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Der Etikettenschwindel

Von Martina Pock

Politik

Wenn der freie Studienzugang die Studenten beim Studieren behindert.


Graz. An den österreichischen Universitäten sieht man dem kommenden Wintersemester mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Bundesregierung hat die Mindeststudierendenzahl für den Herbst 2013 festgelegt und sich dabei an den Zahlen des letzten Jahres orientiert. Doch viele Studienrichtungen wie Pharmazie oder Architektur werden den kommenden Ansturm kaum bewältigen können, weil dafür ganz einfach der Platz fehlt.

"Das hat mit realen Kapazitäten nichts zu tun", kritisiert Adalbert Prechtl, Vizerektor der TU Wien, die vorgegebene Mindestzahl an Studienplätzen. Die Architektur an der TU Wien verfüge in etwa über Kapazitäten für rund 470 Studienanfänger: "Nehmen müssen wir aber 1030", so Prechtl.

Eine ähnliche Schieflage auch an der Uni Wien: In Ernährungswissenschaften kommen auf 700 Mindest-Studienanfänger vier bis fünf Habilitierte, meint Vize-Rektorin Christa Schnabl. Auch in Pharmazie kommt es schon seit längerem zu großen Engpässen, vor allem bei den Laborplätzen. Derzeit stehen 150 pro Semester zur Verfügung, mit dem Studium beginnen werden jedoch 700.

"Bei uns wird es aufgrund der weiterhin zu hohen Zahl an Studierenden keine besseren Studienverhältnisse geben." Deshalb setze man weiterhin auf eine Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP), "die durchaus selektiv sein wird", so Schnabl. Die Mindestzahlen für Studienanfänger orientieren sich an den Neuzugängen des letzten Jahres. Wird die nun festgelegte Zahl überschritten, kommt es in den jeweiligen Studienrichtungen zu Aufnahmetests. Wer den Test schafft, dem wird dennoch keine gute Betreuung garantiert, weil es für so viele Studierende einfach an ausreichend Platz und Lehrpersonal mangle.

Sicherheitsvorschriften

In Graz dürfen im Herbst 2013 390 Neuinskribierte mit Pharmazie beginnen, Laborplätze gibt es aber nur 80. Der Gros der Neuzugänge landet hierfür auf einer Warteliste. Bis Oktober soll die Zahl der Laborplätze um zwanzig erweitert werden, doch auch diese Maßnahme wird dem Kapazitäten-Problem kaum Abhilfe schaffen. "In den ersten beiden Semestern gibt es für die Studierenden noch keine Laborübungen. Das Nadelöhr ist das dritte Semester, dort wird es dann sehr eng", erklärt der Leiter des Instituts für Pharmazeutische Wissenschaften, Rudolf Bauer. "In den Laborräumen wird mit Chemikalien gearbeitet, daher herrschen arbeitssicherheitstechnische Vorschriften. Da kann man auch nicht einfach Leute hineinpferchen." Es reiche auch nicht aus, die Laborplätze von 60 auf 80 zu erhöhen, vielmehr benötige es Zwangszugangsbeschränkungen, die ihren Namen auch verdienten. "Wenn Studien nicht beschränkt werden, dann ist das ein Etikettenschwindel, weil ein freier Zugang die Studierenden in dem Fall nur behindert."

Viele Pharmazie-Studierende sind Opfer der Zugangsbeschränkungen in der Medizin, wollen aber dennoch in einem gesundheitlichen Beruf arbeiten. "Seit Einführung des EMS (Eignungstest für das Medizinstudium) sind wir für viele ein Parkplatz", so Helmut Spreitzer, Studienprogrammleiter der Pharmazie an der Uni Wien. Bis zu einem Viertel der Pharmazie-Studierenden treten jedoch im ersten Jahr zu gar keiner Prüfung an, sondern hoffen beim zweiten Anlauf den Eignungstest für ein Medizinstudium zu schaffen.

Allein in Graz haben sich die Anfängerzahlen am Pharmazie-Institut seit 2007 verdreifacht. Die Gründe dafür sind vielfältig, weiß Martin Polaschek, Vize-Rektor der Karl-Franzens-Universität: "Das Berufsbild der Apothekerin ist besonders für Frauen ein sehr attraktives. Der Berufsstand genießt ein hohes Sozialprestige, verspricht ein gutes Einkommen und es gibt meist die Möglichkeit in Teilzeit zu arbeiten". Rund 80 Prozent der Pharmazie-Studierenden sind weiblich.

Laut Gerhard Kobinger, Präsident der Steirischen Apothekerkammer, geht jedoch die gesetzlich vorgegebene Anfängerzahl von 390 in Graz völlig an der Realität vorbei. Zwar würden dringend junge Pharmazeuten gebraucht, der Bedarf sei jedoch durch die jährlich rund 250 Absolventen, die die Universitäten in Graz, Innsbruck und Wien hervorbringen, gedeckt.

Krisenfeste Studien

Auch in den Studiengängen BWL, VWL, Jus und auch in einzelnen Lehramtsstudien, wie Anglistik, steigt die Zahl der Neuinskriptionen jährlich weiter an. Bei BWL sind es in Graz tausend, bei Internationaler BWL und BWL in Wien 1400 jährlich, bei Jus beinahe genauso viele. Für Polaschek lässt sich diese Entwicklung leicht nachvollziehen: "Zum einen liegt das daran, dass in wirtschaftlichen schlechten Zeiten Studierende immer eher zu Studien tendieren, die eine sichere Job-Chance in Aussicht stellen". Bei BWL oder Pharmazie gebe es außerdem ein relativ klar definiertes Berufsbild, sagt Polaschek. Zudem herrsche große Skepsis gegenüber Technik und Naturwissenschaften, das hätte bereits in den Schulen seinen Ursprung.

Von der Politik wünscht sich Polaschek ein klares Bekenntnis. "Die Politik muss den Mut finden, in gewissen Bereichen Entscheidungen zu treffen, damit in Zukunft alle Leute gut betreut werden können." Die Vorgangsweise der Regierung führe "zum sozialfeindlichsten System, das wir überhaupt haben", kritisiert Polaschek. Wenn es bei Laborplätzen zu Wartezeiten von einem Jahr und mehr kommt, dann blieben die Studierenden übrig, die den sozial stärksten Background haben. "Und wer übersteht diese Wartezeit? Die Söhne von Apothekern - und nicht die jungen Leute, die aus finanziellen Gründen dann anfangen müssen zu arbeiten", so Polaschek.