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Immer mehr schulunreife Kinder

Von Alexia Weiss

Politik
In der Vorschulklasse lernen Kinder, was sie für die Volksschule brauchen.
© Stanislav Jenis

1776 Wiener Kinder weisen - nicht nur sprachliche - Defizite auf.


Wien. Auf dem Boden liegen ein Handtuch, ein Waschlappen, eine Seife, Zahnpasta. Rundherum sitzen Sechs- und Siebenjährige auf Pölstern. Sie sollen benennen, was die Lehrerin hochhebt. Das gelingt ohne Probleme. Es ist das zweite Mal, dass die Pädagogin diese Utensilien ins Klassenzimmer mitgebracht hat. Die Kinder freuen sich, dass sie sich alles gemerkt haben. "Und wie oft soll man seine Zähne putzen?", fragt die Lehrerin. "In der Früh und am Abend", sagt ein Bub. "Ich nur einmal", meint ein anderer.

Die insgesamt 18 Kinder, davon weit mehr Buben als Mädchen und 15 mit einer anderen Muttersprache als Deutsch, besuchen die Vorschulklasse der Volksschule Wichtelgasse in Wien-Hernals. Im kommenden Herbst wird es hier sogar zwei Vorschulklassen geben, erzählt Direktorin Eva Mader. Warum gibt es aus ihrer Sicht heuer mehr Kinder, die noch nicht schulreif sind? Es seien in diesem Jahrgang im Bezirk schlicht auch mehr Kinder schulpflichtig, sagt Mader.

Bei der Schuleinschreibung heuer habe es aber bei vielen vor allem im Bereich Mathematik gemangelt. Und auch im Bereich Wahrnehmung hätten Kinder schlecht abgeschnitten. Bei der Schuleinschreibung muss ein Kind beispielsweise drei Bilder so anordnen, dass sich daraus eine Geschichte ergibt: Auf einer der Bildfolge wird eine Banane geschält und gegessen. Für manche war diese Aufgabe zu schwer.

Die Eröffnung einer zweiten Vorschulklasse in der Volksschule Wichtelgasse entspricht jedenfalls einem Wien-weiten Trend - wohl auch ausgelöst durch die Vorgabe des Stadtschulrats, sich die Kinder genau anzusehen und vor allem jene, die - trotz des verpflichtenden Kindergartenjahres oder, weil sie eben erst nach Österreich kamen - nicht oder kaum Deutsch beherrschen, um ihnen ein zusätzliches Jahr zum Erlernen der Sprache zu ermöglichen. Oder es ihnen aufzuzwingen, denn hier scheiden sich die Geister zwischen Stadtschulrat und so manchen Kritikern, wie etwa dem Netzwerk Sprachenrechte oder SOS Mitmensch.

131 Vorschulklassen starten im Herbst

Im laufenden Schuljahr gibt es Wien-weit 117 Vorschulklassen mit 1658 Schülern und Schülerinnen. Im Herbst werden es mehr sein: Nach den Einschreibungen im Jänner gab der Stadtschulrat am Mittwoch die provisorischen Schülerzahlen für das kommende Schuljahr bekannt: 1776 Mädchen und Buben werden demnach eine Vorschulklasse besuchen. Insgesamt wird es 131 Vorschulklassen geben. Sieht man sich die Schüler der ersten Klassen Volksschule an, gibt es aber nicht nur in Hernals, sondern auch Wien-weit etwas mehr schulpflichtige Kinder: Derzeit gibt es 15.805 Erstklässler, ab dem Herbst werden es 16.135 sein - auch das allerdings nur eine provisorische Zahl.

Provisorisch deshalb, da sich erfahrungsgemäß in den nächsten Wochen und Monaten noch einige Eltern melden werden, um ihre Kinder für den Schulbesuch anzumelden. Sind diese eben erst schulpflichtig geworden und nicht in Österreich aufgewachsen, könnte es sein, dass sie aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse statt in die erste Klasse Volksschule in eine Vorschulklasse eingestuft werden.

Wobei die Präsidentin des Stadtschulrats, Susanne Brandsteidl, gegenüber der "Wiener Zeitung" betont: "Ein Kind muss von seinem ganzen Entwicklungsstand her so weit sein, dem Unterricht folgen zu können." Nur aufgrund von mangelnden DeutschKenntnissen werde kein Kind einer Vorschulklasse zugewiesen. Wenn sich die Direktorin, welche das Kind teste, für diesen Schritt entscheide, gebe es meist auch andere Defizite. "Dann kann sich das Kind auch die Schuhe nicht binden oder die Schere nicht gut halten."

Das entspricht auch den Erfahrungen von Volksschul-Direktorin Mader. Bei der Schuleinschreibung arbeitet sie mit Kleingruppen von jeweils vier bis sechs Kindern - und das an die eineinhalb Stunden lang. Zunächst verlassen die Eltern den Raum, um die Formulare auszufüllen. Später ist es Mader sogar ein Anliegen, dass die Eltern im Raum sitzen und ihre Kinder bei der Gruppenarbeit beobachten.

Kinder in Raumorientierung immer schlechter

Manchmal bezieht sie sie auch in die Gesprächssituation mit ein. Dann etwa, wenn ein Kind kaum Deutsch versteht. Sie bittet die Eltern, sich mit den Kindern in ihrer Muttersprache zu unterhalten. Sprudelt es dann aus dem Kind heraus und ist erkennbar, dass das Kind sich gut in einem Sprachsystem bewegen kann, steht dem Besuch einer ersten Volksschulklasse nichts im Weg - wenn es ansonsten auch schulreif ist.

Von Jahr zu Jahr stellt Mader allerdings fest, dass viele Kinder allgemein in den Bereichen Motorik und Raumorientierung schlechter abschneiden. Kinder würden im Elternhaus teils immer weniger gefördert - und das betreffe dann eben nicht nur die Sprache. Die Alarmglocken schrillen bei Mader, "wenn ein Kind Parksprache spricht", also meist nur in Ein-Wort-Sätzen antworte - und das in den unterschiedlichsten Sprachen. Bei solchen Kindern sei nicht zu erwarten, dass die Eltern ein ausreichendes Förderumfeld bieten. Diese Mädchen und Buben seien daher besser in einer Vorschulklasse aufgehoben. Dort lernen sie erstmals ein komplexes Sprachsystem wirklich kennen.