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Jenseits von Engeln und Menschen

Von Muhamed Beganovic

Politik
Exorzismus gibt es auf allen Kontinenten. In islamischen Ländern wird er Ruqya genannt.
© corbis

In Besessene soll der Dschinn eingedrungen sein.


Wien. Aladin nutzte seinen Dschinn um reich und mächtig zu werden und somit Badroulbadour, die Tochter des Kaisers, zu heiraten. Geschichten wie diese aus "Tausendundeiner Nacht" sind in einigen islamischen Völkern fest verankert. Die Dschinn sind für den Menschen nicht sichtbare Wesen, aber nicht mit Engeln und Dämonen wie im Christentum zu verwechseln. "Die Existenz von Dschinn wird im Koran mehrmals erwähnt. Dass es sie gibt, ist somit belegt", berichtet Zekirija Sejdini, Pressesprecher der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Einige Menschen behaupten, von Dschinn besessen zu sein und sollen über einen Exorzismus geheilt werden. Hier ist Sejdini zurückhaltender: "Exorzismus ist im Islam umstritten. Hier ist Vorsicht geboten. Einige Personen behaupten mit Dschinn in Verbindung zu stehen, aber das ist sehr zweifelhaft. Das wird ausgenützt." Offiziell, von Seiten der IGGiÖ, werden Exorzismen nicht angeboten. Doch in Moscheen - auch in Wien - werden Exorzismen sehr wohl praktiziert.

Die Dschinn haben auf jeden Fall schon Eingang in die westliche Pop-Kultur gefunden. In einer Folge der erfolgreichen US-Serie "Supernatural" etwa kämpfen Gebrüder Dean und Sam Winchester gegen einen ganzkörpertätowierten, Menschenblut-trinkenden Dschinn. Die Darstellung der Dschinn ist in der Pop-Kultur sehr klischeebeladen und unterscheidet sich von den islamischen Beschreibungen der Dschinn. Es sind ambivalente Wesen, schließlich wird ihnen sowohl Religiosität als auch die Fähigkeit zugesprochen, in menschliche Körper einzudringen, Stichwort Besessenheit. Was sind sie wirklich?

Es handelt sich um Geisterwesen, die der Koran unter anderem in der zweiten Sure "Al Baqara" erwähnt. Die 72. Sure "Al Dschinn" ist gar ihnen gewidmet. In der 15. Sure steht geschrieben: "Und die Dschinn erschufen Wir zuvor aus dem Feuer des heißen Windes." Somit gehören sie neben den Engeln, die aus Licht, und den Menschen, die aus Lehm, erschaffen wurden, zu den Kreationen Gottes. Aus dem gleichen Vers geht hervor, dass sie lange vor den Menschen kreiert wurden und die Erde bewohnten. Für das menschliche Auge unsichtbar sollen sie neben uns, in einer quasi parallelen Dimension, leben.

Das Aussehen ist unklar

Vertrauenswürdige Quellen, die das Aussehen der Dschinnen beschreiben, gibt es nicht. Sowohl Koran als auch Hadithe, die Überlieferungen des Propheten Mohammed, bestätigen aber, dass sie einen freien Willen besitzen, eine Eigenschaft, die sonst nur Menschen eigen ist. Dadurch können sie es sich aussuchen, ob sie Gottes Regeln befolgen oder nicht. Mehrheitlich sind sie tiefreligiös und halten sich an Regeln. An erster Stelle gilt für sie: kein Kontakt mit den Menschen! Anders als die "klassischen" Dämonen der christlichen und jüdischen Religion, die das Böse schlechthin darstellen, haben sie Geschlechter und vermehren sich. Sie bilden Familien, Gemeinschaften und Hierarchien. Sie sind wie Menschen von Nahrung und Flüssigkeit abhängig. Sie kennen Emotionen wie Liebe und Zuneigung, dementsprechend auch Eifersucht, Hass aber auch Stolz und Angst. Von der Last des Todes sind sie nicht befreit.

