die Politik Einfluss zu nehmen, war die Ausarbeitung eines Steuerreformkonzepts. Allerdings gab es dazu kaum Stellungnahmen, aus der Politik ist dazu nichts zu vernehmen. Man könnte auch sagen, die IV präsentiert ein Konzept und niemanden interessiert es.

Das könnte man sagen, entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Wir haben unsere Brainpower auf ein neues Steuerkonzept konzentriert, weil wir mittelfristig etwas bewegen wollen. Zwar hat sich die Regierung eine Reform der Steuerstruktur vorgenommen, aber realpolitisch ist nicht davon auszugehen, dass das noch in dieser Legislaturperiode passiert. Die IV hat daher ein budgetneutrales Gesamtmodell vorgestellt, das jetzt sehr intensiv diskutiert wird - nicht medienöffentlich. Uns geht es darum, dass das Steuersystem möglichst wettbewerbsstärkend ist, dass es wohlfahrtsstärkend ist, dass es beschäftigungsstärkend ist. Wichtig ist, dass das Steuersystem vereinfacht wird und dass es fair ist. Pauschalierungen sind sicherlich nicht der richtige Weg - weder in der Landwirtschaft noch bei Kleinunternehmen.

Wie zufrieden sind Sie denn mit der Politik und den Akteuren?

Ich denke, dass sich die Politik in der Krisenbewältigung gut geschlagen hat. Was oft fehlt, ist der Gestaltungswille. Das ist eine ganz große Herausforderung. Es braucht eine Politik, die die Menschen begeistern kann, die Vorstellungen davon hat, wo Österreich in 15 Jahren stehen soll.

Wie stellt sich der Industriestandort Österreich tatsächlich dar?

Österreich ist nach wie vor ein starkes Industrieland, das hat in der Krise geholfen. Europa bemüht sich gerade um eine Reindustrialisierung. Österreich hat viele Vorteile - Lage, exzellente Unternehmer, motivierte Menschen -, verliert aber in jüngster Zeit gegenüber Deutschland an Attraktivität.

Woran machen Sie das fest?

An höheren Lohnstückkosten in Österreich, die deutsche Kurzarbeitsregelung ist attraktiver, die Abgabenlast in Österreich ist höher: Man muss den Menschen ermöglichen, mit eigener Hände Arbeit Wohlstand zu schaffen - das wird mit einer 36,5-prozentigen Besteuerung von Einkommen ab 11.000 Euro jährlich erschwert. Man kann sagen, wir verlieren im internationalen Vergleich seit Jahren an Attraktivität.

Gibt es Industriebetriebe, die an Absiedelung denken?

Derzeit ist das kein großes Thema. Aber man muss darauf achten, dass die Investitionen der Betriebe nicht einbrechen.

Wie sind die Erwartungen der Industrie für das kommende Jahr?

Die Investitionen sind tatsächlich zurückhaltender und auch unsere Erwartungen sind weniger optimistisch als jene der Wirtschaftsforschungsinstitute. Es gibt keinen Wachstumsüberhang wie 2011. Wir sind in einer Seitwärtsbewegung, die ersten beiden Quartale werden daher herausfordernd. Wir stehen auf einem sehr labilen konjunkturellen Fundament und erwarten ein BIP-Wachstum im kommenden Jahr zwischen null und einem Prozent. Die Situation ist also nicht wahnsinnig rosig, auch nicht dramatisch, aber herausfordernd.

Österreichs Hauptexportregion ist nach wie vor Europa. Wäre es nicht höchst an der Zeit, stärker nach Asien zu drängen?

Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die in Asien vor Ort sind wie AT&S, Miba, Voestalpine, Semperit. Aber es haben sich auch einige Unternehmen wieder zurückgezogen. Das hat oft mit fehlender Rechtssicherheit, mit Verfügbarkeit und Ausbildung der Mitarbeiter zu tun.

Die Voestalpine baut gerade ein großes Werk in Georgia. Sind die USA der kommende Markt?

Die USA haben an Attraktivität gewonnen, aber an Asien kommt man nicht vorbei.

Zur Person: Christoph Neumayer (46)
ist 1966 in Wien geboren. Seit April 2011 ist er Generalsekretär der Industriellenvereinigung. Zuvor hat Neumayer, der in Wien Geschichte und Kommunikationswissenschaft studiert hat, unter anderem für den ORF und als Marketing- und Kommunikationschef der IV gearbeitet.