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Wenn Ärzte ganz koscher sind

Von Alexia Weiss

Politik
Nicht nur bei Bluttransfusionen gibt es je nach Religion unterschiedliche Regelungen - ein Religungsleitfaden soll im Krankenhaus der Bramherzigen Brüder helfen.
© © sudok1 - Fotolia.com

Katholisches Spital nimmt Rücksicht auf besondere religiöse Bedürfnisse.


Wien. Eines Tages stand ein orthodoxer Jude samstags ratlos vor der Drehtür des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in der Leopoldstadt. Sich ihrer zu bedienen würde gegen die Schabbat-Ruhe verstoßen. Kleine Vorfälle wie dieser bewogen den Leiter des Ordensspitals, den Theologen Reinhard Pichler, für die rund 900 Mitarbeiter seines Hauses einen 30-seitigen Leitfaden zu verfassen: "Do’s and Don’ts in den Weltreligionen".

Pichler geht dabei auf religiöse Gebote im Christentum, Islam und Judentum ein. Hier achte man nicht nur auf die Speisegebote, Gebetszeiten und den Umgang mit dem Tod, sondern auch auf kulturelle Befindlichkeiten. Bei Muslimen beispielsweise sollte die Pflege und medizinische Behandlung im Idealfall durch eine gleichgeschlechtliche Person erfolgen. Und sie sollten darüber informiert werden, wenn ein Medikament Alkohol enthält. Sowohl muslimische als auch jüdische Patienten erhalten oft und viel Besuch - auch hier pocht Pichler in seinem Haus auf Verständnis.

Positives Feedback von Gläubigen

Oft ist dies aber gar nicht nötig. Die Mitarbeiter des Krankenhauses haben 14 verschiedene Religionen. Hier profitiert das Spital nicht nur von deren Know-how auch in religiösen Belangen, sondern von der Vorbildwirkung des Einzelnen. Necmiye Öztürk beispielsweise ist Muslima. Sie ist als leitende Stationsschwester der Internen Abteilung tätig und erzählt bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Interreligiöser medizinischer und pflegerischer Dialog im Krankenhausalltag" von ihren Eindrücken.

An diesem Abend etwa war mit dem Ableben einer erst 48-jährigen an Krebs erkrankten islamischen Frau zu rechnen. "Ich habe die Ritualwäsche selbst durchgeführt - und mit dem Team gesprochen, wie man sich nun verhalten soll." In solchen Fällen ermögliche das Spital auch, dass die Familie rund um die Uhr bei dem Angehörigen sein kann.

Die Jüdin Clara Ferdinaro ist Augenärztin bei den Barmherzigen Brüdern und hat auch ihren Turnus hier absolviert. Sie erzählte von den kleinen Momenten, die ein besonderes Patienten-Arzt-Verhältnis schaffen. Eines Freitags suchte beispielsweise eine orthodoxe jüdische Frau das Spital auf - sie hatte sich in den Finger geschnitten. Bei der Verabschiedung meinte Ferdinaro, dass sich gefillte Fische wohl heute nicht mehr ausgehen würden. Da antwortete die Frau schmunzelnd, bei der Zubereitung der gefillten Fisch sei das Unglück passiert.

Amina Baghajati, Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft, betonte, sie erhalte von vielen Muslimen das Feedback, dass sie sich in dem Ordensspital besonders gut aufgehoben fühlen. Auch Martin Engelberg, Mitglied des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, betonte, gerade orthodoxe Patienten würden sich in dem Ordensspital heute wohlfühlen. Das sei eine neue Entwicklung - denn wenn er an seine Kindheit und Jugend zurückblicke, seien Juden eher nicht in katholische Einrichtungen gegangen. Hier sei deutlich ein Wandel festzustellen.

Rücksicht wird bei den Barmherzigen Brüder übrigens auch auf den Wunsch von Anhängern der Zeugen Jehovas genommen, keine Bluttransfusionen zu erhalten. Wenn man wisse, dass der Glaube diesen Menschen sage, wenn sie fremdes Blut erhalten, kommen sie in die Hölle, verstehe man deren Wunsch auch, so Pichler. Wie schwer sich Ärzte hier oft tun, zeigte eine Schilderung eines Anästhesisten des Hauses, der im Publikum saß. Er schilderte den Fall eines 80-jährigen Patienten, der ein entsprechend notariell beglaubigtes Schriftstück bei sich trug, dass er keine Bluttransfusion erhalten durfte.

Es stand eine schwere Operation an, danach kam es zu Nachblutungen. Die Ärzte schafften es, den Patienten schließlich ohne Bluttransfusion zu stabilisieren. Dann passierte etwas Unerwartetes: Nach seiner Genesung trat der Patient von den Zeugen Jehovas aus. Das Dilemma, in dem man sich als Arzt hier nun bewege: "Woher weiß ich, dass der Patient in dieser Notsituation zu seinem Vertrag steht?" Wenn der Patient nicht sprechen kann, müssen sich die Ärzte an die Patientenverfügung halten.

Kommunikation steht im Mittelpunkt eines gelungenen Miteinanders im Spital. Denn, betont Özturk, nur wenn man allen Patienten dieselbe Aufmerksamkeit zukommen lässt und ihnen zum Beispiel auch erklärt, warum die einen mehr und öfter Besuch haben, die anderen wiederum ihre Schabbatruhe einhalten wollen, funktioniert dieser ganz spezielle interreligiöse Dialog.