Die Hadithe unterscheiden drei Kategorien der Dschinnen: erstens jene, die die Flugfähigkeit besitzen, äußerst flexibel und schnell sind und eine exzellente Seh- und Hörfähigkeit haben. Zweitens die sogenannten "Geher": Wenn sie in der für Menschen sichtbaren Dimension erscheinen, nehmen sie oft die Form von Schlangen oder Hunden an. Sie können sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit bewegen. Drittens gibt es noch die "Bewohner". Sie sollen mit den Menschen in ihren Haushältern leben, meistens als Hunde getarnt.

Unabhängig davon, zu welcher Kategorie sie gehören, kommen Dschinn nicht aus Rauch zur Erscheinung, wie Hollywood es vorzeigt. "Alle Quellen sind sich darüber einig, dass besonders Badehäuser und Toilettenanlagen, verlassene Stätten, alte Häuser, Ruinen, die Wüste, Quellen, Bäume und Höhlen beliebte Aufenthaltsorte der Dschinn sind", schreibt der Orientalist Kornelius Hentschel. Ihre Fähigkeit, die Gestalt einer Person, lebendig oder tot, annehmen zu können, sorge oft für Angst und Schrecken. Sie sollen nicht fähig sein etwas zu erschaffen, sondern es nur von einem Ort zum anderen zu transportieren. Wer sich also Berge Gold wünscht, soll damit rechnen, dass sie von irgendwo entnommen wurden.

In der 72. Sure offenbart Gott, dass die Dschinn eines Nachts Prophet Mohammeds Rezitation des Korans mitgelauscht haben sollen. Im Anschluss daran sollen sie mehrheitlich das Wort Gottes angenommen haben. Ihre Religiosität soll eine Art Schutzgarantie für den Normalsterblichen darstellen.

Besessenheit bedeutet Schmerzen für den Besessenen. Sie soll manchmal zu Krankheit führen. Epilepsie wird oft erwähnt. Es gibt Berichte, wonach Betroffene ihre Mobilität verloren haben sollen, andere wiederum die Sehfähigkeit. Es soll auch solche geben, die ihren Verstand verloren haben sollen. Welche Auswirkung die Invasion hat, soll von der Motivation der Dschinn abhängen. Aber was tun, wenn ein Dschinn den Regeln Gottes den Rücken kehrt und beschließt, einem Menschen Schaden zuzufügen?

Letzter Ausweg Exorzismus?

Das ursprüngliche Ghostbusters-Trio wird nicht sonderlich viel helfen können. Weder die Hadithe des Propheten noch die Praxis können bestätigen, dass Tech-Gadgets gegen sie wirksam sind. Im Volk verbreitet ist die Ruqya, die Heilung einer Besessenheit, auch bekannt als Exorzismus, die auch in Wien vereinzelt angeboten werden. Nur eine Handvoll Menschen in Wien nehmen diese Aufgabe auf sich. Eine finanzielle Entschädigung für solche Arbeit verbietet die Religion.

Als vertrauenswürdiger Heiler gilt, wer mit ganzem Herzen daran glauben, dass die Heilung nicht von ihm, sondern von Gott kommt, praktizierender Moslem ist und der arabischen Sprache mächtig ist, da die Ruqya selbst nur in arabischer Sprache durchgeführt werden kann. Anhand einer Vielzahl von Symptomen soll er Besessenheit erkennen, wie Apathie, Faulheit, Kopf- oder Organschmerzen, die sich medizinisch nicht erklären lassen, Schlafwandeln, lachen, weinen, schreien, stöhnen oder seufzen im Traum, aber auch Epilepsie.

Jede Heilung fängt mit der Rezitation einzelner Koransuren an. Dazu werden die 99 schönsten Namen Gottes aufgelistet. Zwischendurch wird der Patient mit Koranwasser bespritzt. Anhand der Reaktionen schätzt der Heiler die Kraft des Dschinn ein. Nach einigen Minuten der Rezitation nimmt er Kontakt mit ihm auf. Wenn Diplomatie und Konversion nicht ankommen, wird mit dem Tod gedroht, Koranwasser, Rezitation, Klapse sollen helfen. Nach der Behandlung wird zu asketischer Lebensweise geraten.