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Das Kreuz mit dem Kreuz

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Zuerst das äußerst knappe Ergebnis der Bundespräsidentenstichwahl im Mai. Dann der Einspruch der FPÖ. Schließlich der Spruch des Verfassungsgerichtshofs, in dem die Stichwahl für ungültig erklärt wird. Dann die Bundespräsidentenstichwahlwiederholungsverschiebung im September wegen fehlerhafter Kuverts. Erst am 4. Dezember war es schließlich geschafft.

Die Parlamentsparteien haben sich nach dieser schier endlosen Saga vorgenommen, das Wahlrecht zu reformieren.

Die FPÖ hat ja bei der Wahlanfechtung durchblicken lassen, was sie von der Möglichkeit der Briefwahl hält: Wenig. Ihr Kandidat Norbert Hofer hatte noch vor der Stichwahlwiederholung gefordert, das Briefwahlrecht abzuschaffen.

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka zielt jetzt, da die Debatte über das Wahlrecht wieder entbrannt ist, in eine völlig andere Richtung. Er denkt an die Einführung von E-Voting - zumindest für die Auslandsösterreicher.

SPÖ-Klubchef Andreas Schieder will die Wahlrechtsreform dazu nutzen, die Briefwahl "einzudämmen". Ein zusätzlich vorgezogener Wahltag soll den Menschen mehr Möglichkeiten zur Stimmabgabe bieten, die Briefwahl könne "nur gelinderes Mittel für jene sein, die nicht persönlich die Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben".

Schieders Ansinnen ist verständlich: Das Ritual der persönlichen Stimmabgabe am Wahlsonntag ist so etwas wie das Hochamt der Demokratie. Steht nicht am Anfang jeder Achtung der Demokratie der kleine Mann, der - bewaffnet mit einem kleinen Stift - in eine kleine Wahlzelle geht und dort ein kleines Kreuz auf einem kleinen Stück Papier macht, wie Winston Churchill 1944 anmerkte?

Rituale in allen Ehren, aber Zielsetzung der Politik sollte es heute sein, es den Bürgerinnen und Bürgern so einfach und bequem wie möglich zu machen, auf zeitgemäße Art am politischen Willensbildungsprozess teilzunehmen. Nicht nur junge Menschen sind es gewohnt, ihre Angelegenheiten heute via Handy zu regeln - vom Telebanking bis zum ÖBB-Ticket.

Dass die offenen Fragen der Cyber-Sicherheit bei der Diskussion über E-Voting-Ideen sehr ernst genommen werden müssen, versteht sich von selbst. Aber es wäre enttäuschend, wenn sich das Parlament mit einer bloßen Reparatur des Wahlrechts zufriedengäbe.