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Die alten Tänze der Heimat tanzen

Von Muhamed Beganovic

Politik
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Landschaft zwischen Nova Varoš und Sjenica im Sandschak.
© Wikicommons / Julian Nitzsche

Folklore-Choreograph will das Bewusstsein für die Bosniaken stärken.


Wien. Um auf ein Anliegen aufmerksam zu machen, starten manche Online-Kampagnen, stellen an einem zentralen Ort in der Stadt einen Stand auf oder verteilen Flyer. Ismet Mehmedovic (52), Event-Manager und Folklore-Choreograph, macht es mit Tanz. Folklore-Tanz um genau zu sein. Er hat eine Folklore-Tanzgruppe für Kinder und Jugendliche gegründet, mit der er den Geist der bosniakischen Kultur aufrechterhalten möchte. Mit seiner Truppe tanzt er die alten Tänze seiner Heimat: des Sandschaks, einer zu Zeiten des Osmanischen Reichs autonomen Region im Herzen Serbiens.

Es ist Abend, kurz nach 19 Uhr. In einer unauffälligen Seitengasse der Laaer-Berg-Straße ertönt Musik von alten, traditionellen Sandschak-Tänzen. Im Inneren des Gebäudes wärmen sich gerade einige Jugendliche auf. Gleich werden sie hier mit ihren Tanzproben beginnen. Die Jugendlichen tragen die traditionelle Sandschak-Tracht: die Burschen schwarze Hosen, traditionelle weiße, gestreifte Hemden, dazu rote ärmellose Sakkos und rote Kopfbedeckungen namens Fes. Die Mädchen tragen rote Röcke und weiße Hemde, dazu vergoldete Gürtel und weiße Kopfbedeckungen.

Dass die Jugendlichen überwiegend aus Bosnien stammen und sehr wenig mit der Region Sandschak anfangen können, stört niemanden. Dafür ist ja Trainer Mehmedovic da. Er ist zwar in Mazedonien geboren, seine Wurzeln liegen aber im Sandschak: Seine Eltern verließen 1955 die Heimat und wollten ursprünglich das tun, was tausende Familien damals taten: in die Türkei ziehen. Wie viele andere Familien blieben aber auch sie in Mazedonien stecken, wo sie ein neues Leben anfingen.

Seit 1989 in Wien

Mehmedovic lebt seit 1989 in Wien. Er schlug sich anfangs mit Gelegenheitsjobs durch, bis er in das Geschäft des Event-Managements einstieg. Er gründete die "Interkulturelle Initiative Wien" (kurz "IKI Wien"), mit dem Ziel, die Tradition des Sandschaks zu bewahren, aber auch auf die Bosniaken aufmerksam zu machen. Der Begriff Bosniake bezeichnet nämlich eine ethnische Nationalität, einen Muslim vom Balkan, während die Bezeichnung Bosnier lediglich eine Person mit bosnischer Staatsbürgerschaft bezeichnet. "Mit unserem Verein versuchen wir die alten Bräuche und die Sprache zu bewahren", erklärt Mehmedovic.

2011 veranstaltete er die "Tage der Bosniaken in Wien". Das Augenmerk lag damals auf den Bosniaken in Wien, die aus Mazedonien stammen. Immerhin sollen laut seinen Recherchen etwa 5000 davon in Österreich leben. Seinen wahren Erfolg sieht er in seiner Jugendtanzgruppe. Mit ihr hat Mehmedovic Top-Platzierungen bei nationalen und internationalen Wettbewerben geschafft. "Die Menschen kennen uns mittlerweile nicht als Jugoslawen, Bosnier oder Mazedonier, sondern als Bosniaken", sagt er stolz.

Sein Handwerk hat Mehmedovic noch in Mazedonien erlernt. Er wartete vier Jahre lang, bis er in die staatliche Vereinigung für Musik und Kultur aufgenommen wurde und dort eine zweijährige Ausbildung bekam. Und er war immerhin der erste bosniakische Moslem, der seinen Abschluss dort machte.

In seinem Heimatort Orizare in Mazedonien leitete Mehmedovic eine Folklore-Gruppe für Erwachsene. Trainiert wurde meistens auf der Wiese. "Wir haben uns auf Bauernhöfen, vor verlassenen Häusern und wo sonst Platz war, getroffen und dort geübt", erinnert sich Mehmedovic. Staatliche Förderungen gab es nicht, vor allem nicht für die Bosniaken. "Wir waren Bürger zweiter oder gar dritter Klasse. Wir hatten keine Rechte", erzählt er. Die Bosniaken seien in Mazedonien nicht willkommen gewesen.

Zwischen 1949 und 1980 sollen bis zu einer halben Million Muslime den Sandschak verlassen haben, um in der Türkei ihr Glück zu suchen. Die Gründe dafür, dass ein Teil von ihnen in Mazedonien stecken blieb, sind verschieden. Manche konnten sich die Weiterreise für die gesamte Familie nicht mehr leisten, andere bekamen kein Visum.

Aber Mehmedovic hat es geschafft. Trotzdem bedauert er es, dass das Bewusstsein für den Sandschak und die Bosniaken in Europa so gering ist. Deswegen versucht er, mit Tanzveranstaltungen historisches Wissen über die Bosniaken und ihre Kultur zu vermitteln.