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Die Magie des Parfumeurs

Von Solmaz Khorsand

Politik
Yogesh Kumar entblättert die Persönlichkeit des Kunden anhand seines Körpergeruchs.
© Khorsand

Wie der Inder Yogesh Kumar den Duft Österreichs erfand.


Wien. Ein bisschen mulmig wird einem schon, wenn man bei Yogesh Kumar auf der Couch sitzt. Es ist fast so wie bei einem Therapeuten. Bloß, dem Therapeuten kann man noch etwas vormachen. Kumar nicht. Er merkt sofort, wenn sein Gegenüber lügt. Da hilft kein Pokerface, keine Koketterie, kein Ablenkungsmanöver. Er kann die Lüge riechen. "Es ist, wie wenn etwas stinkt", versucht es der 43-jährige Inder zu beschreiben.

Kumar ist Parfumeur, der einzige Österreichs wie er behauptet. Heute gewährt er eine Audienz in seiner Duftgalerie in der Kirchengasse im siebenten Bezirk, inmitten von braunen Apothekerflaschen mit Aufschriften wie Beauty oder Spice of Life.

Kumars Nase ist klein und macht ihren Job klanglos

Automatisch mustert man das Gesicht des rundlichen Mannes, sucht nach breiten Nasenflügeln, die hörbar die Luft ein- und ausatmen. Fehlanzeige. Kumars Nase ist klein. Und macht ihren Job klanglos. Und diese Nase hat vor ein paar Jahren den Duft für Österreich kreiert. Natur, Kultur und Innovation war der Auftrag der Österreich Werbung. Herausgekommen ist ein Duft, der auf dem Holzstäbchen frisch riecht. Sobald man ihn auf der Haut trägt, bekommt er eine süßliche und schwere Note. So riecht Österreich also. Und wie riecht Wien?

"Wie ein bunter Vogel", sagt Kumar und schließt die Augen. Wäßrige und fruchtige Noten würde er verwenden für die Stadt, "weil sie die Bewegung und die Funken in sich haben." Und es müsste ein Duft sein, der sich alle 30 Minuten verändert auf der Haut. Immer in Bewegung, so stellt sich Kumar Wien vor.

Seit 16 Jahren lebt er in der Stadt. Die Liebe hat ihn hierhergebracht, eigentlich hat ihn Österreich nie interessiert. Freunde haben ihm Kataloge von Österreich gezeigt. Beeindruckt haben den Inder die Bierbeisl und Frauen in engen Dirndln nicht unbedingt. Trotzdem ist er hier gelandet. Er erinnert sich noch an den Tag als er am Flughafen in Wien ankam. Und an den Geruch. "Das Land strahlt eine ganz besondere Zufriedenheit und Stabilität aus, die dich satt macht. Aber die Menschen spiegeln etwas ganz anderes wider", erzählt er, "sie raunzen und sind unzufrieden." Ein Österreicher, den er in Indien kennengelernt hatte, hat ihn noch gewarnt, in Wien nicht so viel auf offener Straße zu lächeln. Denn keiner würde ihn so ernst nehmen. Kumar hat sich an den Rat nicht gehalten.

Schwierig war es für ihn anfangs beruflich Fuß zu fassen. 131 Leute haben ihm gesagt, dass er nicht als Parfümeur arbeiten kann. Niemand konnte sich Ende der Neunziger Jahre in Wien etwas darunter vorstellen. Und Patrick Süßkinds "Parfüm" hatte es noch nicht auf die Kinoleinwand geschafft. "Was sie nicht einordnen können, gibt es in Österreich nicht", sagt Kumar und grinst. Schließlich hat er doch seinen Gewerbeschein bekommen, für "die Erzeugung kosmetischer Artikel."

"Die Nase lässt sich mit keinem Buch trainieren"

Seit fast drei Jahrzehnten kreiert Kumar neue Düfte. Aufgewachsen in Delhi, Indiens Hauptstadt, begann der Volksschüler halbleere Parfümflakons seiner Mutter zu sammeln und am Küchentisch mit den Resten herumzuexperimentieren. Mit 13 Jahren hat er Rasierwasser für den Friseurbedarfsladen seines Vaters gemischt, in dem er nach der Schule gearbeitet hat. Eine Ausbildung zum Parfümeur hat er nie absolviert. "Du kannst auch keinen zweiten Picasso machen", meint er schulterzuckend. Die Nase lässt sich mit keinem Buch trainieren. Dabei würde er gerne Schüler aufnehmen, sie drei Jahre unterweisen in der Kunst des Riechens. Doch dafür fehle den Österreichern einfach die Geduld. "Sie wollen in sechs Monaten in einem Crashkurs lernen, was ich seit 28 Jahren mache", sagt er.

Einen kleinen Stamm an Privatkunden hat er sich in den vergangenen Jahren in Wien aufgebaut. Sie bringen Schals, Kleider und manchmal auch Unterhosen mit zu Kumar, um ihren ganz persönlichen Duft kreieren zu lassen. Jede Begegnung beginnt mit einem besonderen Ritual. Kumar riecht am Nacken um die Beschaffenheit der Haut in die vier Elemente-frei nach Ayurveda, der traditionell indischen Heilkunst - Feuer, Wasser, Erde und Luft einzuteilen. Wenige Sekunden dauert das Beschnuppern. Danach ist der Parfumeur ganz Guru. Er entblättert die Persönlichkeit des Kunden anhand seines Körpergeruchs, spricht ruhig von unterdrückten Gefühlen, bodenständigen Charaktereigenschaften und kreativen Wesenszügen. Unheimlich ist die Sitzung. Doch das Konzept geht auf in einer Gesellschaft sinnsuchender Ich-AGs, die nach Aufmerksamkeit lechzen.

Kumar hört zu, wenn es sein muss, sieben Stunden lang

Kumar hört ihnen zu, wenn es sein muss, sieben Stunden lang. Danach passt er seine Duftkompositionen an die jeweilige Persönlichkeit an. Er weiß was seine Kunde wollen. Was alle wollen: Sich von ihrer besten Seite verkaufen. So funktioniert Duftmarketing, egal ob bei der verzweifelten Geliebte oder bei dem exklusiven Armbandunternehmen, das Kumar beauftragt einen Duft zu erschaffen, der nach "Luxus" riecht. Einzigartig will jeder sein. Der Parfumeur lebt von diesem Geltungsbewusstsein. Und wonach riecht Kumar? "Ich verwende keinen Duft. Ich liebe meinen Körperduft", sagt er.

Bis Samstag erzählt Yogesh Kumar seine Geschichte im Wiener brut als einer von neun Neo-Österreichern in Oleg Soulimenkos Projekt "Made in Austria."