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Bundesheer-Volksbefragung: "50 Prozent ist kritische Grenze"

Von Clemens Neuhold

Politik

In der Schweiz beteiligten sich 70 Prozent an Abstimmung über Zukunft des Heeres.


Wien. Die Schweizer gelten als die Weltmeister der Direkten Demokratie. Wie bewertet der Schweizer Experte für Direkte Demokratie, Uwe Serdült, die erste bundesweite Volksbefragung in Österreich?

"Wiener Zeitung": Die Volksbefragung ist in Österreich ein politisches Hick-Hack zwischen ÖVP und SPÖ. Ein Missbrauch des Wählers?Uwe Serdült: Das ist nicht untypisch. Vor allem wenn nur sehr selten Befragungen oder Abstimmungen durchgeführt werden, sind sie ein verlängertes Instrument im Kampf der Parteien. Auch in der Schweiz war es historisch so. Je länger und öfter die Instrumente angewandt werden, desto mehr entgleiten sie den Parteien und wandern zur Zivilgesellschaft - vom Sportverein, Metzgerverband bis hin zum Einzelkämpfer. Das ist ein absolut normaler Entwicklungsprozess.

Die Volksbefragung wurde im September 2012 beschlossen. Reichen vier Monate, um sich seriös eine Meinung zu bilden?

Ja, das reicht. Man kann nicht ewig auf einem Thema herumreiten. In der Schweiz werden die Themen üblicherweise ein Monat bis sechs Wochen konzentriert von den Medien behandelt, inklusive Fernsehdebatten, länger würde sich das Thema totlaufen.

Wo sehen Sie die kritische Untergrenze für die Beteiligung an der Heeres-Volksbefragung?

Ich würde sagen bei 50 Prozent, ohne hohe Beteiligung kann man das Ergebnis schnell abtun. Die 50 Prozent werden zwar in der Schweiz oft gar nicht erreicht, aber dort gibt es pro Jahr drei bis vier Abstimmungen. Durchschnittlich geben 80 Prozent der Bürger einmal pro Jahr ihre Stimme ab.

Für den 20. Jänner werden 30 bis 40 Prozent Beteiligung erwartet.

Das ist eher wenig. An der Abstimmung über die Abschaffung des Bundesheeres 1989 haben sich 70 Prozent der Schweizer beteiligt. 36 Prozent waren für eine Abschaffung - nicht die Mehrheit, aber trotzdem eine Sensation. Das war ein Schuss vor den Bug, der zu einer massiven Verkleinerung der Armee und zu großen Reformen geführt hat.

Wie ist das "Haltbarkeitsdatum" der Volksmeinung? Wann darf wieder abgestimmt werden?

Bei uns kommen Themen immer wieder. Es gibt keine Wartepflicht. Aber in der Praxis muss Gras drüber wachsen. Im Fall dieser grundsätzlichen Befragung übers Bundesheer würde ich sagen acht bis zehn Jahre.

Wie wichtig ist das sogenannte Abstimmungsbuch im Vorfeld?

Das ist eine sehr gute Sache, weil es jeder bekommt und es neutral ist. Die Leute haben die Positionen und bei Volksabstimmungen auch den Gesetzestext vor Augen. Bei nicht bindenden Befragungen geht es auch ohne. Eine wichtige Rolle spielen die Medien. Die Zeitungen drucken drei bis vier Mal pro Woche einen Parolenspiegel ab: Darin ist genau ersichtlich, welche Partei, welcher Verband, welche Körperschaft welche Positionen vertritt und auch wer innerhalb dieser Gruppen von der Meinung abweicht. Dazu machen sie Pros & Contras. Wichtig ist, dass der Zugang der verschiedenen Positionen zu den Massenmedien neutral ist. Bei uns läuft auch viel über Plakate, im Fernsehen darf gar nicht geworben werden. Bei der Finanzierung der Schaltungen darf aber kein staatliches Geld eingesetzt werden.

Ist es okay, wenn die SPÖ eine Kampagne mit einer Million Euro aus der Parteikasse unterstützt?

Ja, eine Partei muss Partei sein dürfen und ihren politischen Kampf mit ihren eigenen Mitteln führen.



Wo liegen generell die Grenzen der Direkten Demokratie?

Bei den Menschenrechten und beim Rechtsstaat. In zwei Fällen wurde in der Schweiz wohl die Grenze überschritten: mit der Minarett-Initiative und der Ausschaffungs-Initiative von kriminellen Ausländern. Das steht im Konflikt mit der Religionsfreiheit oder den Menschenrechten, wenn nach der Abschiebung von Ausländern daheim Leib und Leben in Gefahr ist. Das könnte Straßburg (Europäischer Gerichtshof für Menschrechte, Anm.) kippen. Aber bei uns stimmt man einmal ab und schaut dann weiter. Die Direkte Demokratie ist bei uns ein Heiligtum. Die kann kein Politiker angreifen. Ehrlich gesagt wird es mit drei bis vier Abstimmungen pro Jahr schon zu viel. Aber das darf niemand sagen.

Wird Österreich die neue Schweiz?

Warum nicht? Wenn es von unten wächst und auch die Bundesländer die Instrumente der Direkten Demokratie verstärkt nutzen. Dass das Interesse in Österreich und Deutschland derzeit wieder wächst, hat aber auch mit dem Frust über politische Parteien zu tun.